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Rosa, aber nicht Luxemburg: "Marie Antoinette" rockt Versailles und auch Sofia Coppola ißt lieber Kuchen

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Es gibt sicher Menschen, die wünschen hier eine Spoiler-Warnung vor der Information, dass am Ende die Französische Revolution ausbrechen wird. Für jene ist "Marie Antoinette" nicht gemacht. Für alle anderen schon: Dies ist vor allem ein Film, der sehr viel Vergnügen bereitet und zwar billiges, wie geistreiches im gleichen Moment. Über weite Strecken gut gelaunt, voller Einfälle und Witz und Glamour, überbordende Unterhaltung und große Gefühle. Und ein Film von Sofia Coppola, der alle Versprechen und das Niveau des Vorgängerwerks - "Lost in Translation" - einlöst, der dessen Fortsetzung in den Kulissen des 18. Jahrhunderts ist.

"Das Subjekt ist der Heros der Modernité" schrieb Walter Benjamin. Und gnadenlos konsequent subjektiv ist dieser Film; in jeder Hinsicht. Darum ist er absolut modern, handelt letztlich von nichts, als von der Gegenwart. Coppola inszeniert die Mädchenjahre einer Königin mit noch nicht mal einem Hauch von "Sissi"-Romantik. Welch ein Lichtblick unter dem ganzen Kinobiedermeier unserer Tage!

Das erste Bild verrät schon viel: Eine junge Frau liegt im Nachthemd auf dem Sofa. Beige-graues Pastell prägt den Raum, im Hintergrund stehen lauter rosafarbene Torten. Eine Dienerin pedikürt, dann tut Kirsten Dunst, was man im Kino nicht darf, schaut nämlich plötzlich verführerisch und zugleich ironisch lächelnd direkt in die Kamera - so als wolle sie sagen: "Das mit dem 'Dann sollen sie doch Kuchen essen'-Spruch wäre damit schon mal erledigt." Zugleich hebt sie damit alle Distanz auf. Diese junge Frau ist eine von uns, trotz der Perücken und Kostüme fallen Spät-Rokoko und Gegenwart in eins. Kirsten Dunst ist "Marie Antoinette" in Sofia Coppolas drittem Film.

So schön und in so reizender Pose hatten wir die junge Königin noch nie gesehen. In diesem allerersten überaus dichten Bild gibt der Film den Takt vor. "Natural's Not in It", singt die spät-70er Punk-Band "Gang of Four": "The problem of leisure/ what to do for pleasure ... No escape from society/Natural is not in it ... The body is good business/ Dream of the perfect life/ This heaven gives me migraine". Das Bild ironisiert die berühmteste aller Propagandaerfindungen um "L'Autrichienne", nach der Marie Antoinette den hungernden Armen des vorrevolutionären Frankreich zum Genuß von Kuchen geraten haben soll. Die Einstellung ist eben die Einstellung.

Schönheit, Vergnügen, Überfluß, Verschwendung und pure, sinn- und ziellose Lust

Das ist wieder so ein Film, der die Spreu vom Weizen trennt. Der die Kino-Spießer von denjenigen scheidet, die sich nicht für die Filme interessieren, die sie sehen, sondern für jene, die sie gern gesehen hätten. Die Sansculotten dieser Welt von den Dantons. Die Spießer hassen "Marie Antoinette" als Verherrlichung der Konsumgesellschaft mit ihrer Oberflächlichkeit und ihrem Hedonismus und eines Nichtsnutz mittendrin, der den Tod auf dem Schafott eigentlich verdient hätte, wären selbige Spießer nicht gegen die Todesstrafe - und das nicht etwa, weil Marie Antoinette aktiv Böses getan, gar gemordet hätte, sondern weil sie sich nicht um "ihr Volk" gekümmert hat, und die Schönheit über die Moral stellte. Das Volk, ja das Volk...

