Globalisierung und Medien

Seite 2: Das Betriebssystem macht die Differenz aus, nicht die Hardware oder die Körper

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Die Medientheorie geht davon aus, dass eine veränderte Medientechnologie, eine veränderte Informations- und Kommunikationstechnologie auch die Gesellschaft verändert und neue Gemeinschaften konstruiert. Die Medien verändern die Kommunikation und somit die Gesellschaft.

Die globalen Medien und deren Geschwindigkeit der Informationsvermittlung und -verarbeitung, gesteuert von hochkomplexen Algorithmen, die in Millionen von Computern weltweit implementiert sind, haben sicherlich den wesentlichsten Anteil an der Globalisierung. Die Millionen von täglichen finanziellen Transaktionen und die Millionen täglicher Passagiere (angeblich befinden sich immer 100 Millionen Menschen in der Luft) wären ohne die Algorithmen, ohne die Medien und Maschinen, auf denen sie laufen, nicht realisierbar.

Die Erfahrung der Pluralität von Sprachen, Kulturen und Religionen, die in der globalen ökonomischen Homogenität zum Problem wird, kommt allerdings in der Medientheorie zu einer anderen Antwort. Die Medientheorie geht von der fundamentalen Beobachtung aus, dass wir zwar eine gemeinsame Sprache haben und sprechen, aber nicht das gleiche denken, dass die Menschen einen Körper haben, aber nicht das gleiche tun. Die Erfahrung der Pluralität sowohl im Denken wie Handeln ist möglich trotz Homogenität. Anders gesprochen, die Hardware kann die selbe sein, aber die Software kann verschieden sein. Das Betriebssystem ist entscheidend, nicht die Maschine. So wie wir also gelernt haben, dass die Anatomie nicht unser Schicksal ist und die Gene nicht der Ort unserer Identität, können wir feststellen, dass wir mit dem globalen Netz eine asymmetrische Antwort auf die globale Homogenität entwickelt haben.

Die Kritik des Globalismus, wie ich sie einleitend skizziert habe, hat allerdings den Nachteil, dass sie aus einer korporativen Perspektive formuliert wird. In ihr ist der Einzelne in Kirche, Klasse, Kollektive, Kulturen und Traditionen eingebettet, denen er zugeordnet wird. Bis heute wird in vielen Fällen der griechische "demos" und der römische "populus" korporativ aufgefasst, nicht als Summe von Einzelnen, denen man zutraut, für sich selbst entscheiden zu können. Aus der Perspektive der Medien scheint es, dass die technische Verfasstheit einer Gesellschaft, wie sie den Kern der aufklärerischen Theorie des Fortschritts bildet, bis vor Kurzem nicht gegeben war, um diesen Anspruch der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit des Einzelnen in der Demokratie verwirklichen zu können.

Die Versuche einer direkten Demokratze sind bislang aus theoretischen und technischen Mängeln gescheitert

Die Demokratie geht bekanntlich davon aus, dass die Macht vom Volke ausgeht. Die Formel "omnis potestas a deo" (alle Macht kommt von Gott) wurde säkularisiert durch die Formel "omnis potestas a populo" (alle Macht kommt vom Volk). Das Volk hat in der Massengesellschaft allerdings erfahren, wie ihr Recht auf Macht beschränkt wurde, indem sie die Macht an die gewählten Vertreter delegiert und somit die Machtausübung aus den Händen gegeben hat. Die Macht des Volkes ist nur nominell. Das Volk, das im Grunde das volle Recht auf die Macht hat, wird im Grunde von der modernen Massendemokratie um diese Macht auf mehrfache Weise betrogen.

Denn moderne Demokratien beruhen erstens auf beschränkter Mehrheitsherrschaft, zweitens Wahlverfahren und drittens der repräsenativen Übertragung von Macht. Dies sind mehrere Verfahren, die Macht des Volkes zu beschränken, sodass selbst die Mitglieder einer erfolgreichen Wählermehrheit nicht wirklich Macht ausüben. Was als "Wille" des Volkes bezeichnet wird, als volonté general, ähnelt eher einer "Zustimmung". In der konstitutionellen Demokratie hat das Volk also nur eine nominelle Macht. Es ist an der wirklichen Machtausübung nicht beteiligt.

In den 60er Jahren entstand daher eine Theorie der Mitwirkungsdemokratie, sei es in Form einer direkten Demokratie, sei es in Form einer Räterepublik, die zum Ziel hatte, das Volk an der Machtausübung zu beteiligen. Diese Versuche sind aus theoretischen und technischen Mängeln gescheitert. Im Zeitalter der globalen technischen Vernetzung stellt sich die Machtfrage radikaler denn je. Wir haben nämlich im 20. Jahrhundert zunehmend Transformationen der Demokratie erlebt, die aus Demokratien starke oder schwache autoritäre Systeme machten, vom Liberalismus zum Stalinismus. Die meisten Demokratien sind legitime Erben von Lenin, der auf die Frage "Was tun?" (1902) antwortete: "Der Parteiapparat muss den Staatsapparat durchdringen", weil "die Arbeiter ein sozialdemokratisches Bewußtsein gar nicht haben konnten. Dieses konnte ihnen nur von außen beibegracht werden", nämlich von der Partei.

In allen Demokratien ist daher der Staat mehr oder minder die Beute der Parteien und, wie die aktuelle Wirtschaftskrise zeigt, die Parteien sind die Beute der Banken. Die Macht geht von der Finanzwirtschaft aus und nicht vom Volk. Die Idee einer globalen Gouvernmentalität ist daher im augenblicklichen Zustand der Demokratie zum Scheitern verurteilt, wie man am deutlichsten an den ergebnislosen Klimakonferenzen erkennen kann. Die Privatisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, Systeme und Organisationen hat in der globalen Marktwirtschaft zu einer Schwächung des Staates gegenüber dem Markt geführt, die eine enorme Gefahr für die Demokratie bedeutet.