Gentechnik - kein Mittel gegen den Hunger?
Ein Bericht warnt vor den Auswirkungen gentechnisch veränderten Saatguts und der Terminatortechnik in den Entwicklungsländern
In England gärt seit längerer Zeit der Streit um Gentechnik und Gen-Lebensmittel, liebevoll auch "Frankenstein Food" genannt. Die Dritte-Welt-Hilfsorganisation Christian Aid hat nun in einem Bericht "Selling Suicide: Farming, False Promises and Genetic Modification in the Developing World" nachgeschlagen, in dem gesagt wird, daß gentechnisch veränderte Pflanzen für die Beendigung des Hungers auf der Welt bedeutungslos seien, dafür aber wenigen Firmen eine überwältigende Macht verleihen und vor allem die Unabhängigkeit kleiner Bauern bedrohen könnte.
800 Millionen Menschen leiden gegenwärtig nach dem Bericht, der sich auf Untersuchungen in Brasilien, INdien und Äthiopien stützt, an Hunger - und die Gentechnologie könnte mit wachsender Bevölkerung in den armen Ländern den Hunger noch größer werden lassen: "Gentechnisch veränderte Pflanzen schaffen klassische Voraussetzungen für den Hunger. Lebensmittelvorräte, die lediglich auf einigen Varianten von patentierten Getreidearten basieren, stellen die schlimmste Möglichkeit der Nahrungssicherung dar. Den Ärmsten drohen größere Abhängigkeit und Marginalisierung."
Kritisiert wird vor allem die Entwicklung von "Terminator-Samengut", das die Bauern dazu zwingt, zu jeder Aussaat neues Saatgut zu kaufen, weil es steril ist. 80 Prozent des Getreides werden bislang in den Entwicklungsländern aus Samen der letzten Ernte angebaut. Die sowieso oft bereits verschuldeten kleinen Bauern könnten durch die Verbreitung der Gen-Samen und durch die Konkurrenz mit den großen Betrieben in den Ruin getrieben werden. Nur 10 Konzerne kontrollieren gegenwärtig 85 Prozent des Marktes an gentechnisch veränderten Nutzpflanzen.
Während bislang gentechnisch veränderte Pflanzen wie Soya, Mais, Tabak oder Baumwolle vorwiegend in den USA, China, Kanada und Argentinien angebaut werden, drängen die Biotechnologiefirmen derzeit in die Entwicklungsländer, die, so der Bericht, zum neuen "Schlachtfeld" würden. 50 gentechnisch veränderte Pflanzen werden gerade in 30 Entwicklungsländern getestet. Der Konzern Monsanto hat allein für eine Milliarde Dollar Saatgutfirmen in Brasilien aufgekauft und plant dort eine Fabrik zur Herstellung von Pestiziden für seine Pflanzen. Auch in Indien ist der Konzern aktiv, und er beabsichtigt den Kauf der amerikanischen Delta and Pine Land Company, die zusammen mit dem amerikanischen Landwirtschaftsministerium eine Terminatortechnik zum "Schutz" der Gene entwickelt haben (Terminatortechnik). Terminatortechniken, die für den Bericht allein den Profitinteressen der Konzerne dienen, scheinen im Kommen zu sein.
Der Bericht warnt, daß nur die großen High-Tech-Landwirte wirklich von der Gentechnologie profitieren werden, und fordert dazu auf, die Förderung der Entwicklung von gentechnisch veränderten Getreidearten 5 Jahre lang pausieren zu lassen und alle Gelder in die Entwicklung der organischen Landwirtschaft zu stecken. Untersuchungen in Indien hätten gezeigt, daß allein eine Landreform und bessere Bewässerungssysteme die Ernte um 50 Prozent wachsen lassen würden, während gentechnisch veränderte Pflanzen nur einen Anstieg von 10 Prozent ermöglichen.
