Gerontokratie: Wie die USA in die Hand einiger Greise geraten sind
![](https://heise.cloudimg.io/width/700/q75.png-lossy-75.webp-lossy-75.foil1/_www-heise-de_/imgs/18/4/2/9/8/8/0/6/Bildschirmfoto_2023-09-08_um_10-b60d69d245f50f00.png)
Kalter Krieg statt Klimakrise: Biden, Feinstein, McConnell. Bilder: gov.pl, CC BY 3.0 PL / Benjamin Dunn, CC BY-SA 2.0 / Gage Skidmore, CC BY-SA 2.0
Einige Spitzenpolitiker in den USA sind aufgrund ihres Alters kaum mehr arbeitsfähig. Warum das ein Problem ist. Und was es über die politische Kultur aussagt.
Die USA werden mehrheitlich von alten Männern regiert. Das beste Beispiel findet sich an der Staatsspitze: Im November nächsten Jahres wird sich Präsident Joe Biden im Alter von 81 Jahren erneut zur Wahl stellen.
Bidens derzeit wahrscheinlichster Konkurrent um den Sitz im Weißen Haus bei der nächsten Wahl wird aller Voraussicht nach der 78-jährige Donald Trump sein. Auch im Senat und im Repräsentantenhaus ist das Durchschnittsalter deutlich höher als in der Bevölkerung.
Das Thema wird von der Washington Post bis hin zur FAZ diskutiert: Die USA werden von Seniorinnen und Senioren regiert – mit weitreichenden Folgen.
Der amtierende Präsident ist bekannt für seine "kleinen Ausrutscher", die zwar nicht schlimm sind, aber sowohl politischen Gegnern als auch Verbündeten berechtigten Anlass geben, an seiner Führungsfähigkeit zu zweifeln.
So antwortete Biden im Juni dieses Jahres auf die Frage, ob er glaube, dass der russische Präsident Wladimir Putin durch die Meuterei der Wagner-Gruppe geschwächt worden sei:
Es ist schwer zu sagen, aber [Putin] verliert eindeutig den Krieg im Irak, er verliert den Krieg zu Hause. Und er ist in der ganzen Welt so etwas wie ein Paria geworden.
Andere Entgleisungen des Präsidenten waren harmloser. So beendete der 80-Jährige im selben Monat eine Rede zur gesetzlichen Regelung des Waffenbesitzes mit dem Spruch "God Save the Queen, man".
Es ist beunruhigend, dass der "Führer der freien Welt" Kriege und Staatsoberhäupter verwechselt. Auch ist der alte Mann an der Spitze des Staates nicht der einzige in den oberen Rängen der Macht, vielmehr ist Joe Biden geradezu umgeben von einer Führungsriege uralter Powerbroker mit entsprechenden Gebrechen, die sich trotz aller Kritik von Medien und politischen Gegnern weigern, ihre Sitze im Kongress zu räumen.
Zuletzt machten vor allem die älteren Mitglieder des Senats Schlagzeilen, allen voran Mitch McConnell und Dianne Feinstein. McConnell, Senator aus Kentucky, Minderheitsführer der Republikaner im Senat und einer der mächtigsten Republikaner, erstarrte im Juli dieses Jahres bei einer Pressekonferenz und blieb 19 Sekunden lang stumm, bevor er von den Kameras weggeführt wurde.
Der 81-jährige McConnell kehrte kurz darauf zurück, setzte die Pressekonferenz fort und sagte zu den Reportern: "I am fine". Ironischerweise ging es bei der Pressekonferenz unter anderem um die Frage, ob der 81-Jährige noch einmal zur Wahl antreten werde.
Diese Frage hat sich für Dianne Feinstein, eines der ältesten Senatsmitglieder, erledigt: Im Februar kündigte die Demokratin aus Kalifornien an, 2024 nicht mehr für den Senat kandidieren zu wollen. Dennoch weigert sich Feinstein beharrlich, ihren Senatssitz vorzeitig aufzugeben, obwohl die mittlerweile 90-Jährige offensichtlich Schwierigkeiten hat, ihren Pflichten als Senatorin nachzukommen.
