Gesicht zeigen für das Recht auf Abtreibung

Befürworter eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs melden sich wieder zu Wort. Es sollte aber auch über eine Gesellschaft diskutiert werden, in der Schwangerschaftsabbrüche überflüssig werden

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"Wir machen Schwangerschaftsabbrüche", lautete in der letzten Woche die Schlagzeile auf der Titelseite der linksliberalen Taz. Daneben standen die Fotos von 27 Ärztinnen und Ärzten, die sich mit ihrer Kollegin Kristina Hänel solidarisierten, die in der letzten Woche zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

Ein Abtreibungsgegner hatte die Ärztin angezeigt, weil sie auf ihrer Homepage unter medizinischen Angeboten auch den Schwangerschaftsabbruch aufführte. Damit verstoße sie gegen den Paragraphen 219 a des Strafgesetzbuches, der die Werbung für Abtreibung unter Strafe stellt. Dort heißt es:

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise


1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder


2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung


anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 219a, STGB

Diskussion über Abschaffung des Paragraphen 219a

Lange Zeit war dieser Paragraph 219 a nur wenigen bekannt. Das hat sich in den letzten Wochen geändert. Es ist nicht das erste Mal, dass die sich Lebensschützer nennenden Abtreibungsgegner diesen Paragraph zur Grundlage von Anzeigen gegen Ärtzinnen und Ärzten nutzen. Es gab auch Verurteilungen.

Doch bisher gingen die Betroffenen nicht an die Öffentlichkeit. Kristina Hänel aber will nicht nur gegen ihre Verurteilung durch alle Instanzen bis auf die europäische Justizebene gehen. Sie will auch mit ihren öffentlichen Protest eine Diskussion über die Abschaffung des Paragraphen 219 a anstoßen.

Sie scheint Erfolg zu haben. In vielen Medien werden Argumente für eine Abschaffung dieses Paragraphen gesammelt. Da gibt es historische Argumente. Der Paragraph wurde am 26. Juni 1933 eingeführt und war Teil der NS-Bevölkerungspolitik.

Doch es gibt auch viele aktuelle Gründe, für die Abschaffung des Paragrafen einzutreten. Er erschwert Frauen in Notlage Informationen über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs. Eine Petition gegen die Kriminalisierung der Information über Schwangerschaftsabbrüche findet viel Zustimmung. Höhepunkt ist öffentliche Selbstbezichtigung von Medizinerinnen und Medizinern, dass sie Abtreibungen anbieten.

So hat eine mutige Ärztin, die sich öffentlich gegen ihre Krimalisierung wehrt, dazu geführt, dass die Gegner der Kriminalisierung von Abtreibungen wieder in die Offensive kommen. In den letzten Jahren haben die Lebensschützer versucht, die öffentliche Meinung für sich einzunehmen. Die alljährlichen Märsche für das Leben waren aber immer von Gegenprotesten begleitet.

Historische Reminiszenzen

Mit der Kampagne gegen den Paragraphen 219a wird an eine Aktion von 1971 angeknüpft, die Geschichte geschrieben hat. "Wir haben abgetrieben", lautete das Motto einer Selbstbezichtigungskampagne prominenter Frauen, die ein wichtiger Meilenstein nicht nur für die feministische Bewegung war. Die Kampagne war gleichzeitig ein wichtiges Dokument eines gesellschaftlichen Aufbruches jener Jahre.

Es war auch ein Ausdruck der Solidarität. Frauen aus dem Bürgertum hatten seit jeher die Möglichkeit, dass Abtreibungsverbot zu umgehen. Sie konnten sich komfortable Klinikaufenthalte leisten, wenn in der Schwangerschaft plötzlich Probleme auftraten. Frauen aus der Arbeiterklasse hingegen kamen oft beim Versuch der Abtreibung ums Leben.

Der Begriff der "Engelmacher" wurde zum Schrecken im proletarischen Haushalt. Das war auch der Grund, dass der Kampf für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein wichtiger Programmpunkt der unterschiedlichen Strömungen der Arbeiterbewegung in allen Ländern war. In der Weimarer Republik wurde der Arzt und Künstler Friedrich Wolf zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er mit dem Theaterstück Cyankali auf das Leid der proletarischen Frauen durch die Kriminalisierung der Abtreibung hinwies.

In der frühen Sowjetunion wurde das Ziel umgesetzt, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren und gleichzeitig wurden die gesellschaftlichen Bedingungen so verändert, dass Frauen nicht mehr alle Lasten der Kindererziehung tragen müssen. Es wurden Kindereinrichtungen geschaffen, in denen Bezugspersonen die Rolle der Mutter übernahmen.

Für diese Politik stand die Sozialistin und Feministin Alexandra Kollontai. Im Stalinismus wurden die emanzipatorischen gesellschaftlichen Ansätze auch auf diesen Gebieten zurückgedreht. Abtreibung war wieder strafbar.