Gernika kämpft gegen das Vergessen des Terrors
Anders als Deutschland hat Spanien auch 75 Jahre nach der Zerstörung seine Schuld an den Kriegsverbrechen im Baskenland nicht anerkannt
Es sind 75 Jahre vergangen, seitdem die deutsche Legion Condor und italienische Flieger die baskische Stadt Gernika (spanisch: Guernica) in Schutt und Asche gelegt haben. Am 75. Jahrestag wird heute Ex-Bundespräsident Roman Herzog in der Stadt mit dem Friedenspreis ausgezeichnet, weil er es vor 15 Jahren gewagt hat, die deutsche Mitschuld an dem Kriegsverbrechen anzuerkennen. Doch Gernika steht nur als Symbol dafür, dass Hitler seine Luftwaffe nicht nur in dem Ort eine neue Kriegsführung erproben ließ. Zuvor ereilte ein ähnliches Schicksal auch die Städte Durango, Eibar und Ermua. Gernika brannte sich vor allem über das Gemälde von Pablo Picasso ins Gedächtnis ein. Noch immer weigert sich Madrid, es im Baskenland auszustellen.
Das Baskenland gedenkt in diesen Tagen daran, dass vor 75 Jahren die deutsche und italienische Luftwaffe baskische Städte dem Erdboden gleichgemacht haben. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei stets der Kleinstadt Gernika zu, die am heutigen Donnerstag seiner vollständigen Zerstörung am 26. April 1937 gedenkt. Spanischen Putschisten, die im Juli 1936 gegen die Republik geputscht hatten, ließen das Wahrzeichen der Basken zerstören, wofür maßgeblich die deutsche Legion Condor aber auch italienische Flieger verantwortlich waren. Das faschistische Deutschland und Italien hatten an der Seite der spanischen Generäle in den dreijährigen Bürgerkrieg eingegriffen, der auf den Putsch folgte.
Gernika wurde zum Synonym für Adolf Hitlers "totalen Krieg". Flächenbombardements wurden zum Herzstück einer neuen Kriegsführung, die man zunächst verdeckt im Baskenland erprobte. Der Terror richtete sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung, die sich an diesem Marktmontag in Gernika tummelte. Denn deren Widerstandskraft sollte gebrochen werden. Zwar behaupteten die Putschisten, Republikaner hätten die Stadt zerstört, doch der britische Journalist George L. Steer war Augenzeuge. Er berichtete in der Londoner Times was wirklich geschah: "Zuerst haben wenige Flugzeuge mit schweren Bomben und Handgranaten die ganze Stadt bombardiert." Danach hätten Jagdflieger das Feuer aus Maschinengewehren auf die Menschen eröffnet, die panisch aus den Schutzräumen gelaufen waren, weil sie zum Teil schon getroffen worden waren. "Das Ziel war offensichtlich, sie wieder in die unterirdischen Verstecke zu treiben." Danach seien erneut schwere Bomben und zahllose Brandbomben abgeworfen worden, "um die Ruinen über ihren Opfern zu verbrennen."
Entsprechend hörten sich auch die Erfolgsmeldungen der Luftwaffe an. Oberst Jaenecke bezeichnet den Angriff auf die Stadt in einem Bericht als "vollen Erfolg für die Luftwaffe". Die einzige Rückzugsstraße "der roten Küste" sei durch Brände und den Schutt "völlig versperrt". Wolfram von Richthofen, Kommandeur der Legion Condor, vermerkte in seinem Tagebuch: "Guernica, Stadt mit 5000 Einwohnern, buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht." Er bestätigte, dass zunächst mit großen, 250-kg-Bomben die Häuser umgeworfen und Wasserleitungen zerstört wurden. "Die Brandbomben hatten nun Zeit, sich zu entfalten und zu wirken. Die Bauart der Häuser: Ziegeldächer, Holzgalerie und Holzfachwerkhäuser, führte zur völligen Vernichtung." Dass es sich um einen Angriff handelte, der weit hinter der Front stattfand und mit Kämpfen in keinem Zusammenhang stand, gestand auch er ein. Man hätte die Voraussetzung für einen "großen Erfolg geschaffen, wenn Truppen nachgerückt wären".