Im Juli wirkte Dianne Feinstein bei einer Abstimmung über eine Gesetzesvorlage zum Verteidigungshaushalt so verwirrt, dass sich ein Senatskollege genötigt sah, einzugreifen. Zudem stimmte Feinstein in derselben Sitzung "falsch" ab und korrigierte sich erst nach dem Hinweis eines Mitarbeiters.
Altersschwache US-Politiker: Mitarbeiter übernehmen das Ruder
Die Causa Feinstein verdeutlicht die wichtige Rolle der "Congressional Aides", der Mitarbeiterinnen, Assistentinnen und Beraterinnen, mit denen sich Senatoren, Kongressabgeordnete und Präsidenten umgeben. Natürlich sind Senatoren in hohem Maße von ihren Mitarbeitern abhängig. Aber Feinsteins Gedächtnisprobleme bedeuten seit Jahren, dass sie ohne die Hilfe ihrer Angestellten praktisch handlungsunfähig wäre.
Die New York Times beschreibt die Beziehung von Feinstein zu ihren Beratern wie folgt:
Sie schieben ihren Rollstuhl, erinnern Sie daran, wie und wann sie abstimmen soll, und springen ein, um zu erklären, was passiert, wenn sie verwirrt ist. Sie bleiben bei ihr in der Garderobe in der Nähe des Senatssaals, wo Frau Feinstein darauf wartet, dass sie an der Reihe ist, um abzustimmen, um dann nur kurz in der Tür zu erscheinen, um ihre Stimme in Form eines "Ja" oder "Nein" vom äußersten Rand des Saales abzugeben.
Wenn die Mächtigen des Landes dermaßen verwirrt scheinen, dass ihre Mitarbeiter sie nur kurz unbeaufsichtigt lassen können, ergibt sich schnell ein Bild übersteigerten Einflusses ebendieser auf ihre Vorgesetzten. Ja, es könnte der Eindruck entstehen, das Land würde nicht von gewählten Vertretern der Bürgerschaft, sondern Bürokraten regiert.
Dieses Bild des politischen Tagesgeschäfts in Washington ist dem Glauben in die US-Demokratie sicherlich nicht zuträglich. Andererseits kann man, angesichts der geistigen Aussetzer des US-Präsidenten, die, anders als mitunter behauptet, nichts mit seinem Stottern zu tun haben, wahrscheinlich froh sein, dass dieser von Beraterinnen umgeben ist. Das gilt im Übrigen auch für Donald Trump.
Doch die Gerontokratie in den USA hat auch direkte politische Folgen: Staats- und Regierungschefs treffen Entscheidungen für künftige Generationen, die mit den Folgen dieser Entscheidungen zurechtkommen müssen. Vielleicht ist es naiv zu behaupten, dass jüngere Politiker eher bereit sind, sich mit dem Klimawandel zu befassen als diejenigen, die nicht mehr mit dessen womöglich katastrophalen Auswirkungen konfrontiert sein werden.
Doch scheint es immerhin wahrscheinlicher, dass sich eine jüngere Generation von Politikerinnen dieser Krisen annimmt als eine, deren politisches Verständnis noch in der Tradition des Kampfes gegen die Sowjetunion steht.
Kein Wunder, dass die derzeitige Regierung mehr mit dem schwelenden Konflikt mit China und Russland beschäftigt ist. Vielleicht wäre es sinnvoller, sich darum zu kümmern, dass von der Welt noch etwas übrig bleibt, anstatt sie mit China aufzuteilen.
Jüngere Politikerinnen, die dieses Weltbild in Frage stellen, werden bestenfalls ausgelacht, schlimmstenfalls ausgebremst. Auch unter Demokraten.
