Glyphosat: Datenmasseure bei der Arbeit

Glyphosat, der Wirkstoff in Monsantos Totalherbizid RoundUp. Bild: Bernd Schröder

Wie Wissenschaft in der Diskussion zur Sicherheit des Pflanzenschutzmittels manipuliert wird

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Die Verwendung von glyphosatbasierten Herbiziden hat in den vergangenen 40 Jahren um das Hundertfache zugenommen. Eine weitere Zunahme wird erwartet: gentechnisch verändertes, glyphosattolerierendes Saatgut (Kapitulation vor der Agrarchemie-Industrie), die Ausbreitung glyphosatresistenter Unkräuter, neue Anwendungen. All das wird das weltweit am häufigsten genutzte Herbizid in immer größeren Mengen auf die Felder gelangen lassen. Der Goldesel unter den Pflanzenschutzmitteln soll 2019 neun Milliarden Euro ausspucken - 2012 belief sich die weltweite Nachfrage noch auf fünf Milliarden Euro.

In letzter Zeit mehren sich kritische Stimmen, die die bisher postulierte Unbedenklichkeit des Einsatzes in Frage stellen - und das dahinterstehende System: Denn es sind die Hersteller, die die Marktzulassung suchen und gleichzeitig die Studien erarbeiten, die die regulierenden Behörden von der Unbedenklichkeit ihres Produkts überzeugen sollen. Deren Sicherheitsbewertungen beziehen sich zum Teil auf mehr als 30 Jahre alte Studien, nach denen die Verwendung des Pflanzenschutzmittels keine schädlichen Wirkungen auf Mensch und Umwelt zur Folge hat.

Diese Studien wurden vor allem von Industriewissenschaftlern erstellt: nicht öffentlich publizierte Arbeiten und nicht durch unabhängige Gutachter beurteilt. Die Arbeiten sind Geschäftsgeheimnis. Eine Anzahl anderer, unabhängiger Studien berichtet hingegen seit Jahren vom krebserregenden Potential der Substanz und möglichen, von ihr ausgehenden Schädigungen der Erbsubstanz.

Tauziehen um die anstehende Neuzulassung in der EU

2012 hatten die Hersteller die Wiedergenehmigung von Glyphosat in Europa beantragt. Sollte sich ein krebserzeugendes oder erbgutschädigendes Potential der Verbindung erhärten, dürfte der Wirkstoff nicht mehr vermarktet werden - der dann zu wählende gefahrenbasierte Ansatz verbietet das, die bei einem risikobasierten Ansatz tolerierbaren Rückstandshöchstgehalte würden hinfällig.

Für die Industrie ein Horrorszenario: Analysten hatten geschätzt, dass Monsanto bei einem Verbot in Europa bis zu 100 Millionen US-Dollar im Glyphosat-Geschäft einbüßen könnte. Die EU-Kommission wiederum fürchtet im Falle eines Verbots millionenschwere Klagen seitens der Industrie. Längst ist der Disput um die Sicherheit von Glyphosat zum Politikum geworden. Eine von WeMove, Campact, Global 2000 und Greenpeace unterstützte Europäische Bürgerinitiative sammelt unterdessen Unterschriften, um ein Verbot von Glyphosat zu erreichen ( ).

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im französischen Lyon, hatte 2015 Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend für Menschen bewertet. Diese Einschätzung goß Öl ins Feuer der Debatte um die Sicherheit des Herbizids. Während das IARC die von Glyphosat ausgehenden Gefahren untersuchte, bewerten regulierende Behörden über eine Betrachtung weiterer Faktoren wie der Expositionswege auch das Risiko, ob Schädigungen wahrscheinlich sind. Und es gibt weitere Unterschiede beider Herangehensweisen.

Bezahlte Wissenschaft

Der Hersteller Monsanto hatte bereits im Vorfeld eine Serie von Review-Artikeln in wissenschaftlichen Magazinen gesponsort. Die neue EU-Pestizidverordnung schreibt vor, dass der Zulassungsantrag auch die Ergebnise relevanter Veröffentlichungen aus der frei zugänglichen wissenschaftlichen Literatur der vergangenen Dekade enthalten muss.

Monsantos Antwort auf die IARC-Bewertung war eine Serie von Übersichtsartikeln im industrienahen Wissenschaftsjournal Critical Reviews in Toxicology, nach dem beteiligten Beratungsunternehmen auch Intertek Papers genannt. Monsanto hatte Interteks Dienste zur wissenschaftlichen Untermauerung der Glyphosat-Kampagne in Anspruch genommen.