Genaue Opferzahlen des Massakers gibt es nicht, die Zahlen schwanken zwischen 150 und 1300. Die deutsche Beteiligung am Sturz der Republik wurde in Hitler-Deutschland zunächst als Staatsgeheimnis gehandelt. Erst am 6. Juni 1939 ehrte Adolf Hitler in Berlin seine Soldaten für ihren "heroischen Einsatz". Die Straße, auf der einige der eingesetzten Soldaten defilierten, wurde von der "Wannsee-Allee" in die "Spanische Allee" umbenannt. Unter diesem Namen erinnert sie noch heute an die "Helden" im "Kampf gegen den Bolschewismus".
Zu den heutigen Gedenkfeiern in Gernika, mit denen an die Opfer des faschistischen Terrors erinnert wird, gehört auch die Verleihung des 8. Friedenspreises. Er wird in der Stadt vergeben, nachdem sie 2004 von der Unesco - der Kulturorganisation der UNO - für ihren herausragenden Einsatz für "Frieden und Versöhnung" ausgezeichnet wurde. Der "Gernika-Preis für Frieden und Versöhnung" geht in diesem Jahr unter anderen an den früheren deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog. Obwohl 1997 der Bundestag die deutsche Mitschuld an dem Kriegsverbrechen nicht eingestehen wollte, erkannte sie Herzog zum 60. Jahrestag der Bombardierung an. "Ich möchte mich der Vergangenheit stellen und mich zur schuldhaften Verstrickung deutscher Flieger ausdrücklich bekennen", schrieb er in einem Grußwort an die Überlebenden. Ihnen bot er seine "Hand mit der Bitte um Versöhnung" an.
Das wird Deutschland im Baskenland noch immer hoch angerechnet. Dass sich schließlich 1998 auch der Bundestag für die Zerstörung der Stadt entschuldigte, ist bis heute eher unbedeutend geblieben, weil dies verspätet kam und nachgeschoben wirkt. Dazu hat auch beigetragen, dass dieser Geste vom Bundestag nur wenig folgte. Die Regierung unter Helmut Kohl bewilligte lediglich drei Millionen Mark als Zuschuss zum Bau einer Sporthalle. Dies blieb bis heute die einzige "Wiedergutmachung", wenngleich die Deutschland auch an der Zerstörung anderer baskischer und spanischer Städte beteiligt war.
Auch nach der Diktatur war bisher keine Regierung in Madrid bereit, die Kriegsverbrechen in Gernika anzuerkennen
Allerdings trifft schon dieses insgesamt eher peinliche deutsche Verhalten deshalb auf große Anerkennung im Baskenland, weil man hier ganz anderes gewohnt ist. Spanien ist auch heute noch nicht bereit, seine Verantwortung für die Kriegsverbrechen anzuerkennen und Schritte zur Versöhnung zu gehen. Gernikas Bürgermeister, José María Gorroño, hat vor dem Jahrestag deshalb erneut Madrid aufgefordert, Deutschland zu folgen und anzuerkennen, dass "der Befehl zur Bombardierung Gernikas von Franco kam". Gorroño betonte, dass mit der Stadt ein "Symbol der Freiheit" getroffen werden sollte. Eine der "ältesten Demokratien in Europa" sollte getroffen werden.
Ausgewählt hatten die Franquisten den Ort, der eine besondere historische Bedeutung für die Basken hat. Denn die Könige von Kastilien bestätigten nach ihrer Thronbesteigung jeweils die Sonderrechte sowie politische und wirtschaftliche Privilegien der Basken in den sogenannten "fueros". Den Schwur legten sie dabei jeweils unter und der Eiche von Gernika ab, weshalb die Stadt bis heute das Wahrzeichen der baskischen Selbstbestimmungsrechte ist. Die sollten von einer "Bewegung" ausgelöscht werden, die Spanien als "unteilbares gemeinsame Vaterland aller Spanier" zu verteidigen vorgab.
Seit dem Ende der Diktatur 1975 war bisher keine Regierung in Madrid dazu bereit, die Kriegsverbrechen in Gernika und im Baskenland anzuerkennen. Die nun erneut regierende Volkspartei (PP) hat sich nicht einmal vom Putsch und den Jahrzehnten der brutalen Franco-Diktatur distanziert. Die Partei wurde von Manuel Fraga Iribarne gegründet, der 1962 bis 1969 Informations- und Tourismusminister Francos war. Iribarne war bis zu seinem Tod im Januar Ehrenpräsident und Mentor von Ministerpräsident und Parteichef Mariano Rajoy (Der umstrittenste Spanier ist gestorben).