Die Spießer lieben dafür Stephen Frears "The Queen", der in ein paar Monaten ins deutsche Kino kommen wird. Gleichfalls ein Film über eine Königin, in diesem Fall Elisabeth II. von Großbritannien in der Woche, die auf den Tod der "Lady Di" folgte. Der ist ganz und gar eindeutig. Schon weil diese Kino-Königin nicht an einem luxuriösen, verschwenderischen Hof lebt, sondern hier noch das Schloß Balmoral mit geschätzten 100 Zimmern aussieht wie ein durchschnittliches Merry-Old-England Reihenhaus. Für diese Welt der zugeknöpften Barber-Jacken sind Schönheit, Vergnügen und Überfluß, sind Verschwendung und pure, sinn- und ziellose Lust eine weit größere Bedrohung, als jede Labour-Regierung.

Aber Luxus und Wohlleben, immense Verschwendung und ihre völlige Überflüssigkeit sind nicht das, was die Monarchie problematisch macht. Es ist das dumme Gerede von "Verantwortung", die Phrasen von der "Wichtigkeit von Institutionen und Umgangsformen", die sie begleiten, zu denen ein Film wie "The Queen" offenbar herausfordert, und zu denen sich aus diesem Anlass sogar das vermeintliche Anti-Establishment-Wochenblatt "Freitag", in Wahrheit eine linkskonservative ostdeutschen "Zeit"-Kopie und eines der übelsten Beispiele für ästhetischen Sozialdemokratismus, hinreißen ließ: "Die Queen" heißt es da, und in der "Gala" könnte es nicht besser stehen, "ist es, die die Herzen der Filmzuschauer erobert als Persönlichkeit mit starken Überzeugungen, die sie einerseits starr erscheinen lassen, andererseits Bewunderung hervorrufen. ... ein rares Hoffnungszeichen dafür, das Vertrauen in alte Institutionen nie zu früh aufzugeben. Die richtigen Gesten finden, die richtigen Worte setzen, das richtige Bild abgeben, das macht ihnen so schnell keiner nach."

Coppola tut genau das nicht. Sie macht einen Film über einen Menschen und vermeidet genau jede einzelne Falle, die daraus dann doch noch eine moralische oder politische Rechtfertigung der Institution machen würden, und in die ein Stephen Frears tollpatschig hineintappt. Nur eine Rechtfertigung der Institution gibt es hier: Die ästhetische. "Nur als ästhetisches Phänomen" seien Kunst und Leben gerechtfertigt, schrieb Nietzsche, und "Marie Antoinette" tritt den Beweis an.

Kein ahistorischer Film, sondern ein zeitgenössischer

Wohlgemerkt: Wir reden hier nicht von der "realen" Marie Antoinette, was auch ein ziemlicher Blödsinn wäre, weil wir von ihr kaum etwas wissen, das nicht von interessierter Seite stammt und entsprechend gefärbt ist, also entweder durch das Revolutions-Marketing der letzten über 200 Jahre, das "Die Österreicherin" zur Hure, Lesbe, zu "Madame Deficit" und zur Verräterin erklärte oder, was noch schlimmer ist, durch die Royalisten und Reaktionäre, deren schluchzende Apologien und Nachempfindungen der "letzten Tage im Revolutionskerker" ganze Bibliotheken füllen.

Statt von dieser Marie Antoinette reden wir von jener Hauptfigur in Coppolas Film, die so gar nicht in unsere Vorstellung passt, wie ein Film-Königin bitteschön zu sein hat - vor allem, weil dieses Portrait flirrend ist, weil es ihm an aller ach so bequemer Eindeutigkeit fehlt.

