Gigantisches Tor zum Radiokosmos

Bild: N. Tacken, MPIfR

Das weltweit zweitgrößte vollbewegliche Radioteleskop ist 40 Jahre alt geworden und operiert immer effektiver

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vor 40 Jahren weihten deutsche Ingenieure und Wissenschaftler eines der weltweit leistungsstärksten und modernsten Radioteleskope ihrer Zeit ein. Dank permanenter Wartung, ständigen technischen Modifikationen an den Spiegeln und Empfängern, infolge der Anwendung modernster Elektronik und Digitaltechnik operiert die 100-Meter-Schüssel in Effelsberg effizienter denn je. Von der sukzessiv erhöhten Sensibilität der Anlage profitieren Radioastronomen wie Michael Kramer, der mit der Riesenantenne in der Eifel nicht nur die Richtigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie, sondern auch erstmals in der Geschichte der Astronomie eine Pulsarkarte des Nordhimmels erstellen will.

Es ist wohl ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich fast alle Sternstunden der Wissenschafts- und Technikgeschichte fernab der Öffentlichkeit und abseits allen medialen Trubels ereignen - ohne die Anwesenheit neutraler Zeitzeugen oder Chronisten, der das Geschehene minuziös notierten.

Janskys Sternstunde

So nimmt es nicht wunder, dass vor knapp 80 Jahren ebenso wenig ein beflissener Wissenschaftshistoriker oder interessierter Reporter die große Stunde des Karl Guthe Jansky (1905-1950) protokollierte. Damals war keiner war zugegen, als der junge Radioingenieur mithilfe einer antennenähnlichen Konstruktion im Auftrag des Bell-Telefon-Laboratoriums in Holmdel (New Jersey/USA) atmosphärische Störungen und andere Störquellen auf verschiedenen Radiofrequenzen untersuchte.

Kein Toningenieur nahm das regelmäßige Zischen auf, das Jansky ein knappes Jahr später auf einer Wellenlänge von 14,6 Metern über seinen Kopfhörern vernahm. Und keiner Fotograf oder Kameramann verewigte seinen Gesichtsausdruck auf Zelluloid, als dieser das starke Geräusch hörte, das partout nicht von einer irdischen Radiostation stammen konnte.

Nachdem Jansky den Himmel systematisch nach der Quelle des störenden Hintergrundrauschens durchmusterte, fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen: Das mysteriöse Knistern, dessen Intensität sich im Laufe des Tages änderte, musste von entfernten Sternen, womöglich aus dem Zentrum der Milchstraße stammen.

Karl Janskys Apparatur, die äußerlich ein wenig an das "Flugzeug" der Gebrüder Wright erinnert. Bild: NRAO

Was alle Radiopioniere und Rundfunkprofis all die Jahre zuvor glattweg überhört hatten, entging seinen wachen Ohren nicht. Er tauchte mit einem Male in die Welt der Sphärenmusik ein und öffnete dabei zugleich ein neues Fenster zu einer bis dato unbekannten Welt.

Karl Jansky starb überraschend jung; er ist zweifelsfrei der Vater der Radioastronomie. Bild: NRAO

Es sollten aber noch einige Jahre vergehen, bis Janskys Entdeckung eine angemessene Würdigung erfuhr, was primär dem Umstand geschuldet war, dass er seine wissenschaftlichen Ergebnisse nicht in einem astronomischen, sondern in einem technischen Journal veröffentlicht hatte. Überdies stellte Jansky sein Papier am 27. April 1933 in Washington, D. C. bloß einigen auserlesenen Gästen vor. Nur wenige Fachkollegen nahmen von seinem Werk zu diesem Zeitpunkt Kenntnis. Erst zehn Wochen später publizierte der "Nature" seinen legendären Aufsatz Radio Waves from Outside the Solar System, der ihn schlagartig bekannt machte.

Trotzdem zog ihn sein Arbeitgeber kurze Zeit später von allen weiteren Arbeiten auf diesem Feld ab. Man hatte damals Wichtigeres zu tun, als sich mit einer brotlosen Kunst herumzuschlagen, mit der kurzfristig kein Geld zu verdienen war.

"Es gehört wohl zu den Ironien in der Entwicklung der Wissenschaft unseres Jahrhunderts, dass von Janskys Entdeckung fast keine Notiz genommen wurde", kommentierte einer der renommiertesten Astronomen aller Zeiten, Sir Bernhard Lovell, die Posse um Jansky.

