Gesellschaftlicher Dialog oder Pistole auf der Brust?
Schlagabtausch zwischen Gegnern und Befürwortern der Düsseldorfer Sperrungsverfügungen
Gleich zwei Kongresse in Düsseldorf beschäftigten sich mit Hassseiten im Internet und den von der Bezirksregierung Düsseldorf verhängten Sperrungsverfügungen. Schon im Vorfeld war ein Schlagabtausch zwischen Gegnern und Befürwortern dieser Maßnahme erwartet worden - die Zuhörer wurden in dieser Hinsicht nicht enttäuscht. (siehe Krieg der Kongresse) Allein im Kampf gegen Hass-Seiten scheinen keine nennenswerten Erfolge verbucht worden zu sein.
Die Einladung zum Dialog kam etwas spät. Als sich die Teilnehmer am Dienstag des Kongresses "Hass und Gewalt im Internet" im feudalen Schlösschen der Bezirksregierung Düsseldorf versammelten, hatte die Behörde schon längst Fakten geschaffen. Die Sperrungsverfügungen waren vor über einem halben Jahr abgeschickt worden, die Fronten bereits verhärtet.
Und so überraschte es nicht, dass der Regierungspräsident Jürgen Büssow in seiner Eröffnungsansprache kein allgemeines Plädoyer über die Grenzen der Meinungsfreiheit hielt, sondern ganz gezielt die Sperrungsanordnungen seiner Behörde als einziges Mittel gegen Hass-Seiten herauszustellen versuchte.
Kuriose Vergleiche
Kurioserweise griff Büssow in seiner Beweisführung auf den Fall "listen4ever" zurück. Im August hatten 13 Plattenlabel mehrere amerikanische Provider verklagt, den Zugang auf eine nach US-Recht illegale MP3-Seite zu sperren.
"Erstaunlicher Weise wird hier die Freiheit, Zugang zu allen Daten zu haben, plötzlich dann nicht mehr als schützenswert angesehen, wenn es um Gewinneinbußen geht. Informations- und Meinungsfreiheit sollen eingeschränkt werden, und zwar nicht zum Schutz von Minderheiten und vor Straftaten, sondern allein mit dem Zweck der Profitsicherung [...] Wieso meldet sich an dieser Stelle nicht der eco-Verband, um die Belange der Internet-Wirtschaft zu schützen?"
Peinlich nur, dass Büssow den Ausgang der Episode aus den USA nicht erwähnt hat: die Klage wurde zurückgezogen, weil das MP3-Portal sowieso nicht mehr erreichbar war. Fraglich blieb auch, wieso sich der Verband der deutschen Internet-Wirtschaft zu US-Klagen äußern soll oder inwieweit die Musikindustrie als Garant für Freiheitsrechte taugt.
Der Eindruck, dass es mehr Kritik als Zustimmung zu seinem Vorgehen gebe, sei das Ergebnis der Berichterstattung über das Thema und "unseriöser Kampagnen" der Gegner. So hatte der Chaos Computer Club am Tag zuvor auf seiner "Konferenz zu Informationsfreiheit, Kontrolle von Inhalten und Zensur im Internet" behauptet, Büssow würde durch Europa reisen und Kinderpornos zeigen. An der erwähnten Konferenz in London habe er nicht teilgenommen.
Gegner vor Ort
Den Rest der CCC-Konferenz verschwieg Büssow. Dort hatte unter anderem die Jura-Dozentin an der Universität Göttingen, Irini Vassilaki, die Sperrungsverfügung und die Ablehnung der Widerspruchsbescheide analysiert und zahlreiche juristische Fehler ausfindig gemacht. Zahlreiche der 50 Zuhörer der CCC-Veranstaltung waren auch zu der Bezirksregierung gekommen und machten sich dort teilweise durch Zwischenrufe bemerkbar.
Um die Zuhörerschaft auf das Thema einzustimmen präsentierte Jürgen Schütte, der Leiter der Medienaufsicht, Internet-Inhalte, die nach Meinung der Bezirksregierung nicht zu tolerieren seien. Dazu gehörten altbekannte Spiele wie KZ-Manager, aber auch Neonazi-Kontaktbörsen. Trauriger Höhepunkt war ein MP3 mit dem Titel "Der Tag, an dem Ignatz Bubis starb". Im Anschluss daran sprach Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er appellierte an die Zuhörer, dass der Kampf gegen Rassismus nicht die Angelegenheit der Minderheiten sei: "Antisemitismus ist das Problem des ganzen Volkes."