Erst vor kurzem hatte die Asian Development Bank in dem Bericht "Rural Asia: Beyond the Green Revolution" davor gewarnt, daß neben anderen Maßnahmen ohne den Einsatz der Gentechnologie die ärmsten Ländern einer wachsenden Hungerkatastrophe entgegen sehen müßten. Da die Gentechnik aber in der Hand von einigen weltweit operierenden Konzernen stehe, wurde dazu aufgefordert, mehr Gelder in die öffentliche Forschung zu investieren, damit die Gentechnologie auch wirklich den Armen zugute komme. Bis zum Jahr 2025 müßte die Nahrungsmittelproduktion um 70 Prozent zunehmen, um der wachsenden Bevölkerung gerecht zu werden. Der Bedarf an Land und Wasser wird weiterhin zunehmen, gleichzeitig würde der Kampf gegen die sinkende Ertragsfähigkeit des Bodens und die zunehmende Erosion immer wichtiger. Noch leben trotz des explosiven Wachstums der Städte 2 Milliarden Menschen in Asien auf dem Land, die meist arm sind. In Südasien alleine muß eine halbe Milliarde Menschen von eine halben Dollar täglich leben. Wenn die Nahrungsmittelproduktion nicht gesteigert werde, drohen soziale Konflikte. Der Generelsekretär der OECD, Donald Johnson, ist der Meinung, daß gerade die Enwicklungsländer den größten Bedarf an Biotechnologie hätten. Überdies werde mit resistenten Pflanzen die Menge an Pestiziden in hohem Ausmaß reduziert: "Die einfache Tatsache ist, daß die sogenannten traditionellen Landwirtschaftstechniken umweltverschmutzend sind."
Monsanto hat auf den Bericht von Christian Aid schnell reagiert. Der Konzern verstehe sich so, daß er sowohl kleinen als auch großen Landwirten helfen wolle, die Qualität, Menge und Verfügbarkeit der Nahrungsmittel zu verbessern. Biotechnologie sei "größenneutral" und erhöhe bei großen und kleinen Bauern die Erträge. Auch für kleine Bauern könnte die Verwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen ökonomisch sinnvoll sein, da man weniger Zeit und Pestizide bei den resistenten Pflanzen benötige. Letztendlich aber liege es, so der Konzern, an den Bauern selbst, ob sie Gen-Samengut überhaupt verwenden wollen. Würde man mit den heutigen Anbaumethoden die doppelte Zahl der Menschen ernähren wollen, was ungefähr in 40 Jahren der Fall sei, bräuchte man mehr als doppelt soviel Land. Letztes Jahr hätten in China bereits 650000 Bauern die Monsanto Bollgard-Baumwolle angepflanzt, wobei 90 Prozent der Samen gegenüber 40 Prozent bei normalen Samengut gekeimt hätten und keine Pestizide benötigt worden seien.
Überdies habe Monsanto noch kein Patent für die Terminatortechnik eingereicht. Man wolle zwar die Firma aufkaufen, die eine solche "theoretische" Möglichkeit entwickelt habe, aber man werde keine Entscheidung über die Kommerzialisierung dieser Technik fällen, bevor ihre Auswirkungen nicht öffentlich diskutiert worden seien. Man stehe bereits in Kontakt mit InterAction, einer Dachorganisation von Entwicklungshilfegruppen, um zu erörtern, wie, unter welchen Bedingungen und von wem diese Technik eingesetzt werden könnte.
Einen Dämpfer könnten die optimistischen Voraussagen über die Effektivität von gentechnisch gegen Schädlinge resistent gemachten Pflanzen allerdings durch neue Forschungsergebnisse erhalten. Ein Experiment an der Kansas State University haben gezeigt, daß Insekten - in diesem Fall der Bohrkäfer, der Mais befällt - nicht nur sehr viel schneller gegen in Pflanzen eingebrachte Insektizide immun werden, als man bisher dachte, sondern diese Immunität auch weitervererben können. Ursache sei, so die Wissenschaftler in Science, daß bei gentechnisch veränderten Pflanzen diese stärker als gewöhnlich dem Insektizid ausgesetzt werden, was ähnlich wie Bakterien zu einer Immunisierung führe. Bislang wurde das Experiment allerdings nur unter Laborbedingungen durchgeführt.