Grote Reber (1911-2002)

Erst der junge amerikanische Radioingenieur Grote Reber (1911-2002) aus Wheaton/Illinois setzte Janskys Arbeit konsequent fort. Er baute 1937 im Garten seiner Eltern das erste "echte" schalenförmige Radioteleskop und führte mit diesem eigene Observationen durch. Der Amateurforscher und Idealist arbeitete als Solist. Alle Kosten, vor allem jene, die im Zuge des Baus der zehn Meter großen selbst konstruierten Schüssel anfielen, übernahm Reber in Eigenregie.

Die erste Radioschüssel der Menschheitsgeschichte, aufgestellt von Grote Reber im elterlichen Garten. Bild: NRAO

Dank seines großen Engagements und Janskys Pionierleistung konnte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein neuer, heute nicht mehr wegzudenkender Zweig in der Astronomie etablieren, der ein neues Fenster zu einer bis dato unbekannten Welt eröffnete: die Radioastronomie.

In ständiger Obhut

Eingebettet in einem pittoresken Tal und umrahmt von schützenden Bergen erstrahlt knapp 80 Jahre nach Janskys erstem Horchangriff ins All das Effelsberger Radioteleskop in majestätischer Schönheit. Er thront derart würdevoll, dass der Verdacht naheliegt, die Wahl seines Standortes hätte allein das traumhafte Panorama bedingt. Doch in Wahrheit bevorzugen Radioastronomen abgelegene Landstriche nur deshalb, weil dort irdische Radiosender weniger dazwischen funken.

Dieser Logik folgten 1966 auch Astronomen des damals neu gegründeten Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn (MPIfR). Auf der Suche nach einem geeigneten Aufstellungsort für ein gigantisches Radioteleskop prüften sie seinerzeit 30 Standorte in Deutschland. Ihre Wahl fiel auf ein tiefes Tal im Ahrgebirge in der Eifel in Effelsberg, einem Ortsteil von Bad Münstereifel, wo nach dreijähriger Bauzeit eine 100 Meter große Schüssel auf die Beine gestellt wurde.

Am 12. Mai 1971 weihten MPIfR-Mitarbeiter das damals weltgrößte vollbewegliche Radioteleskop ein, das diesen Rekord 29 Jahre lang für sich beanspruchen konnte. Nach Aufnahme des regulären astronomischen Betriebs, der 15 Monate später erfolgte, pflegten Wartungsteams die gesamte Anlage mit besonderer Akkuratesse, verbesserten die Technik, aktualisierten die Elektronik und Digitaltechnik sowie Software ohne Unterlass.

Um den Spiegel vor Korrosion und Hitze zu schützen, strichen und bepinselten sie die Antennenschüssel mit strahlend weißer Farbe. Über vier Dekaden hinweg optimierten sie die Oberflächengenauigkeit des Teleskops und die Sensibilität der Empfänger. Sie erneuerten die Instrumente und tauschten 2006 den 6,5 Meter großen Sekundärspiegel komplett aus und ersetzten bei Bedarf alle ramponierten Reflektorpaneele.

Frühphase der Reflektormontage mit zwei montierten Sektoren. Das Bild wurde 1970 aufgenommen. Das Auto in der Bildmitte unten ist (wäre) inzwischen per definitionem ein Oldtimer; das Teleskop hingegen nicht. Bild: MPIfR

Dass sich der Parabolspiegel des Teleskops binnen 12 Minuten um 360 Grad drehen und in knapp sechs Minuten um nahezu 90 Grad kippen lässt und dabei die Oberflächengenauigkeit mit weniger als 0,5 mm Abweichung im Mittel einhält, ist nach wie vor eine technisch-logistische Meisterleistung. Sie erlaubt den Wissenschaftlern eine ungestörte Observation des gesamten Himmels über dem Horizont.

Verräterische Radiowellen

Heute ist das Effelsberger Meisterwerk leistungsfähiger denn je, wie der Direktor am MPIfR, Michael Kramer, behauptet: "Es ist nicht nur immer noch das größte Teleskop in Europa und nur ein paar Meter kleiner als das Green-Bank-Teleskop in den USA, sondern die 100-Meter-Antenne ist tatsächlich besser als je zuvor".

