"Gottes Armee" zur Rettung einer Generation

Eine christliche Jugendbewegung in den USA tritt mit Popmusik und Großveranstaltungen gegen Popkultur und Medien als den neuen "Terroristen" an

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In den USA werden gerne Kriege geführt. Krieg gegen die Drogen, Krieg gegen die Pornographie (Mit einem Klick kann die Unschuld schon verloren sein), Krieg gegen Armut, Hunger oder Krebs. Der Krieg gegen den globalen Terror ist mit dem heilsgeschichtlichen Krieg gegen das (politisch) Böse verschmolzen worden. Auch wenn Krieg in solchen Zusammenhängen meist als Metapher in Analogie zu Kampf gebraucht wird, so ist sie verbunden mit massiver Gewaltanwendung zur Niederschlagung oder auch Elimination des jeweils wechselnden Gegners. Die jungen und religiös motivierten Konservativen in den USA sind offenbar des Krieges gegen den globalen Terror müde geworden und haben nun ein neues Böses identifiziert, gegen das sie mit Kampagnen, Großveranstaltungen und Medienstrategien mobilisieren. Das Böse steht für die Bewegung nicht mehr vor der Tür, sondern ist mit seinem Waffenarsenal - Filme, Internet, Musik, Werbung - in die Häuser eingedrungen.

Der Guru Ron Luce aus Texas. Foto: Acquire The Fire

A battle is raging for the hearts and minds of an entire generation. An evil enemy has launched a brutal attack. It's not in the Middle East, and terrorists are not the threat, but millions of souls are at risk. If we fail to act now, the youth of our nation could be lost forever. It's time to proclaim the Battle Cry.

Seit einiger Zeit befinden sich in den USA junge Christen auf dem Kriegszug. Martialisch ist die Kampagne BattleCry tituliert. Die junge Generation sei gefährdet und wird aufgerufen, sich an "Gottes Armee" zu beteiligen. Am letzten Wochenende trafen sich 25.000 junge Menschen für einen Eintrittspreis von 55 Dollar in San Francisco, um zwei Tage lang gegen den neuen terroristischen Feind anzutreten. Der kommt nun freilich nicht mehr in Gestalt von bärtigen Dschihadisten aus dem muslimischen Osten, sondern direkt aus der westlichen Kultur in Gestaltung der Popkultur. Sie gilt als "virtue terrorismus", gegen die nun mit Massenveranstaltung, mit Musik und Reden mobilisiert wird.

Auf einer Veranstaltung mit Popmusik und Reden. Foto: Acquire The Fire

San Francisco war der Auftakt einer Städtetournee im Rahmen der Aquire the Fire-Veranstaltungen. Im April folgen ähnliche Veranstaltungen in Detroit und Philadelphia. Dann will der 44-jährige Ron Luce aus Texas, der 1986 das Missionierungsunternehmen Teen Mania gründete und die Jugend wieder auf den Weg zurückführen will, den die Bibel vorschreibt, genügend Anhänger rekrutiert haben, die dann als Kämpfer in der "Armee Gottes" ausschwärmen sollen, um die Popkultur zu bekämpfen. Sie habe in den USA 33 Millionen Jugendliche in ihren Krallen, die schnell gerettet werden müssen, weil sie schon in Flammen stehen und zu verbrennen drohen. Und sie ist hinterlistig und gefährlich wie terroristische Schläfer, ihre Angriffe sind unmerklich und scheinbar harmlos, ihr Gewinn ist nahe, daher muss auch, gut apokalyptisch gestimmt, schnell gehandelt werden, um noch Seelen vor dem endgültigen Verhängnis retten zu können. Dazu werden auch Missionsfahrten in die Welt unternommen, für die die Teilnehmer selbst Spender zur Finanzierung finden müssen.

A stealthy enemy has infiltrated our country and is preying upon the hearts and minds of 33 million American teens. Corporations, media conglomerates and purveyors of popular culture have spent billions to seduce and enslave our youth. So far, the enemy is winning. But there is plenty we can do. We need to take action. We need to answer the Battle Cry.