"Es wird immer Leute geben, die meine Arbeit nicht verstehen. Aber ich werde nicht aufhören, die Dinge so zu machen, wie ich es für richtig halte." Sofia Coppola

"Marie Antoinette" ist das Gegenteil einer historischen BBC-Doku, obwohl das Portrait von Ludwig XVI. als bemühter, aber spoilter, verzogener und zeugungsunwilliger Nerd vermutlich ziemlich treffend ist, und auch die übrige Handlung weitestgehend auf belegbaren Fakten beruht. Aber Coppola will etwas anderes. Sie bricht mit allen möglichen Konventionen des Konstümfilms und zeigt ein Bild des 18. Jahrhunderts, das weder Kubricks "Barry Lyndon" noch Jean Renoirs "La Marseillaise" wiederholt, zeigt keine Tragödie, noch bietet sie Systemanalyse.

Es geht gar nicht um Geschichte und historische Fakten! Darum ist dies auch kein ahistorischer Film, sondern ein zeitgenössischer. Trotzdem ist vieles historisch zutreffend: "Das Volk", das vor 1789 natürlich rechtlos war, und oft Hunger litt, kommt hier nicht vor. Warum? Weil es auch im Leben der Königin nicht vorkam, und weil der Film von eben dieser Königin handelt. Diese subjektive und aktualisierende Betrachtungsweise ist übrigens keine Erfindung von Coppola. Es genügt, hierfür Stefan Zweigs Roman "Marie Antoinette - Bildnis eines mittleren Charakters " zu lesen, in dem es heißt, "sie war ein mittlerer Charakter", oder Antonia Frasers Biographie.

Und dieser Stoff ist nach wie vor hochaktuell, nicht nur wenn man an "Lady Di" und andere Pop-Royals unseres Zeitalters denkt. Denn es soll ja auch außerhalb der europäischen Höfe heute noch Menschen geben, die sich mehr für ihre Schuhe interessieren als für die Armen in der Dritten Welt.

"You would shop, too, if it happened to you"

"Ich habe Angst, mich zu langweilen", mit diesem Wort hat Marie Antoinette das Stichwort der Zeit und ihrer ganzen Gesellschaft ausgesprochen. Das 18. Jahrhundert ist an seinem Ende.

Stefan Zweig

Von moralischer Vorverurteilung ist der Film dennoch meilenweit entfernt. Glücklicherweise! Er schaut auf seine Figur voller Neugier, Anteilnahme, kann mitunter nachempfinden, ist dann wieder befremdet. Es gibt immer wieder Augenblicke unbestreitbaren Mitgefühls, aber ebenso eindeutiger Ironie. Coppola zeigt, dass sich Marie Antoinette einen eigenen Kosmos erfunden hat.

Die Königin war für Formen und Farben jeder Art empfänglich, sie kümmerte sich um die Gestaltung der Innenräume, der Möbel, interessierte sich für Landschaftsarchitektur. 90 bis 180 Kleider ließ sich die Königin im Jahr schneidern, also mindestens zwei pro Woche. Die Schuhe, Klamotten, das Essen und diverse andere Artikel sind dekoriert wie in Schaufenstern - tatsächlich war ja Versailles ein einziges großes Schaufenster! - und sehen nicht selten aus wie auf Bildern für "Face" oder "Wallpaper". Wer aber darin nur Oberflächlichkeit sieht, versteht nichts.

Kein anderer als Walter Benjamin erkannte, dass der Lifestyle die treibende Kraft gesellschaftlich-ökonomischer Veränderungen ist. Die Mode, schrieb er, verkuppele "den lebendigen Leib der anorganischen Welt. ... Der Fetischismus, der dem Sex-Appeal des Anorganischen unterliegt, ist ihr Lebensnerv. Der Kultus der Ware stellt ihn in seinen Dienst." Konsum bedeutet für die Königin reine Befreiung. Das Subjekt der Marie Antoinette ist von den politischen Tauschverhältnissen ihrer Gegenwart als Prinzessin/Königin/Dauphinbrutkasten zur Ware verdinglicht worden und hat ihre Individualität an diese Verdinglichung verloren. Als "It-girl" und Mode-Idol ihrer Zeit, kauft sie mit den Nobel-Marken einen Teil ihrer selbst zurück. "You would shop, too, if it happened to you." (Lesley Gore)

