Gibt es Auswege aus dem Patent- und Copyright-Regime?
Weltweit wird eine Plünderung der Informationsumwelt befürchtet, aber vor allem Entwicklungsländer sind von der Ausweitung des Systems zur Sicherung des "intellektuellen Eigentums" bedroht
Über die World Trade Organization (WTO) und die World Organization for Intellectual Property (WIPO) ziehen die reichen nordwestlichen Länder unter der Führung der USA die Schraube des Patent- und Urheberschutzes immer fester. Nach Auffassung zahlreicher Experten und Kommissionen drücken sie damit - ganz im gegenteiligen Sinne der Erfinder der geistigen Eigentumsrechte - der informationellen Umwelt den Sauerstoff ab und schnüren die armen Südländer in ihrer Entwicklung ein. Eine Konferenz der Heinrich Böll Stiftung in Berlin erörterte nun die Frage, ob das System noch zu retten ist und wie eine Politik der nachhaltigen Förderung der Wissensgesellschaft aussehen könnte ( s. a.: Strategien gegen die "digitale Landnahme" gesucht).
"Das Niveau, der Spielraum, die territoriale Ausdehnung und die Rolle des geistigen Eigentumsschutzes haben sich in den vergangenen 20 Jahren in beispielloser Geschwindigkeit verändert und erweitert", warnt der im September veröffentlichte Abschlussbericht einer britischen Regierungskommission zur Integration geistiger Eigentumsrechte und Entwicklungspolitik. Die Zahl der Patentanmeldungen sei in diesem Zeitraum enorm gestiegen. Gleichzeitig, heißt es dort in britischem Understatement, entstehe "immer mehr der Eindruck, dass viele Patente von minderer Qualität und sehr breitem Umfang eingereicht werden."
Der Nutzen für die Gesellschaft, den die staatlichen Instrumente der Gewährung von geistigen Eigentumsrechten eigentlich beispielsweise in Form der Entwicklung neuer Medikamente oder Technologien sichern sollten, wird dabei im Verhältnis zu den volks- und betriebswirtschaftlichen Kosten und Zeitverlusten, die aufwändige Patentrecherchen vor dem Forschen, das Anmeldeverfahren und eventuelle Gerichtsklagen mit sich bringen, immer geringer. Diese Relation fällt in den Entwicklungsländern besonders schlecht aus, da diese bislang weder im geeigneten Umfang über eine systemimmanent "verwertbare" technologische Basis verfügen noch über das fundamentale Rechtssystem des geistigen Eigentums selbst.
Die britische Regierungskommission ist nun durchaus der Meinung, wie ein Co-Autor der Studie, Daniel Alexander, auf der Böll-Konferenz zur Zukunft der globalen Güter in der Wissensgesellschaft in Berlin ausführte, "dass ein bestimmtes Eigentumsschutzrecht zu einem bestimmten Zeitpunkt sinnvoll für die Entwicklungsländer ist". Und zwar sollte es auf Kosten der davon profitierenden Konzerne, keinesfalls aus den überstrapazierten Budgets der Drittweltländer aufgebaut werden.
Kopierfreiheit für Entwicklungsländer
Der Rest des Berichts wimmelt aber nur so von Einschränkungen, und Verbesserungsvorschlägen in Zusammenhang mit dem verbreiteten Regime. "Weit reichende Ausnahmen" in den urheberrechtlichen Gesetzen schlagen die Autoren etwa für die Nutzung im Bildungs-, Forschungs- und Bibliothekswesen vor - zum Teil verbunden mit dem "Recht zum Hacken" eventuell eingesetzter "technischer Schutzvorrichtungen". Ähnliche Nutzerprivilegien lehnt beispielsweise die Bundesregierung im Rahmen der umstrittenen Urhebernovelle strikt ab (Privatkopie wird der Zahn gezogen).
Da gerade das Internet ein "konkurrenzloses Mittel für den kostengünstigen Zugang zu Wissen und Information" in den Entwicklungsländern sei, sollten den Surfern dort "Rechte auf freie Nutzung eingeräumt werden." Anders lautende vertragliche Bestimmungen, mit denen sich Verwerter international verstärkt ihre Pfründe sichern und vor allem öffentliche Bibliotheken in die Bredouille bringen, könnten "als nichtig behandelt werden." Verständnis äußern die Experten angesichts der Armut im Süden auch für die gängige "Verwendung von unrechtmäßigen Kopien".