Kommt mit diesen christlichen Kriegern, die gegen die Popkultur oder vielmehr: gegen die Medienkultur kämpfen wollen und ihre Weisungen direkt von Gott und der Bibel erhalten, eine neue Generation von Maschinenstürmern oder Ludditen im Gewand der Religion auf uns zu? Luce jedenfalls sieht sich in einem "Kulturkrieg" und einer Schlacht gegen "Terroristen einer anderen Art". Man ist gegen Homosexualität, vorehelichen Sex, Abtreibung, Drogen und Alkohol. "BattleCry" - von Luce als eine moralische Mobilisierung in Analogie zum Zweiten Weltkrieg gesetzt, als die Amerikaner den D-Day vorbereiteten und Europa von den Nazis befreiten - ist ein Amalgam aus einer Kritik an den Medien, am Kommerz und dem angeblichen Verfall der Moral, also an der westlichen Kultur, die auch die Islamisten ablehnen.

Aus einem Videoclip von Battle Cry, der auch mit Revolutionsromantik und großer Gemeinschaft spielt

Beklagt wird, dass die Familien zerfallen und Scheidungen überhandnehmen, dass Homosexuelle heiraten wollen, dass der Staat sich von seiner Verbundenheit mit dem Christentum löst und beispielsweise christliche Zeichen oder Sprüche aus staatlichen Logos entfernt, während das Internet die Menschen mit Pornographie und anderen Übeln überschwemmt, Computerspiele das Töten trainieren, die Texte in der Popmusik pervers sind und die TV- und Kinofilme in Sexualität schwelgen. Die Jugendlichen sehen 16-17 Stunden Fernsehen in der Woche, sind drei Stunden täglich online und werden als Kunden, die über 120 Milliarden Dollar verfügen, von der Industrie mit Werbung attackiert, die nur an Marken und Profit denkt, aber nicht an das Schicksal dieser Generation.

Schlimm sei besonders, dass es schon jetzt in den USA nur noch 35% Evangelikale in der "Baby Boomer"-Generation gebe. Immer weniger Menschen würden sich der Religion zuwenden, bald wird es nur 4% Evangelikale geben. Doch die "Millennial generation", also diejenigen Menschen, die unter 25 Jahre alt sind und 1980 und später geboren wurden, seien mit 77 Millionen die bislang größte Generation und könnten ähnlich wie die "Baby Boomer" die USA und die Welt verändern. Aber es ist eben auch die Generation, die mit den Medien aufgewachsen ist (MTV-Generation) und die auch als erste digitale Generation gilt, während sie gleichzeitig als die verwöhnteste und gebildeste betrachtet wird.

Aus einem Videoclip von Battle Cry

Problematisch sei es, meint Ron Luce, dass angeblich nach wissenschaftlichen Untersuchungen 77% der Menschen, die gläubig wurden, vor ihrem 21. Geburtstag "zu Christus gefunden" haben. Daher besteht Eile. Millionen "Millennials" sind schon verloren, weil zu alt. Die Generation, die um 1989 geboren wurde, stellte aber den größten Anteil, man habe noch ein Zeitfenster von etwa 5 Jahren, um diese Generation noch vor dem Bösen zu retten.

"BattleCry" will durchaus nostalgisch die Evangelikalen retten, deren Weltbild so beschrieben wird:

Anfang 1900 galt fast die gesamte Bevölkerung der USA als evangelikale Christen. Das bedeutet, sie glaubten an die grundlegenden Prinzipien der Bibel: dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde, dass er der einzige geborene Sohn Gottes ist, dass er der einzige Weg zum Heil ist, etc. Sie glaubten, dass es einen Himmel und eine Hölle gibt und dass es Gott gibt, der die Welt erschaffen hat.

Aus einem Videoclip von Battle Cry

Ron Luce will seinen Anhängern - "One Generation under God" - vermitteln, dass sie mit ihm die Welt verändern können. Wohin genau, ist weniger klar. Aber es geht um Großes: "Wir wagen es, so groß wie Gott zu träumen, und wir glauben, dass wir mit Gott an unserer Seite das Unmögliche erreichen können." Allerdings will auch Luce die kritisierte Popkultur und die neuen Medien zur Missionierung nutzen - kommerziell. So produziert das von Ron Luce kürzlich gegründete Center for Creative Media, das Ausbildung für christliche Medienschaffende anbietet, Musik- oder Werbevideos, Kurzfilme oder andere Medienprodukte ganz im Stil der gewohnten Popkultur. Und auch die Veranstaltungen, in deren Kern Popkonzerte mit den richtigen Botschaften stehen, nutzen die Popkultur zur Missionierung.