Die so entstandenen Auftragswerke kamen alle zum selben Schluss: der Einsatz von Glyphosat und seiner handelsüblichen Formulierungen ruft beim Menschen weder krebserregende Wirkungen hervor, noch wird das Erbgut geschädigt.

Der im März 2017 von der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 herausgegebene Bericht "Glyphosat und Krebs - gekaufte Wissenschaft" legt detailliert nahe, dass diese von der Industrie geförderten Übersichtsarbeiten zur Karzinogenität und Genotoxizität von Glyphosat grundlegende wissenschaftliche Fehler enthalten und durch offenbar wohlkalkulierte Auslassungen oder die Präsentation irrelevanter Daten Sachverhalte verzerrt darstellen und so Leser täuschen. Diese Übersichtsarbeiten messen den unveröffentlichten Industriestudien zudem konsequent mehr Gewicht bei als Studien, die in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden und die den Prozess der Beurteilung durch unabhängige Gutachter durchlaufen hatten. Im Gegensatz dazu berücksichtigt die IARC unveröffentlichte wissenschaftliche Ergebnisse in der Regel nicht.

Trotz der beschriebenen eklatanten Mängel stimmen Regulierungsbehörden in den Unbedenklichkeits-Kanon ein. Ob das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder die US-amerikanische Umweltschutzbehörde (EPA) - alle bedienen sich dabei der Argumente, die in den von der Industrie gesponsorten Übersichtsartikeln zu Glyphosat enthalten sind.

Es gehört zum taktischen Vorgehen der Industrie, Regulierungsbehörden zu infiltrieren und sicherzustellen, dass sie in allen relevanten Phasen des Entscheidungsprozesses mit Experten in den Schlüsselgremien vertreten ist. Diese Konstellation wird bei Bekanntwerden in der Öffentlichkeit bisweilen als Interessenkonflikt wahrgenommen.

Wie beispielsweise im Fall von Alan Boobis and Angelo Moretto, dem Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden eines Gremiums von FAO und WHO, dem JMPR (Joint Meeting on Pesticide Residues). Dieses Gremium hatte Glyphosat neu bewertet und war dabei zum Schluss gekommen, dass ein karzinogenes Risiko für Menschen aus der Exposition gegenüber Rückständen in der Nahrung unwahrscheinlich ist.

Später stellte sich heraus, dass Boobis unter anderem Vizepräsident von ILSI Europe war - dem International Life Sciences Institute, einer einflussreichen Lobbyorganisation im Lebensmittelbereich. Moretto wiederum ist Vorstandsmitglied bei einem der an ILSI angeschlossenen Institute. 2012 war ILSI der Empfänger einer Spende von ca. einer Million US-Dollar, die von Monsanto und CropLife International kam, dem Weltdachverband der Gentechnik- und Agrochemieindustrie.

Beide Wissenschaftler waren vor einigen Jahren aufgrund ihrer intensiven Verflechtungen mit der Industrie und mit industrienahen Organisationen aus der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ausgeschlossen worden - trotzdem blieben sie Teil des JMPR.

Geschätzte jährliche Ausbringung von Glyphosat in den USA (gelb - Mais; grün - Soja; braun - Weizen; rot - Baumwolle). Bild: USGS.gov

Im Zusammenhang mit ISLI werden weiterere Wissenschaftler mit möglichen Interessenkonflikten genannt. Zum Beispiel Roland Solecki, der an der Bewertung von Studien zum Krebsrisiko von Glyphosat mitgewirkt hat. Er leitet die Abteilung "Sicherheit von Pestiziden" am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und war bis mindestens 2015 Mitglied des "RISK21 Technical Comittee" des Health and Environmental Science Institute (HESI), einem ILSI-Institut. RISK21 soll zu Veränderungen in der Methodik und Kommunikation von Risikobewertung beitragen - dem Projekt wird eine Arbeit im Sinne der Industrie bescheinigt. Solecki ist Mitglied des Wissenschaftlichen Ausschusses der EFSA.

Neben einer Reihe von Interessenkonflikten beteiligter Einzelpersonen beleuchtet die GLOBAL 2000-Studie auch potentielle Interessenkonflikte von involvierten Behörden. Kritiker bezweifeln, dass die Erstzulassung von Glyphosat in der EU auf einer unabhängigen und unvoreingenommenen Bewertung aller wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Umwelt- und Gesundheitsrisiken des Herbizids beruhte. Wissenschaftler, die als Mitarbeiter von deutschen Behörden mit der Einschätzung von Glyphosat betraut waren, hatten im Nachhinein als Mitarbeiter eines EU-Projekts die Glaubwürdigkeit und Qualität ihrer eigenen Einschätzung bewertet.