Bezogen auf das Patentsystem haben die Briten einige Verbesserungsvorschläge parat, die auch in Europa - beispielsweise in der Diskussion um die umstrittene neue Patentrichtlinie der EU - und den USA gern ins Spiel gebracht werden. Gerade im Pharmasektor, wo sich der Patentschutz seit langem stark auf die Arzneimittelpreise auswirkt und Länder wie Südafrika daher bereits etwa im Kampf gegen AIDS mit einer vollkommenen Abkehr vom System liebäugelten, sollte der Mechanismus der Zwangslizenzen stärker angewendet werden. Ferner befürwortet die Kommission die Einführung eines differenzierenden Preissystems.
Ähnlich hatte jüngst auch die Enquete-Kommission des Bundestags zur Globalisierung der Weltwirtschaft gefordert, dass die Bereitstellung von Wissen als ein globales öffentliches Gut anzusehen sei. Das TRIPS-Abkommen der WTO über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums und die Biopatent-Richtlinie der EU sollten daher einer Revision unterzogen werden. Generell plädieren Patentexperten weltweit auch seit langem dafür, die Anforderungsstufen an eine Gewährung des Rechtsschutzes deutlich zu erhöhen und die Prüfungen zu verbessern.
Keine Allheilmittel für die Renovierung des Patentsystems
Doch all die guten Vorschläge dürften selbst bei ihrer Umsetzung nur geringe Wirkungen entfalten. Auch die Sache mit den Zwangslizenzen sei trotz erster Erfolge im Gesundheitsmarkt in Großbritannien und in der EU "kein Allheilmittel", erklärte Alexander auf der Böll-Tagung. Um Wirkungen zu erzielen, müsste das ganze System zunächst "unglaublich in Form gebracht und beschleunigt werden." Auch eine genauere Untersuchung von Patentansprüchen stoße in der Realität rasch auf enge Grenzen. Nur Genies könnten da etwas bewirken.
Brian Kahin, Leiter des Center for Information Policy an der University of Maryland, würde es dagegen schon begrüßen, wenn endlich zumindest "Erfinder und Techniker" selbst - und nicht irgendwelche Anwälte - die Ansprüche prüfen würden. Eine Verbesserung würde aber auch dann nur eintreten, wenn es "deutlich weniger Anträge von vornherein geben würde". Eine Verkürzung von Patentlaufzeiten auf zwei Jahre, wie sie etwa im Bereich des Softwareschutzes von Skeptikern wie dem Berliner Gesellschaftsinformatiker Bernd Lutterbeck gefordert wird, hält Kahin dagegen nicht für einen geeigneten Weg: "Das würde die Vorteile eines Patents nur verringern, die hohen Kosten aber beibehalten."
Ein Argument für die Kommerzialisierung von Wissen steuerte auf der Berliner Konferenz schließlich noch Christian Kilger, Geschäftsführer der ipal Gesellschaft für Patentverwertung der Berliner Hochschulen, bei. Seit seine Firma vor etwa zwei Jahren im Vorfeld des Wegfalls des Professorenprivilegs aus dem Arbeitnehmerrecht, ihre Erfindungen selbst zu veröffentlichen beziehungsweise zu vermarkten, gegründet wurde, sind bei ihm rund 160 Anmeldungen eingegangen. Die würden dann keineswegs wie wild sofort ans Patentamt weitergereicht, sondern zunächst intern auf sinnvolle Verwertbarkeit geprüft.
"In weit weniger als der Hälfte der Fälle haben wir dann Patente angemeldet", erläuterte Kilger, "in einer handvoll Fälle sind wir bei der Lizenzierung." Durch dieses Verfahren und spätere Ausgründungen sei zum einen sicherzustellen, dass Innovationen aus den Unis wirklich geschützt und nicht etwa gleich direkt an die Industrie verramscht würden, zum anderen hofft der Diplom-Biologe im Blick auf Vorbilder wie das MIT in Boston auf die Schaffung "vieler Arbeitsplätze".
Im Umfeld der Konferenz, die sich allgemein für die Sicherung des gemeinsamen öffentlichen Gutes "Wissen" sowie die Bewahrung und Förderung der Vielfalt der Kultur- und Informationsgüter im Sinne einer nachhaltigen Wissensökologie aussprach, konnte sich Kilgers Argument aber nur schwer durchsetzen. Von der Tagung ging angesichts der vielen offenen Fragen rund um das Regime geistiger Eigentumsrechte vielmehr das Plädoyer aus, einer künstlichen Verknappung von Wissen durch dessen Umwandlung in eine beliebige Ware entgegenzuwirken und die Langzeitverfügbarkeit auch des elektronisch repräsentierten Wissens zu sichern.