Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung

Rechtspopulismus und Extremismus der Mitte: Beides auf dem Vormarsch?

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Die Bürger in Deutschland erhoffen sich kaum mehr etwas von ihren politischen Entscheidungsträgern, da bringt auch der kleine Höhenflug der Wirtschaft bislang nichts. Dem Extremismus von Rechts öffnet das Tür und Tor. Nur sind es nicht nur die Extremisten, die mittlerweile den Glauben an die Regierung verloren haben

Man kann das Wort schon gar nicht mehr hören. Die "neue Mitte" ist immer und überall. Mal ist es das Regierungsgemisch aus SPD-CDU, dann ist es Berlins Szenekiez Friedrichshain, in den seit Jahren neu-ökonomisch motivierte Westler ziehen. Auch der Extremismus gilt plötzlich als "mittig", die Rede ist sogar vom neuen "Extremismus der Mitte".

Die Mitte, so aufregend sie auf der einen Seite sein mag, so beunruhigend ist sie auf der anderen Seite. Vor allem eine fortschreitende Wahlapathie und Regierungsskepsis treiben bisweilen Politikern, Wissenschaftlern und den Bürgern selbst breite Runzelfalten auf die Stirn.

Man ist besorgt um Deutschland. "Das Volk hört weg" titelte Die Zeit erst vor wenigen Wochen. Um aussagekräftige Zahlen brauchte man sich in letzter Zeit auch wirklich nicht zu sorgen: Der Trend zur steigenden Wahlenthaltung hat sich in Deutschland fortgesetzt - das gerade auf der Landes- und Kommunalebene, aber auch bei der letzten Bundestagswahl war die Wahlbeteiligung niedriger als je zuvor. Auch sind derzeit nur drei von zehn Bundesbürgern mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden, das ergeben die neusten Zahlen von Infratest-dimap (März 2007).

Selbst die momentane positive Beurteilung der Wirtschaftslage durch die Bürger bringt der schwarz-roten Bundesregierung also noch keine großen Pluspunkte. Generell sind die Bürger schon seit über 25 Jahren immer weniger der Meinung, dass die richtigen Leute sie regieren, das stellt der Berliner Politologe Oskar Niedermayer in seinem Buch "Bürger und Politik" fest. Obwohl bis Ende der 80er Jahre noch meist die positiven Beurteilungen gegenüber der Führungsriege überwogen haben.

Mehrheitsmarke des Misstrauens

Ist die Mitte noch zu retten? Der Missmut gegenüber der Regierung scheint ungebremst, und doch verfallen die Bürger heute selbst in Extremsituationen kaum in plakative Pauschalrhetorik. Der CDU-Spendenskandal von 1999/2000 wurde beispielsweise von einer Mehrheit der Bürger differenziert bewertet. Dem Ansehen der Politik hat das trotzdem massiven Schaden zugefügt.

Das Misstrauen gegenüber der Regierung muss heute stark im Zusammenhang mit den Politikskandalen der letzten Jahre, vor allem aber mit den ökonomischen Verhältnissen gesehen werden. Die Mehrheitsmarke des Misstrauens gegenüber der Institution Bundesregierung wurde schließlich erstmals in der zweiten Hälfte der 90er Jahre unter der Regierung Kohl überschritten, als die Bundesregierung 1997 deutliche Einschnitte ins soziale Netz vornahm. Bei den Beurteilungen gegenüber der Institution Bundestag sah das nicht viel anders aus. Und andere Zeiten sind das heute auch nicht.

So lehnten Mitte 2005 fast drei Viertel der Bevölkerung weitere Kürzungen von Sozialleistungen ab. Insbesondere beim Thema soziale Gerechtigkeit gehen heute die Ansichten von Wählern und Gewählten nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung weit auseinander. Politiker halten demnach die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland mehrheitlich für gerecht, die Bürger nicht.

Umso beachtlicher ist es dann, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen der Idee der Demokratie noch immer zustimmt, wenn es auch ein starkes Ost-West-Gefälle gibt und auch knapp drei Viertel der Westdeutschen die im Grundgesetz festgelegte Ordnung für die beste Staatsform halten, bei den Ostdeutschen das aber nur etwa ein Drittel sind.

Die Ostdeutschen sind auch mehr als die Westdeutschen mit dem Funktionieren der Demokratie (Performanz) unzufrieden. Und doch meldete Infratest dimap Ende letzten Jahres einen allgemeinen Tiefstand - zum ersten Mal sei eine Mehrheit der Deutschen (51 Prozent) "weniger" oder "gar nicht zufrieden" mit der "Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert".

Die Frage ist natürlich immer auch, was versteht man unter einer Demokratie? Während für die Mehrheit der Ostdeutschen Gleichheit vor Freiheit gilt, ist das bei den Westdeutschen umgekehrt. Und bei genauerem Hinsehen zeigt sich auch, dass die absolute Mehrheit der Bürger heute zwar dem Bundespräsident, dem Bundesverfassungsgericht und auch der Polizei und der Bundeswehr als Teil der Demokratie vertraut, zwei Drittel misstrauen aber den parteistaatlichen Institutionen - im Frühjahr 2004 hatte dieser Trend zunächst einen Höchststand erreicht. Die Parteien sind neben dem Bundesverfassungsgericht aber gerade die Hüter der Demokratie. Sie diskutieren und verabschieden Gesetzestexte.

Das machen keine Umweltschutzorganisationen und auch keine Bundeswehrtruppen. Nur ist heute eben nicht mehr klar, wer wo und auch für was steht. Sind die Grünen noch für den Baum vor der Haustür, bündelt die SPD noch Arbeitnehmerinteressen? Das waren einmal rhetorische Fragen. Was aber unterscheidet heute noch SPD von CDU, CDU von Grün und Grün von SPD? Viele Bürger wissen das nicht mehr.