Süß und giftig zugleich

Das Geschmacksregime der Marie Antoinette mündete in einen bis heute überaus originellen Weltentwurf, der in allerhöchstem Maße modebewusst und mit dem Stil seiner Epoche verzahnt war, wie zugleich doch ein Gegenmodell zu Versailles. Dieser Petit Trianon ist das, was heute von dieser Frau noch am deutlichsten überlebt hat: Ein Gesamtkunstwerk, das erst mit der Anwesenheit der Königin komplett wurde, die dort mit Absatzschuhen Schäferspiele veranstaltete, ein Modelldorf aus zwölf Gebäuden im ländlichen normannischen Stil um einen schilfgesäumten See mit Seerosen: Ein Bauernhof, eine Mühle, ein Turm, ein Taubenschlag, zwei Molkereien. Getreidefelder und sogar ein Weinberg wurden angelegt, Blumen- und Gemüsebeete, 7000 Pflanzen wurden gepflanzt.

Im Park baute man eine hügelige "Berglandschaft" mit einer Grotte, eine Insel mit einem "Liebestempel" aus weißem Marmor, der dem Tempel der Sibylle in Tivoli nachempfunden war, und ein Belvedere neben einem "begehbaren Felsen". Es gab Kühe, Ziegen, Schafe, Hühner, die Königin trank zum Entsetzen ihrer Umgebung kuhfrische Milch und aß hausgemachten Käse - gedacht als ein neuer Garten Eden, will er vage, von Rousseaus Suche nach dem Weg "zurück zur Natur" inspiriert, Naturnähe ausdrücken und Volkstümlichkeit demonstrieren und ist doch auf die Spitze getriebene Künstlichkeit.

Die Königin wohnte hier in einem geräumigen Haus, mit Billardraum und Ballsaal. Im Schlafzimmer der Königin wurde ein Boudoir eingerichtet, das mittels auffahrbaren Spiegeln abgedunkelt werden kann, die Möbel gleichen Maiglöckchen, Jasminblüten und Ähren. Auch hier zeigt sich die Königin als "fashion victim", auch hierfür verpflichtete sie die besten Designer. In einem Theater inszenierte sie Beaumarchais' verbotene "Hochzeit des Figaro" und spielte selbst die Verlobte des Titelhelden.

Von abgründiger Ironie ist der Moment, in dem Coppola uns die Königin zeigt, wie sie im grünen Gras Jean-Jacques Rousseau liest. Da fällt einem dann noch ein, dass sie im Jahr 1785 mit einer Frisur "à la jardinière" in die Öffentlichkeit trat, in den aufgetürmten Haaren steckte ein Kohlkopf, eine Karotte, ein Bund Radieschen und eine Artischocke.

Das künstliche Paradies der Marie Antoinette ist süß und giftig zugleich. Das Schönheitsideal, das sie entwickelt ist allen silbrigen Pastelltönen, aller seidenen Schwerelosigkeit zum Trotz ein neobarockes, dekadentes, zutiefst katholisches. Eine Liebe zum Exzess und zur Verschwendung und die Weigerung, deswegen Schuld zu empfinden. Man kennt Ähnliches aus den Filmen von Brian DePalma, Martin Scorsese, nicht zuletzt Francis Ford Coppola, aber auch nicht zuletzt Luchino Visconti: Eine Mischung aus Verherrlichung der Schönheit und Dekadenz.