Doch auch die spanischen Sozialisten (PSOE), die ebenfalls in der Diktatur gegen Franco kämpften, ließen in ihren Regierungszeiten den 50. als auch 70. Jahrestag ungenutzt verstreichen und waren zu keiner Entschuldigung oder Geste der Versöhnung bereit. Sie hatten stets vor der starken Rechten Angst, weshalb nicht einmal die Opfer der Franquisten rehabilitiert und die Massengräber geöffnet wurden, wie es sich die Angehörigen in den Jahren zwischen 2004 und 2011 erneut erhofft hatten (Katholische Kirche stellt sich hinter Franquisten).
So weigerten sich die Sozialisten ebenfalls vor fünf Jahren, dass Pablo Picassos "Guernica" zum Jubiläum im Baskenland ausgestellt werden konnte. Mit seinem wohl berühmtesten Gemälde hat der spanische Maler das Grauen von Bombardements wie in Gernika ins Gedächtnis der Welt gebrannt. Und so war es wohl auch kein Zufall, dass US-Außenminister Powell eine Kopie davon verhängen ließ, als er vor dem UN-Sicherheitsrat 2003 von den angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak fabulierte (Der Luftkrieg gegen die Städte. Um diese nie vorhandenen Waffen zu zerstören, wurde das Land von den USA, Großbritannien, Spanien und anderen Ländern schließlich angegriffen und massiv bombardiert. Wie in Gernika wurde dabei erneut auch die Zivilbevölkerung zum Ziel (Bewusste Bombardierung der Zivilbevölkerung in Bagdad).
Spanien verschanzt sich bei der Ablehnung, das Bild ins Baskenland zu transportieren, stets hinter technischen Schwierigkeiten. Obwohl es schon in Paris und New York und in Madrid im Museum Prado ausgestellt wurde und nun im Madrider Reina Sofía hängt, blieb das Baskenland außen vor. Bürgermeister Gorroño von Gernika hält es schlicht für eine "Ausrede", dass Kultusminister José Ignacio Wert im März den "Konservierungszustand" angeführt hat, weshalb jeder Transport "nicht ratsam" sei und ein "Risiko" darstelle: "Wir fordern das Gemälde als Anerkennung der Leiden unserer Väter und Großväter durch das Bombardement."
Provoziert die rechte spanische Regierung?
Die neue Regierung hat sich offensichtlich im Rahmen der Gedenkfeiern sogar zu Provokationen entschlossen. Denn so stufen es die Basken ein, dass ausgerechnet am Dienstag spanisches Militär zu Übungen im Dorf Elgeta einlief. Das war genau der Tag, an dem auch dieses Dorf vor 75 Jahren bombardiert wurde und nach sieben Monaten im Widerstand in die Hände der Putschisten fiel. Sie bekamen "freie Hand zum Mord und Vergewaltigung", sagte Bürgermeister Oxel Erostarbe.
Wie Zeitzeugen gegenüber Telepolis bestätigt haben, wurden praktisch alle waffenfähigen Männer im Dorf nach der Einnahme ermordet. Das sei die Rache dafür gewesen, dass baskische Nationalisten gemeinsam mit Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten erbitterten Widerstand am Intxorta geleistet hatten, einem Berg nahe Elgeta. Da im Dorf verschiedene Massengräber gefunden wurden, haben sich die Berichte bestätigt. "Ohne um Verzeihung gebeten zu haben, kommen sie genau an dem Tag wieder bewaffnet nach Elgeta", empörte sich Erostarbe.
So ist auch das kleine Elgeta ein Beispiel für massive Bombardements deutscher und italienischer Bomber. Anders als in Gernika wurde hier aber auch in die Kampfhandlungen eingegriffen und auch Abwehrstellungen zerstört. Das ermöglichte es den faschistischen Truppen schließlich, in das Örtchen vorzudringen. In Gernika war das nicht einmal geplant. Das Schicksal Gernikas teilten aber auch andere baskische Städte. Schon fast vier Wochen vor dessen Bombardierung wurde das baskische Durango zerstört, wo es ebenfalls 500 Todesopfer gegeben haben soll. Am Tag vor der Bombardierung Gernikas traf es die Städte Eibar und Ermua, die ebenfalls weitgehend zerstört wurden. In beiden Städten wurde schon am Mittwoch an die Massaker erinnert. Dass auch Eibar angegriffen wurde, ist sicher auch kein Zufall. Es war die erste Stadt in Spanien, welche die zweite Republik ausgerufen hatte. Sie begann am 14. April 1931, als der spanische König Alfons XIII. mit seiner Familie das Land verließ. Die zweite Republik begann mit einem Volksfest und endete acht Jahre, nachdem Franco 1939 den Bürgerkrieg in einem Blutbad gewann.