Gewehr bei Fuß nach dem Corona-Blues?
Kaum rückt ein Ende der Pandemie in greifbare Nähe, werden Jugendliche und junge Erwachsene mit einer neuen Wehrpflicht-Debatte konfrontiert. Führende Politiker der Kanzlerpartei SPD sind allerdings – noch – dagegen
Eine Generation, deren Zukunft von der politischen Klasse in den letzten Jahren sehr weit unten einsortiert wurde, soll jetzt nach Meinung von Unions-, SPD- und vereinzelt auch Linke-Politikern im Ernstfall den Kopf hinhalten. "Im Gegensatz zu meiner Partei bin ich sowohl für eine gut ausgerüstete Bundeswehr als auch für eine allgemeine Wehrpflicht", schrieb Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow am Dienstag in seinem Blog im Zusammenhang mit der "Zeitenwende" durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
"Beides muss natürlich modern gestaltet und der Auftrag der Truppe so klar formuliert sein, dass sich die Bevölkerung hinter ihren Zielen vereinigen kann", so Ramelow. Ob er mit "modern" meint, dass im Ernstfall auch junge Frauen im Alter von 18 bis 32 Jahren eingezogen werden könnten, ließ der 66-Jährige zunächst offen. Die seit 2011 ausgesetzte Wehrpflicht galt bisher nur für Männer, Frauen können seit 2001 freiwillig den Dienst an der Waffe leisten.
Müssen Eltern von Mädchen und jungen Frauen jetzt befürchten, dass auch das Lied "Nein, meine Söhne geb’ ich nicht" gegendert werden muss? Oder schickt Ramelow vielleicht doch erst mal seinen Hund zur Minensuche an die Front?
"Darüber haben wir lange genug diskutiert"
Noch spricht sich SPD-Chefin Saskia Esken klar gegen eine allgemeine Wehrpflicht aus – sowohl für Männer als auch für Frauen: "Die Dienstpflicht – darüber haben wir lange genug diskutiert, damit ist Schluss", sagte sie am Mittwoch im "Frühstart" von RTL/ntv. Eine Wiedereinführung würde weder bei der Verbesserung des Zustands der Bundeswehr noch in der aktuellen Auseinandersetzung mit Russland helfen.
Allerdings haben etliche Spitzenpolitiker auch ihre Meinung über eine allgemeine Corona-Impfpflicht sehr schnell geändert. Lange Zeit wurde sie ausgeschlossen, zwischenzeitlich zeichnete sich im Bundestag eine Mehrheit dafür ab – und was nun daraus wird, ist nach wie vor offen. So könnte auch die Wehrpflicht-Debatte mit dem Statement der Vorsitzenden der Regierungspartei SPD noch nicht vom Tisch sein.
Natürlich ist der "Pieks" im Vergleich zum Wehrdienst eine Lappalie und auch für Pazifisten medizinisch sinnvoll. Aber in beiden Fällen geht es um den menschlichen Körper und um hochemotionale Debatten über den richtigen Umgang mit Bedrohungen, in denen eindeutige Bekenntnisse verlangt werden – und das auch von Menschen, die in der Corona-Krise oder schon lange davor von der Politik im Stich gelassen wurden und um Teil überhaupt nicht mehr wissen, wem oder was sie noch glauben sollen.
Der stellvertretende CDU-Chef Carsten Linnemann setzt sich seit Jahren "für die Einführung eines Gesellschaftsjahres ein, das sich verpflichtend an junge Männer und Frauen nach Beendigung ihrer Schulzeit richtet", wie er vor wenigen Tagen der Bild sagte.
"Ein solcher Dienst würde sich nicht auf die Bundeswehr beschränken, sondern auch den Pflege- und Sozialbereich sowie THW, Feuerwehr oder Vereine berücksichtigen", so Linnemann. "Die Bundeswehr muss mehr in die Gesellschaft hereingeholt werden", meint jedoch Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU).
Die Zeiten der High-Tech-Kriegseinsätze mit einer überschaubaren Anzahl von Zeit- und Berufssoldaten, die mit finanziellen Anreizen in weit entfernte Länder gelockt werden, sind demnach vorbei. Und "Ich möchte noch mal 20 sein" war gestern. Das Leben der Jüngeren könnte sehr viel härter werden.
Die junge Generation ist geduldig und oft enttäuscht worden
Im Gegensatz zu den im Durchschnitt rund 47-jährigen "Querdenkern" hat sich die Mehrheit der 18- bis 30-Jährigen mit Kritik an den Corona-Maßnahmen zurückgehalten, obwohl ihre Altersgruppe nur sehr selten schwer an dem Virus erkrankt und vor allem Jugendliche Konzerte oder Parties vermissten. Die Ungleichheit der Bildungschancen verschärfte sich durch Schulschließungen und Fernunterricht; psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen nahmen zu.
Jugendliche und junge Erwachsene nahmen zwar während der Pandemie weiter an Protesten der Umwelt- und Klimabewegung und an antirassistischen Demonstrationen teil, trugen dabei aber in der Regel Masken und versuchten zumindest, die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten – auch wenn das nicht immer gelang, wenn deutlich mehr Menschen als erwartet kamen.
Sie benahmen sich jedenfalls verantwortungsbewusster als die Durchschnitt älteren "Querdenker", auch wenn sich der "unpolitische" Teil der Jugendlichen in der Freizeit nicht immer an die Regeln hielt.
Zu Beginn, als es weder Impfstoff noch Erfahrungswerte gab, was die Ansteckungswahrscheinlichkeit unter freiem Himmel betraf, hatte Luisa Neubauer einen Klimastreik von Fridays for Future aus Solidarität mit der am meisten durch das Virus gefährdeten Generation abgesagt. "Wir sagen den Streik nicht für uns ab, wir sagen ihn für unsere Großeltern ab", hatte sie im März 2020 erklärt. Mit dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung erlebten die "Fridays-for-Future-Kids" im vergangenen Jahr eine weitere große Enttäuschung.
Aber auch der "unpolitische" Teil dieser Altersgruppe kann nicht unbeschwert leben, nachdem sie sich wegen des Coronavirus immer wieder noch ein bisschen gedulden sollten. Kaum rückt das Ende der Pandemie in greifbare Nähe, beschert ihnen der fossile Kapitalismus eine noch viel größere Katastrophe: Krieg, Aufrüstung und eine von Leuten jenseits des kritischen Alters eröffnete Debatte um die allgemeine Wehrpflicht.