Verteidigung des Hedonismus

Marie Antoinette suchte das Glück. Und indem sie der Film auf ihrer Suche begleitet, wird er zum Gegenentwurf zu unserer Zeit, jedenfalls zu dem derzeit herrschenden neopuritanischen Arbeitsethos und Bescheidenheitsfundamentalismus. "Marie Antoinette" ist ein Lob des Müßiggang, der Unordnung, des Langschlafens, des Herumliegenlassens - eine Verteidigung des Hedonismus, die sich in unsere Gegenwart leicht übertragen läßt: Ein Loblied auf die Gelassenheit und das "Unverkrampfte" (Roman Herzog), auf Skepsis, auf eine unaufgeregte libertäre Grundhaltung, die den Geist liberaler Toleranz, des Lebens und Leben-Lassens atmet, der unbedingten Freiheit:

"I'm young and I love to be young
I'm free and I love to be free
To live my life the way I want,
To say and do whatever I please.
Lesley Gore, "You Don't Own Me"

Denn was bedeutet Glück? Konsum, unter anderem. Ungehemmt. Und Lustbefriedigung. Selbstverständlich. Konsum ist auch ein Ausweg aus Unfreiheit. Und Marie Antoinette, das ist einer der zentralen Punkte dieses Films, war ihr Leben lang unfrei: Als Tochter, als Pinzessin und Königin. So wird "Marie Antoinette" zu einer gnadenlosen Feier des Hedonismus, zur Feier einer anderen, womöglich viel utopischeren Gleichheit als der der Revolution. Einer Gleichheit, die bedeutet, dass alle Kuchen essen. Und Kaviar. Und Rolls Royce fahren. Und Pelz tragen. Einem Gegenmodell zur Priesterherrschaft der Sozialpartnerschafts-Ästheten. Etwas Gold, viel Grauweiß und Blau, alles gedämpft, waren die Farben der französischen Bourbonen. Coppola fügt noch Rosa hinzu und verändert damit die gesamte Komposition. Eigentlich schade, dass der Film seiner Titelheldin den besten Oneliner nimmt, und sie - darin historisch korrekt - dementieren lässt, sie habe je über die Armen gesagt: "Dann sollen sie doch Kuchen essen.". Denn der Satz ist großartig.

Der Film vergrault all jene, die "Lost in Translation" vor allem und ausschließlich lustig fanden. Das ist "Marie Antoinette" nämlich nicht übermäßig. Allenfalls wo die Absurdität des Hof-Zeremoniells aufs Korn genommen wird. Aber wenn dann Dialogsätze fallen wie "This is rediculous." - "This Madame is Versailles" dann lachen zwar die Leute im Kino erleichtert auf, aber der Film verrät seine differenzierte Atmosphäre für Augenblicke an einen von Unverständnis geprägten komödiantischen amerikanischen Blick.

Denn dieser Dialog wäre nur dann klug, wenn er keine Lacher beim Publikum provozierte, sondern diesem irgendwie vorher klar gemacht worden wäre, was Versailles eigentlich damals war, dass dieser Satz für seinen Sprecher einen Sinn machte, über den nur diejenigen höhnisch lachten, die der Königin später den Kopf abschlugen. Wer hier lacht, demonstriert nur seine Ahnungslosigkeit und sein Unverständnis für die symbolische Form, für die Bedeutung von Stil.

Aber Stilfragen, verstanden nicht als Etikette oder Manieren, sondern als Fähigkeit der Selbstdarstellung, sind in Deutschland "ein unbewältigtes Problem", schrieb schon der Zeitdiagnostiker Karl Heinz Bohrer:

Die Ridikülisierung des höfischen Formalismus führte in der Praxis zur Installierung der Formlosigkeit als Prinzip.

Die Grammatik der Kälte

"Marie Antoinette" ist also ein Film über Glamour, Celebrity und die Konsumgesellschaft, aber ebenso auch über junge Frauen zu allen Zeiten, über Einsamkeit. Er könnte auch "Lost in Versailles" heißen, die Ähnlichkeiten zu Coppolas letztem Film sind unübersehbar. Coppolas Popmärchen, genau das macht diesen Film groß, ist nicht zum Geringsten ein Plädoyer für die Freiheit des Filmemachens, das immer wieder die scheinbar vorgegeben Formen überschreitet, und nicht akzeptieren will, wie "man von Marie Antoinette zu erzählen hat."

