Glyphosat und Bundestagswahl

Seite 3: Chemophobe Agenda? Ans Tageslicht gekommene Praktiken der Industrie stärken das Lager der Gegner

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Doch gerade hier liegt der Hund begraben. Wie die Debatten der vergangenen Monate zeigen, existiert ein solcher Konsens nicht. In letzter Zeit mehrten sich stattdessen kritische Stimmen, die die bis dato vorherrschenden Auffassungen einer Unbedenklichkeit der Verwendung von Glyphosat nicht teilen und das dahinterstehende System für bedenklich halten (Glyphosat-Datenmasseure bei der Arbeit): Denn es sind die Hersteller, die die Marktzulassung suchen und gleichzeitig die Studien erarbeiten, die die regulierenden Behörden von der Unbedenklichkeit ihres Produkts überzeugen sollen. Deren Sicherheitsbewertungen beziehen sich zum Teil auf mehr als 30 Jahre alte Studien, nach denen die Verwendung des Pflanzenschutzmittels keine schädlichen Wirkungen auf Mensch und Umwelt zur Folge hat.

Monsantos Antwort auf die unangenehme IARC-Bewertung waren die sogenannten Intertek Papers, eine Serie von Übersichtsartikeln, die im industrienahen Wissenschaftsjournal "Critical Reviews in Toxicology" veröffentlicht wurden. Das Unternehmen hatte die Dienste des Beratungsunternehmens Intertek in Anspruch genommen, um die Glyphosat-Kampagne wissenschaftlich zu untermauern. Die Auftragswerke kamen alle zum gleichen Ergebnis: Glyphosat und seine handelsüblichen Formulierungen rufen beim Menschen weder krebserregende Wirkungen hervor, noch wird das Erbgut angegriffen.

Eine Anzahl anderer, unabhängiger Studien berichtet hingegen seit Jahren vom krebserregenden Potential der Substanz und möglichen, von ihr ausgehenden Schädigungen der Erbsubstanz. Mehr noch: Der im März 2017 von der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 herausgegebene Bericht "Glyphosat und Krebs - gekaufte Wissenschaft" legt nahe, dass von der Industrie geförderte Übersichtsarbeiten zur Karzinogenität und Genotoxizität von Glyphosat grundlegende wissenschaftliche Fehler enthalten und durch offenbar wohlkalkulierte Auslassungen oder die Präsentation irrelevanter Daten Sachverhalte verzerrt darstellen und so den Leser in die Irre führen.

Regulierungsbehörden wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder die US-amerikanische Umweltschutzbehörde (EPA) - sie alle bedienen sich der Argumente, die in den von der Industrie gesponserten Übersichtsartikeln zu Glyphosat enthalten sind. Diese Praxis öffnet zudem potentiellen Interessenkonflikten beteiligter Einzelpersonen und involvierter Behörden Tür und Tor.

Im Sommer 2017 hatte Le Monde von Angriffen Monsantos berichtet, die sich gegen die IARC richten und die an Umfang, Schwere und Dauer einzigartig sind. Monsantos Eröffnungszug in dieser Kampagne: die IARC-Einstufung von Glyphosat 2015 - für Menschen wahrscheinlich krebserregend - als Ergebnis von "junk science" zu deklarieren.

Wissenschaftler, die an der Bewertung mitgearbeitet hatten, bekamen in der Folge Post von Monsantos Anwälten, mit der Aufforderung, sämtliche Daten, die Bezug zu ihrer Arbeit mit Glyphosat haben, zu übergeben. Gegen beteiligte US-Institute wurde der Freedom of Information Act in Stellung gebracht, der eigentlich den Bürgern des Landes das Recht zusichert, Zugang zu Dokumenten einfordern zu können, die das Resultat der Arbeit offizieller Behörden und ihrer Mitarbeiter sind. Die Le Monde-Journalisten bekamen selber zu spüren, dass solche Einschüchterungsmanöver wirken: Sie konnten kaum jemanden der beteiligten Wissenschaftler zur Beantwortung ihrer Fragen bewegen.