Es spricht Bände über die innerparteilichen Machtstrukturen, dass der politische Einfluss des "Squad", einer Gruppe junger Kongressabgeordneter, in den ersten beiden Jahren der Biden-Führung stetig abnahm. Seit den Zwischenwahlen gibt es wieder eine republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus, und schon sind die jungen Progressiven bei ihren Kolleginnen wieder beliebter, weil sie die republikanische Mehrheit wieder kritisieren.
Die Squad-Mitglieder scheinen sich mit ihrer Rolle abgefunden zu haben und sehen ihre neue Minderheitenposition sogar als politische Chance. Progressive junge Stimmen sind also bei den Demokraten erwünscht, solange sie nicht an der Macht sind und ihre Kritik gegen die Republikaner richten.
Demokraten: Junge Abgeordnete als "f---ing idiots"
Gerade die Biden-Regierung scheint für die jungen Wilden im Repräsentantenhaus nicht viel übrigzuhaben.
Bidens Berater und Ex-Abgeordneter Cedric Richmond bezeichnete sie laut einem im vergangenen Jahr erschienenen Buch sogar als "f---ing idiots".
Auch der Berater des Präsidenten, Steve Ricchetti, hat offenbar wenig Sympathie für die jungen Progressiven im Repräsentantenhaus. Einem Verbündeten Bidens auf dem Capitol Hill sagte Ricchetti, das Problem mit der Linken sei, dass sie nicht verstehe, dass sie verloren habe. Nun, diese Erkenntnis dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Aber warum kapituliert die US-Wählerschaft vor der Gerontokratie?
Um es kurz zu machen: Theoretisch steht die US-Bevölkerung vor einem politischen Generationswechsel, schon für das Jahr 2020 prognostizieren Studien und Presse in den USA, dass die Millennials und die Generation Z kurz davor stehen, die größte Wählergruppe zu werden. Um wählen zu können, muss man sich in den USA allerdings vorher registrieren lassen.
Ein Vorgang, der älteren Wählerinnen mit größerer Parteinähe selbstverständlicher erscheint als jüngeren. Das Ergebnis: Die registrierte Wählerschaft in den USA wird eher älter als jünger. Im Jahr 2020 werden 52 Prozent der registrierten Wähler 50 Jahre und älter sein, 1996 waren es noch 41 Prozent.
Auch die Zwischenwahlen 2022 erweckten nicht unbedingt den Eindruck, dass die Dominanz der Babyboomer bald enden würde. So waren 77,9 Prozent der 65- bis 74-Jährigen als Wähler registriert - der höchste Anteil aller Altersgruppen. Zum Vergleich: Bei den 18- bis 24-Jährigen waren es nur 49,1 Prozent.
Das bestehende System scheint also ältere Wähler zu bevorzugen, die eher die Ansichten ihrer Altersgenossen teilen. Der geringere Anteil bei den jüngeren Wählerinnen ist wahrscheinlich auf mangelnde Begeisterung für ein von den Alten dominiertes Zweiparteiensystem zurückzuführen, das so eingespielt ist, dass der eine oder andere senile Abgeordnete kaum eine Rolle zu spielen scheint.
Dabei geht es nicht unbedingt um das Alter der Kandidaten, sondern darum, ob sie glaubwürdig einen echten politischen Kurswechsel versprechen. Das ist auch der Grund, warum die meisten jungen Menschen 2020 Bernie Sanders gegen Joe Biden unterstützen.
Es ist also weniger die Herrschaft der Alten, die stört, sondern ein politisches System, das keinen wirklichen Strukturwandel zulässt. Das hegemoniale System der USA ist auf der Ideologie des Kalten Krieges aufgebaut, daher ist es nur logisch, dass es von "Kalten Kriegern" verwaltet wird.
Zumindest vorerst, denn auch sie werden irgendwann aussterben. Ob der neue Kalte Krieg mit China in der Lage ist, eine ähnliche Ideologie zu reproduzieren, oder ob reale Krisen wie der Klimawandel in den politischen Fokus rücken, wird sich zeigen. Die Zeit drängt.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.