Beim Maskenball tanzt die Gesellschaft daher zu Techno, ein schneller Zusammenschnitt von Luxusgütern zeigt mitten in kostbaren historischen Stiefeln für Sekundenbruchteile ein hellblaues Paar Converse-"All-Star"-Turnschuhe. Das sagt alles über die Haltung der Regisseurin, die mit moderner Musik von modernen Gefühlen erzählen will, und wie in ihren früheren Filmen eher driftet, als einem Plot zu folgen. "Marie Antoinette" spart die berühmtesten historischen Events - Halsbandaffäre, Sturm auf die Bastille, das Schafott - bewusst aus und zeigt lieber, wie es sich anfühlt, erst Prinzessin und dann Königin zu sein, wie es ist, wenn man berühmt ist und immerzu im Rampenlicht stehen muss. Man muss hier keine biografischen Parallelen zur Regisseurin ziehen, um zu spüren, dass hier eine kennt, was sie zeigt.

Sofort begreift man, dass "Marie Antoinette" ein Little Girl Lost ist, wie Coppola es in ihrem ersten, vom Vater - als Beitrag zu dem Episodenfilm "New York Stories" - verfilmten Kurzfilmscript "Life without Zoe" schon beschrieb. Hier findet man eine ganze Menge Sofia Coppola. "Life without Zoe" dreht sich um das Leben eines einsamen kleinen reichen Mädchens in einem goldenen Käfig. Ihr Leben verbringt sie allein in einer luxuriösen Suite, während ihre Eltern - der Vater ist Künstler - auf Reisen sind. Vom Butler liebevoll bedient, scheint es ihr gut zu gehen: eine verwöhnte Prinzessin, die mit Chanel-Klamotten in ihre Nobelschule geht, viele Freundinnen hat, und doch irgendwie auch sehr einsam ist.

Wie schon dieser Film zeigt "Marie Antoinette" allerdings aber ebenso, dass es schön sein kann und kein Verbrechen ist, reich und im Luxus zu leben, dass es auch Spaß macht, Königin von Frankreich zu sein. Coppolas Königin ist ein Teenager voller Sehnsüchte und Unsicherheit, später ein einsamer, verletzlicher Mensch, der erst dem Hof, dann der Yellow Press und am Ende der Masse ausgesetzt ist, eine junge Frau, die in die Kälte kommt.

Rocking Versailles

Ich weiß nicht, wie man Pop definieren soll. Für mich ist es eine Herangehensweise - man nähert sich den Dingen mit dem Vokabular des Pop.

Sofia Coppola

Wie sie das macht, ist wunderbar. "Marie Antoinette" ist, wie von Coppola gewohnt, nicht sehr plotig. Sie erzählt nach seltsam zögerlichem Beginn lässig, driftet durchs 18. Jahrhundert, reiht Szenenfragmente aneinander ohne die von Dramaturgen gern verlangten Emotionskurven und Höhepunkte. Eine impressionistische Grundhaltung. Sie verwendet fast nur moderne Musik und für ihre Vorliebe für Pastellfarben gibt die Epoche von selbst reichlich Nahrung. Viele Einstellungen von Lance Acord sind überragend, etwa ein im Nebel versunkenes Versailles, wie der ganze Hof eine Traumkulisse und Traumfabrik und dabei eine in sich selbst versunkene Inszenierung. So gibt es wenig Blicke ins Weite, in den Himmel gar, selbst bei einem Sonnenaufgang verweigert die Kamera den Blick in die Höhe, verharrt bei der auf sich selbst fixierten Hofgesellschaft. Der Ort Versailles ist, wie das Hotel in "Lost in Translation", eine Welt für sich selbst, und ein Ort, der seine Hauptfigur(en) defininiert.