Wolfgang Cremer vom Bundesamt für Verfassungsschutz gab einen Überblick über die Nutzung des Internet durch Rechtsextremisten. Die Anzahl der rechtsextremen Seiten sei im letzten Jahr von 1300 auf 920 gefallen. Ursache seien unter anderem kommerzielle Provider, die keine rechtsradikalen Inhalte mehr auf ihren Servern duldeten. Da sich mittlerweile auch Rechtsextremisten als Provider betätigten, sei jedoch mit einem Ansteigen der Anzahl zu rechnen. Dabei sind jedoch nur 15 Prozent der Seiten tatsächlich strafrechtlich relevant.
Für juristischen Hintergrund sorgten Professor Peter Mankowski von der Universität Hamburg und Richter Jean-Jaques Gomez aus Paris, der den Internet-Konzern Yahoo dazu verurteilt hatte, Nazi-Memorabilia nicht für französische Kunden zugänglich zu machen (Hyperaktive Pariser Richter). Ein US-Gericht hatte zwar die Gültigkeit diese Urteils verneint, die Firma selbst hat jedoch später Internet-Auktionen mit den beanstandeten Waren aus dem Angebot genommen. Gomez beklagte, dass die Internetprovider nicht aus eigenem Antrieb täten, was in ihrer Macht liege.
Lobbygruppen statt Staat?
Immer wieder kam das Gespräch auf die USA, da dort rechtsradikale Seiten unter die Meinungsfreiheit fallen. Trotzdem werden Hass-Seiten dort immer weiter zurückgedrängt: Lobby-Gruppen bauen gesellschaftlichen Druck auf, bis Internetfirmen reagieren. Für diese Vorgehensweise sprach auch Andreas Schwenzer, der seine Sicht als Internet-Referent der Deutschen Bischofskonferenz vorstellte. "Wir werden uns mit den Amerikanern unterhalten müssen". Zudem sei der Rechtsweg oft viel zu lang und umständlich im schnelllebigen Internet. Unerwartet hart sprach er sich gegen Internet-Sperren aus: "Es wäre falsch, die Augen zu verschließen".
Als dritte Möglichkeit wurden benutzerautonome Filter angesprochen. Carsten Welp von der Bertelsmann-Stiftung stellte das ICRA-Modell vor, dass es dem Benutzer selbst erlaubt, Seiten zu filtern und aus verschiedenen Positiv- oder Negativ-Listen auszuwählen (Wirtschaft will Jugendschutz stärker selbst in die Hand nehmen). Von vielen Teilnehmern des Kongresses wurde dieses Konzept als Schritt in die richtige Richtung akzeptiert.
Internet als rechtsfreier Raum?
Immer wieder tauchte die Behauptung auf, die Gegner der Sperrverfügungen forderten, einen rechtsfreien Raum im Internet. CCC-Sprecher und ICANN-Direktor Andreas Müller-Maguhn verneinte dies. Er als Deutscher müsse sich selbstverständlich für seine Taten im Internet verantworten, wie jeder Bürger sich an die Gesetze seines Heimatlandes halten müsse. Die Sperrungsverfügungen seien ein "fast nationalistischer Ansatz". Er sehe vor allem eine große Gefahr darin, es dem Staat zu überlassen, was die Bürger sehen dürften. Stattdessen sei eine Förderung von kritischem Denken von Nöten. "Man muss aufpassen, welche Mitteln in die Hand genommen werden". Gerade vor dem geschichtlichen Hintergrund Deutschlands müsse man da vorsichtig sein.
Bei dem Gastgeber Jürgen Büssow forderten diese Thesen heftigen Widerspruch hervor: "Wenn ich in einer Gesellschaft Minderheiten habe, die angegriffen werden, kann ich Ihnen nicht sagen, sie sollen sich einen Filter anschaffen". Selbstregulierungen und private Sperraktionen seien nicht ausreichend und intransparent. Über den Gerichtsweg will er klären lassen, dass Internetsperrungen rechtens seien. Mit den Kritikern ging er hart ins Gericht: Er habe Angst vor einer Gesellschaft, in denen Leute wie Müller-Maguhn das Sagen hätten. Zu Alvar Freude, Initiator von odem.org sagte er: "Sie wollen die Taten anschauen".
Konkrete Angaben zum weiteren Vorgehen der Bezirksregierung machte er nicht. Die Sperrung der ersten zwei Seiten seien Präzedenzfälle. Inzwischen gebe es 12 Prozesse gegen die Sperrungsverfügungen und einen gegen die Anordnung zur sofortigen Vollstreckung. Fünf verschiedene Verwaltungsgerichte beschäftigen sich mit dem Thema. Bis zu ersten Stellungnahmen wird es noch Wochen dauern, bis zu Urteilen wahrscheinlich Jahre. Eine Atempause für die Beteiligten gibt es aber nicht. Wenn die Bezirksregierung Kenntnis von weiteren unzulässigen Seiten erhalte, werde sie auch eine weitere Sperrungsverfügung erlassen.