Gilt auch für Gérard Depardieu die Unschuldsvermutung?

Seite 2: "Wenn man Gérard Depardieu auf diese Weise angreift, ist das ein Angriff auf die Kunst"

An Weihnachten setzten sich nun rund 60 prominente Persönlichkeiten aus dem französischen Kulturbereich für den Schauspieler ein. Sie prangerten die öffentliche Hatz gegen den Schauspieler an.

Unter den Unterzeichnern findet man große Namen wie Charlotte Rampling, Nathalie Baye, Jacques Dutronc, Emmanuelle Seigner, Carole Bouquet, Nadine Trintignant, Bertrand Blier, Pierre Richard, Gérard Darmon, die Autorin Catherine Millet und Carla Bruni.

Sie bezeichnen die Demontage Depardieus als "Lynchmord" an einer "Kultfigur des Kinos", den man nicht länger schweigend hinnehmen könne. Sie beklagen den "Hass, der sich über seine Person ergießt und die "Missachtung der Unschuldsvermutung".

"Wer Gérard Depardieu auf diese Weise attackiert, greift auch die Kunst als solche an."

Depardieu sei "wahrscheinlich der größte aller Schauspieler, der letzte Superstar des Kinos", heißt es weiter: "Der Rest, alles andere, betrifft die Justiz; nur die Justiz. Ausschließlich."

"Wenn man Gérard Depardieu auf diese Weise angreift, ist das ein Angriff auf die Kunst."

Jetzt kommt der Gegenangriff: Das Kollektiv "Cerveaux non disponibles" startete eine Gegenoffensive. Es veröffentlichte einen offenen Brief gegen Depardieu und Macron.

Der Aufruf wurde bereits von 8.000 Personen unterzeichnet, allerdings ist kaum ein bekannter Künstler darunter.

Gibt es noch ein Recht auf schlechtes Benehmen?

"Soll man de Sade verbrennen?", fragte einst die Begründerin des modernen Feminismus, Simone de Beauvoir rhetorisch die Puritaner und Moralapostel ihrer Gegenwart. Beauvoirs Antwort war klar: Natürlich nicht, denn:

"hinter den Versprechungen von Glück und Gerechtigkeit verbergen sich die schlimmsten Gefahren. ... Der höchste Wert seines [Sades] Zeugnisses ist die Tatsache, dass es uns verstört".

Die Frage, die sich im Fall von Gérard Depardieu stellt, ist ähnlich gelagert: Sie lautet nicht allein, ob auch für ihn die Unschuldsvermutung gilt. Sondern ob prominente Menschen eigentlich noch das Recht haben, sich öffentlich schlecht zu benehmen?

Derzeit hat man vor allem den Eindruck, es werde wieder einmal – wie im "Fall Rammstein" – an einem besonders leicht angreifbaren Opfer (einem Schreck der braven Bürger) ein symbolischer Schauprozess vollzogen, bei dem die bürgerliche moralische Mehrheit es genießt, ihr Mütchen zu kühlen.