Wie alle Radioteleskope rund um den Globus sammelt und bündelt die Effelsberger Parabolantenne die einfallende Radiostrahlung im Brennpunkt. In den beiden Fokuskabinen des Radioteleskops befinden sich die elektronischen Empfänger, 18 Hornantennen mit sehr empfindlichen und rauscharmen Verstärkern. Sie verwandeln die Radiowellen in elektrische Signale, die wiederum Computer bearbeiten und visualisieren.

Mit einer Reflektorfläche von 7.854 Quadratmetern ist das in Virginia ansässige Green-Bank-Teleskop zurzeit das weltgrößte vollbewegliche Radioteleskop. Bild: NRAO

Die deutsche Riesenantenne nutzt die Vorteile der Radiostrahlung konsequent. Da Radiowellen im interstellaren und intergalaktischen Raum kaum absorbiert werden und sich im Vakuum des Universums ungestört ausbreiten, rücken mit einem Mal vermeintlich unsichtbare Objekte wie Schwarze Löcher (indirekt) ins Sichtfeld. Auch für die Beobachtung kalter Gas- und Staubwolken, Sternentstehungsgebiete, Radiogalaxien, Kerngebiete ferner Galaxien oder Quasare eignet sich das technische Wunderwerk in der Eifel bestens.

Chandra-Aufnahme eines Quasaren-Paars in 4,6 Milliarden Lichtjahre Entfernung. Bild: X-ray: NASA/CXC/SAO/P. Green et al. Optical: Carnegie Obs./Magellan/W. Baade Telescope/J.S. Mulchaey et al.

Die bisher in Effelsberg erzielten Forschungsergebnisse belegen dies. "Das Radioteleskop hat zwei Generationen von Radioastronomen gedient und führte zu tausenden von wissenschaftlichen Veröffentlichungen", resümiert der ehemalige Direktor am Bonner MPIfR, Richard Wielebinski.

Er selbst analysierte seit 1972 mit dem 7850 Quadratmeter großen Spiegel schnell rotierende Neutronensterne, so genannte Pulsare. Solche extrem kompakten Objekte emittieren periodisch starke Radiostrahlung und zählen noch heute zu den heimlichen Lieblingen der Effelsberger Radioastronomen.

Angemessene Lobgesänge

In einem Radiowellen-Empfangsbereich, der von 3,5 Millimeter bis 90 Zentimeter reicht, sorgte der 3200 Tonnen schwere Koloss seit 1972 für wissenschaftliche Durchbrüche und persönliche Höhepunkte.

Einen davon aus dem Stegreif besonders hervorzukehren, fällt selbst dem Radioastronomen Michael Kramer schwer: "Das ist natürlich schwierig zu beantworten, da jeder Wissenschaftler eine etwas andere ‚Rangliste‘ haben wird. Vielleicht das bekannteste Ergebnis - weil man es fast in jedem Buch über Radioastronomie findet - ist die Aufnahme des Radiohimmels in der berühmten 408-Megahertz-Durchmusterung durch ein Team um Glyn Haslam."

Aufnahme des weißen Riesenohrs vom letzten Jahr. Bild: MPIfR

Norbert Junkes, selbst Radioastronom und am MPIfR für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, favorisiert eine andere Beobachtung: "Ich war stark beeindruckt, als das Effelsberger Teleskop 2008 Wassermoleküle in dem entfernten Quasar MG J0414+0534 detektierte, der elf Milliarden Lichtjahre von uns entfernt liegt."

Alle bisherigen Observationen im Ahrtal mehrten das astronomische Wissen, keine war erfolglos. Mal detektierten Forscherteams mit dem Eifel-Ohr riesige extragalaktische Magnetfeldstrukturen oder maßen die Polarisation von Galaxien. Ein anderes Mal spürten sie in den kältesten Regionen des interstellaren Mediums mithilfe spektrografischer Analysen große organische Moleküle wie Ammoniak (1978) oder komplexe Verbindungen wie Cyanoallene (2006) auf.

Andromeda-Galaxie (NGC 224). Bild: NASA/Hubble

Ein weiteres Mal nutzten die Radioastronomen die Antenne wie ein Visier und nahmen Nachbargalaxien gezielt ins Fadenkreuz. Gleich mehrfach sezierten sie dabei den 2,5 Millionen Lichtjahre entfernten Andromeda-Nebel (M 31) im Radiolicht - das erste Mal bereits 1972.

Für den bekannten deutschen Astrophysiker Harald Lesch, der eine Zeit lang am MPIfR forschte, ist die Erfolgsstory der deutschen Antennenschüssel unvergleichlich: "Es ist eines der großartigsten Teleskope weltweit. Auch nach 40 Jahren ist die Effelsberger Antenne ganz dicht dran an den Grundfragen der Physik. Mit ihm blicken Astronomen tiefer ins Universum als mit fast jedem anderen Teleskop auf der Welt."