Wie im Verfahren zur Erstzulassung wählte die Industrie zur Neubewertung Deutschland als berichterstattenden Mitgliedstaat aus - ein möglicher Interessenkonflikt für Behörden bzw. deren Nachfolgern und den aufs Neue beteiligten Experten, falls sie Fehler in ihrer ursprünglichen positiven Erstbewertung von Glyphosat finden sollten.

Zwischen Neubewertung und Wiederzulassung

Die Aufgabe der Neubewertung obliegt in Deutschland dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), das das Risikomanagement übersieht. Ihm arbeiten das BfR (Gesundheitsaspekte), das Umweltbundesamt (UBA) (Auswirkungen auf Ökosysteme) sowie das Julius-Kühn-Institut (JKI) (praktische Aspekte) zu.

Im August 2015 kamen die Behörden zum Schluss, dass Glyphosat eine Einstufung als krebserregende Substanz nicht verdient. Dieser Bericht durchlief einen Peer-Review-Prozess bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die in ihrer Zusammenfassung der toxikologischen Bewertung im November 2015 befand, dass von Glyphosat wahrscheinlich keine Krebsgefahr für Menschen ausgehe. Außerdem könne die erlaubte Tagesdosis für Verbraucher von 0.3 auf 0.5 mg/kg Körpergewicht und Tag heraufgesetzt werden.

Der Ausschuss für Risikobeurteilung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) schließlich kam im Marz 2017 zum Ergebnis, dass Glyphosat keine Kriterien erfülle, nach denen sich die Substanz als krebserregend, mutagen oder fortpflanzungsgefährdend einstufen liesse. Die ECHA-Einstufungen bezieht sich lediglich auf die von Glyphosat ausgehende Gefährdung. Die Wahrscheinlichkeit einer Exposition und das damit verbundene Risiko wurden nicht betrachtet. Das erfolgt spätestens dann, wenn noch in diesem Jahr über die Erneuerung der Zulassung in Europa entschieden wird.

AMPA (Aminomethylphosphonsäure), wichtigstes Glyphosat-Abbauprodukt. Bild: Bernd Schröder

Recht auf Information: Ghostwriter-Alarm in Valhalla

Neben dem Engagieren von Auftragswissenschaftlern wie bei den Intertek Papers gibt es noch weitere Möglichkeiten im Repertoire der Manipulation: Firmeneigene Ghostwriter schreiben Teile wissenschaftlicher Artikel für Fachzeitschriften mit Peer-Review, die dann im Namen bekannter Wissenschaftler erscheinen. Das legt zumindest eine publik gewordene interne Email aus dem Hause Monsanto nahe. Wie das Nichtoffenlegen von möglichen Interessenkonflikten gilt die Beanspruchung einer Autorenschaft für die Arbeit von anderen in der akademischen Welt als ernsthafte ethische Verfehlung.

Gary Williams, Pathologe am New York Medical College in Valhalla, New York, ist nun ins Kreuzfeuer der Kritik geraten - wegen eines im Jahre 2000 erschienenen Artikels, den sein Name als Hauptautor ziert, publiziert im als industrienah geltenden Fachblatt Regulatory Toxicology and Pharmacology. Schlussfolgerung: Glyphosat stellt kein Gesundheitsrisiko für Menschen dar. Unglücklich für Williams: Eine Email von 2015 benennt ihn im Zusammenhang mit diesem Artikel als Beispielfassade einer erfolgreichen Ghostwriter-Operation. Die Universität will den Fall untersuchen.

Williams blickt auf eine 27 Jahre währende Beziehung zum International Life Sciences Institute (ISLI) zurück. Er fungiert auch als Autor der Intertek Paper-Reihe von 2016. Einer seiner Co-Autoren ist David Kirkland, seines Zeichens genetischer Toxikologe. Der besteht darauf, dass der von Monsanto offiziell gesponsorte Aufsatzkein Ghostwriter-Produkt ist und führt seine Reputation ins Feld.

Williams und Kirkland hatten als unabhängige Berater für die europäische Glyphosate Task Force gearbeitet, einer 2012 von Monsanto ins Leben gerufenen Lobbygruppe, die unter ihrem Dach jene 24 Unternehmen vereint, die an einer Neuzulassung von Glyphosat interessiert sind. Ihre Macht hat die Task Force erst kürzlich demonstriert - sie sah nach Informationen des ARD-Magazins Fakt und der Süddeutschen Zeitung der ECHA bei deren jüngsten Glyphosat-Einstufung offenbar über die Schulter. Die Lobbyisten konnten die vorläufige Bewertung einsehen und noch vor der Entscheidung kommentieren.