Coppolas Leitmotivik sind die Blicke: Verträumte aus Fenstern, neugierig auf andere Menschen, forschend, ironisch, girlish. Marie Antoinette redet nicht viel, sie schaut und beobachtet und wir sehen Frankreich, bzw. den französischen Hof mit ihren Augen. Und auch hier gibt es jene Einstellung, die wir aus allen ihren Filmen kennen: der traurig Blick einer jungen Frau aus dem Fenster eines Fahrzeugs. Auch der Schnitt ist wunderbar, in seinen musikalischen Bilderfolgen überhöht er die einzelnen Einstellungen noch zu einem atmosphärisch dichten Gewebe.

Drei Bildmomente überragen alle anderen: Das erste ist die erwähnte Eingangseinstellung. Das zweite Bild ist der schnelle Zusammenschnitt von Luxusgütern, der in den Augenblick mit den Converse-Schuhen mündet. Das dritte ist ein Maskenball. Die Gesellschaft tanzt zu moderner Popmusik, fast wirkt es wie ein Rave. Plötzlich ist der Film wilder geschnitten, bekommt die schon zuvor immer präsente Ekstase durch die Bilder Luft. Es läuft New Order's "Ceremony". Da zeigt der Film deutlicher, dass es ihm auch um Leidenschaft geht, darum, dass auch im 18. Jahrhundert Girls manchmal einfach fun haben und eine Nacht durchmachen wollten.

Der Hof ist in Coppolas Augen nicht zuletzt ein Glam-Paradies, allerdings ein von Watteau und Fragonard gestaltetes. Er ist bevölkert von Rockfiguren wie Marianne Faithful (als Maria Theresia), Rip Torn (als Louis XV.), Asia Argento als dessen Maittesse Madame DuBarry und Darstellern mit mehrfachem "gewissen etwas" wie Danny Huston als Joseph II. und Judy Davis, als Comtesse de Noailles. Und dann in der Hauptrolle Kirsten Dunst: Sie ist wundervoll. Sie bringt äußerlich Alabaster-Blässe, von innen ein unsicher-frivoles, neugierig-zurückhaltendes Lächeln in ihre Figur. Nie kann man darüber sicher sein, ob sie auf der Höhe der Ereignisse ist, oder gar weit über sie hinaus - ein nuanciert gespielter Starauftritt.

Überhaupt die Musik. Zunächst einmal geht die Kritik, sie benutze aktuellen Pop für eine historische Epoche, völlig an der Sache vorbei. Nicht nur, weil es, wie gesagt, um einen Historienfilm gar nicht geht, sondern um einen Gegenwartskommentar. Auch nicht allein, weil dieser Musikgebrauch nur ein völlig übliches Prinzip auf die Spitze treibt. Keiner wirft "Vom Winde verweht" vor, dass dessen Score nicht aus der Zeit des Bürgerkriegs stammt. Und dass Kubrick für "Barry Lyndon", der im 18. Jahrhundert spielt, Schubert-Stücke verwandt hat, also Musik, die 50-80 Jahre später geschrieben wurde, hat man, wenn man es denn überhaupt bemerkt, allenfalls als genialen Kunstgriff empfunden.

Vor allem an der Sache vorbei geht das Argument aber, weil es sich bei den Pop-Rock-Titeln gar nicht um aktuelle Musik handelt, sondern um Songs, die zum Teil 30 Jahre alt sind. Wer sich etwas auskennt oder etwas hinhört, müsste diesen Verfremdungseffekt eigentlich bemerken. Angeordnet sind diese Titel innerhalb des Film zudem weitgehend chronologisch gemäß ihrer Entstehungszeit. Sie bilden eine Genese von Spät-Punk-Rebellion der späten 70er über die No-Future-Depression der frühen 80er zur ironisch abgefederten Affirmation der späten 80er. Aus New Wave wird New Romanticism, aus Gesellschaftskritik postmoderne Ironie.