Herausragend an der 100-Meter-Schüssel sei vor allem, dass Kramers Gruppe mit ihr bereits eine der fundamentalsten Theorien der Physik prüfen konnte: die Allgemeine Relativitätstheorie. "Und dafür mussten sie noch nicht einmal unter die Erde gehen wie etwa beim CERN", schwärmt Lesch.

SETI und VLBI

Tatsächlich konnte das am MPIfR 2009 neu gegründete Team Radioastronomische Fundamentalphysik um Prof. Kramer unlängst mit dem Effelsberger Instrument erstmals den relativistischen Effekt der geodätischen Präzession bestätigen - sowohl außerhalb des Sonnensystems als auch in starken Gravitationsfeldern. Zuvor war dies keinem Radioastronomen gelungen. "Für mich persönlich war es ein tolles Ergebnis", gesteht Kramer voller Stolz.

Einzigartig und einmalig war auch ein Suchlauf, der Ende der 1970er Jahre fast unbemerkt über die Bühne ging. Damals visierte kein Geringerer als Richard Wielebinski drei Sterne als Eichquellen an, suchte dort zeitgleich aber nach Anzeichen außerirdischer Intelligenz. Zwei Stunden lang lauschte er auf einer Frequenz von 1420 Megahertz nach künstlichen Radiosignalen. Auch wenn Wielebinski seine erfolglose SETI-Observation eher spaßeshalber durchführte, katalogisierte das SETI-Institut in Kalifornien (SETI=Suche nach außerirdischer Intelligenz) seinen kleinen Lauschangriff offiziell als SETI-Operation - sehr zum Unwillen einiger MPIfR-Mitarbeiter.

Dass das weiße Riesenohr beim Belauschen der kosmischen Sphärenmusik auch mit anderen Teleskopen harmoniert, zeigt das Very Long Baseline Interferometry-Netzwerk (VLBI) am nachhaltigsten. Bereits 1973 nahm die 100-Meter-Antenne erstmals am VLBI-Experiment teil und vernetzte sich mit mehreren Radioteleskopen, die über den Globus verteilt waren.

Bild: NASA

Basierend auf dem Prinzip der Interferometrie wurden diese zusammengeschaltet und die eingehenden Daten computergestützt überlagert und gespeichert. Heute ist dieses Procedere Standard. Dank der kombinierten Antennen lässt sich ein virtueller Schüssel-Durchmesser von mehreren tausend Kilometern erreichen, wodurch sich die Auflösung des Teleskops enorm erhöht und sogar Radiowellen aus der Frühzeit des Kosmos leichter zu lokalisieren sind.

Pulsarkarte als nächstes großes Ziel

Den Gedanken, Effelsberg könnte angesichts der neuen Armada hocheffektiver Radioteleskope in absehbarer Zeit die Segel streichen, hält Michael Kramer für abwegig. "Großteleskope wie Effelsberg werden immer ihre Nischen haben und die Nordhalbkugel weiterhin auf einzigartige Weise scannen."

Nicht zuletzt sei das Instrument auch für die Ausbildung des Nachwuchses unverzichtbar. Und dank der gewaltigen Fortschritte in der Digitalelektronik arbeite die 100-Meter-Antenne immer effektiver, zumal man ständig darum bemüht sei, den Frequenzbereich und beobachteten Himmelsabschnitt zu vergrößern. "Wir arbeiten daher an sehr breitbandigen Empfängern und Systemen, die das Gesichtsfeld um einen Faktor zehn oder mehr vergrößern." Dadurch könne man den Himmel einerseits schneller scannen, andererseits auch den anvisierten Himmelsausschnitt länger belichten.

Kein Wunder also, dass Kramer bei seinem neuesten Vorhaben ebenfalls auf das Effelsberger Teleskop setzt. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Radioastronomie wollen wir den kompletten Nordhimmel mit gleicher Empfindlichkeit nach Pulsaren durchmustern und katalogisieren." Dies sei eine äußerst spannende Aufgabe, die bislang noch keiner bewältigen konnte, betont Kramer. "Ich bin jedoch optimistisch, dass wir es mit unserer Schüssel schaffen."

Ein Film über den Effelsberger Riesen.

Webcam des MPIfR.