Bei Monsanto heißt es, dass keine Mitarbeiter an der Schriftlegung der Artikel beteiligt waren, weder 2000, noch 2016. Hauseigene Wissenschaftler würden die Autoren im Rahmen der Zusammenarbeit lediglich mit internen Forschungsergebnissen und anderen wissenschaftlichen Informationen versorgen, die Eigentum des Unternehmens sind.

USA: Prozess gegen Monsanto

Williams' Kollegen am New York Med hatten von den Anschuldigungen aus internen Firmendokumenten Monsantos erfahren, die ein weltweit beachteter Prozess in Kalifornien als Beweis zu Unternehmenspraktiken der Manipulation wissenschaftlicher Literatur zutage förderte.

Am United States District Court im Northern District of California sind 15 Verfahren mit 60 Klägern aus mehreren US-Bundesstaaten zusammengefasst. Die Kläger leiden am Non-Hodgkin-Lymphom oder haben dadurch Angehörige verloren. Sie bringen die bösartige Erkrankung des Lymphsystems mit ihren Kontakten zu Glyphosat und RoundUp in Verbindung und stützen sich dabei auf die Einschätzung des IARC.

Solche Verfahren enden oft vorzeitig mit einem Vergleich, der Monsanto viel Geld kosten könnte. Das Unternehmen steht kurz vor der Übernahme durch die Bayer AG - der Ausgang des Prozesses stellt ein gewisses finanzielles Risiko für den Konzern dar, auch wenn der Fall bei den Übernahmegesprächen berücksichtigt worden war.

Unterdessen: Rückzieher im US-Landwirtschaftsministerium

Im März 2017, einen Tag nach Erscheinen der ECHA-Einstufung, veröffentlichte der wissenschaftliche Beirat zum Pestizidgesetz der USA (Federal Insecticide, Fungicide, and Rodenticide Act - FIFRA) seine durchaus zwiespältigen Ansichten zur Glyphosat-Bewertung der EPA. Während für einige Mitglieder des Beirats die EPA-Formulierung in Ordnung geht, dass die Krebsauslösung von Glyphosat beim Menschen "unwahrscheinlich" sei, wollen andere das "unwahrscheinlich" austauschen - durch "suggestive Hinweise auf ein krebserzeugendes Potential". Wieder andere stören sich an beiden Formulierungen und bevorzugen stattdessen "kein glaubwürdiger Beweis für Karzinogenität" oder ein einfaches "mehrdeutig".

Eine Schlussfolgerung des Beirats: Die EPA hatte bei ihrer Bewertung zuvor aufgestellte eigene Richtlinien vernachlässigt. Ein weiterer Kritikpunkt ist die gewichtete Evaluierung durch die EPA, bei der einige Faktoren unverhältnismäßig berücksichtigt worden seien.

Ende März 2017 wurde bekannt, dass sich das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) stillschweigend von Plänen verabschiedet hat, nach denen in diesem Jahr Lebensmittel auf Glyphosatrückstände untersucht werden sollten. Maissirup-Proben aus den USA sollten ursprünglich ab April 2017 auf Glyphosat und AMPA, einem als problematisch geltenden Metaboliten, getestet werden. Der seit Januar 2016 von der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) und der EPA vorbereitete Testplan war fallengelassen worden, um vorhandene Ressourcen effizienter zu nutzen. Stattdessen sollen nun Honigproben auf Spuren von mehr als 100 verschiedenen Pestiziden untersucht werden - Glyphosat ist nicht dabei.

Beim USDA betrachtet man solche Tests als Zeitverschwendung, da die Verwendung der Verbindung als sicher gilt. Im vergangenen Jahr hatte die FDA eine eigene begrenzte Testreihe begonnen. Ein Chemiker der Behörde fand in weiteren Tests Glyphosat-Konzentrationen in Honig aus den USA, die deutlich über dem in der EU zulässigen Limit lagen. Das Testprogramm wurde im Herbst 2016 eingestellt. Interne Probleme beim Qualitätsmanagement hatten zum Abbruch geführt. Die Tests sollten ursprünglich wieder aufgenommen werden, sobald eine Standardtestmethode für alle einschlägigen US-Laboratorien validiert ist.