Das ist, gemeinsam mit den Veränderungen anderer Felder, des Kinos, der Kunstszene, aber auch in Politik und Ökonomie, die vorläufig wichtigste kulturgeschichtliche Zäsur der letzten Jahrzehnte. Das ist aber auch exakt die Zeit der Adoleszenz der Regisseurin - auch dies zieht die biografische Parallele eng, verzahnt den Stoff mit Coppolas eigener Erfahrungswelt.

Das Ancien Regime sind wir

Ich will eine klare Reaktion: Ich mag den Film - ich mag ihn nicht. Das ist besser als Gleichgültigkeit. Ich hoffe, der Film wird wenigstens einigen gefallen. Allen sicher nicht.

Sofia Coppola

Auch am Ende bleibt der Film konsequent seiner subjektiven Perspektive treu: Man sieht die Revolution eben nicht kommen, es gibt kaum auch nur kleinste Zeichen der bevorstehenden kopernikanischen Wende der Weltgeschichte. Alles scheint zufällig und willkürlich, ohne Zusammenhang mit dem Gestern. Hermetisch versiegelt in ihrer eigenen Welt, weiß Marie Antoinette nicht, was sie tun könnte, als sich alles ändert.

Problematisch ist nur das allerletzte Bild. Die Königin hat sich innerlich von Versailles, ihrem bisherigen Leben verabschiedet. "I am saying good bye." Es ist vorbei. Wir wissen, was folgte. Wie es folgte, warum, und ob es letztendlich gute Gründe gab, Maria Antoinette den Kopf abzuschlagen, tut für den Film nichts mehr zur Sache. Da zeigt Coppola das zerstörte Schlafzimmer von Versailles. Damit verlässt die Regisseurin die streng subjektive Perspektive der Königin und nimmt, nachdem sie zuvor so angenehm unparteiisch geblieben ist, scheinbar doch revisionistisch Partei für die Gegenrevolution.

Insgesamt scheint Coppolas Film aber recht klar etwas anderes zu sagen: Wir alle, sie selbst natürlich auch, aber ebenso ihre Kritiker, leben in einem Ancien Regime. Und der Vierte Stand, das sind bestimmt nicht arme Non-Hollywood-Regisseure und keineswegs jene salonsozialistischen Filmkritiker, die lieber Marie Antoinettes Kopf über die Leinwand rollen sehen möchten, um in die richtige politische Stimmung zu kommen, sondern die Armen aus Afrika, Lateinamerika, dem Mittleren Osten und Russland, die bereits jetzt vor den Toren des Europäischen Palasts stehen.

Die Dekadenz, die Coppola mit der Versailler Überflussgesellschaft beschreibt, ist unsere eigene. Immer ungleicher ist der Reichtum verteilt, immer zerrütteter die Staatsfinanzen. Und unsere modernen Könige, das sind die Bushs: George, George W. und Jeb, und die Ackermanns und Essers und Kleinfelds, es sind aber auch zum Beispiel jene reichen Inder, die in Bombay leben, und ihre Oberhemden zur Reinigung nach Paris fliegen lassen, und jene 16-jährigen-High-School-Gören aus Beverley-Hills, die im Leben noch nicht von illegalen mexikanischen Einwanderern gehört haben.

Indem Coppola den "Tigersprung in die Vergangenheit" (Benjamin) unternimmt, und das Vergangene zitiert und aktualisiert, die Gegenwart mit Unzeitgemäßheit auflädt, bricht sie sie entzwei. Geschichte ist unfertig. Jede Gegenwart schreibt ihre Geschichte und schreibt sie um. Das Moderne an Coppolas Zugang ist, dass es ihr gelingt, im Schicksal einer vielleicht nicht einmal besonders sympathischen oder interessanten Frau das Zeitlose zu entdecken, und nebenbei noch etwas vom "Celebrity Kult" unserer Tage zu erzählen. Ein Meisterwerk! "The problem of leisure/ what to do for pleasure"? "Marie Antoinette" angucken zum Beispiel.