Gottgegebenes Arbeitsrecht? Die umstrittene Sonderstellung der Kirchen
Wer für Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände arbeitet, genießt nicht dieselben Rechte wie anderer Arbeitnehmer. Ist dieser Sonderstatus noch gerechtfertigt?
Arbeitende zweiter Klasse? Ein Teil der Beschäftigten hat nur eingeschränkte Arbeitnehmerrechte – diejenigen, die bei Einrichtungen der christlichen Kirchen tätig sind. Die Gewerkschaften fordern deshalb Reformen und erinnern die Bundesregierung an ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag.
1,8 Millionen Beschäftigte unter kirchlichem Sonderrecht
Die größten nicht-staatlichen Arbeitgeber Deutschlands sind die evangelische und katholische Kirche mit ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas. Etwa 1,8 Millionen Menschen arbeiten dort, davon rund 1,3 Millionen in Unternehmen unter dem Dach der beiden Wohlfahrtsverbände.
Die Finanzierungsfrage: Wer zahlt für kirchliche Arbeit?
"Die Finanzierung der Arbeit erfolgt fast ausschließlich aus Sozialversicherungsbeiträgen und Steuermitteln, ganz genauso, wie bei nicht-konfessionellen Trägern", erklärt die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Dennoch sind Beschäftigte in kirchlichen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, bei Behinderten- und Jugendhilfe, Rettungsdiensten oder Kitas einem rechtlichen Sonderstatus unterworfen.
In der Praxis hat dies enorme Auswirkungen: Kirchen greifen in die Privatsphäre der Beschäftigten ein, indem sie für Ärzte oder Krankenpflegerinnen die Kirchenmitgliedschaft fordern und andernfalls Kündigungen aussprechen.
Betriebsrat und Mitbestimmungsrecht: Fehlanzeige bei kirchlichen Trägern
Auch haben die Mitarbeiter keine Rechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Denn in § 118 Abs. 2 BetrVG heißt es:
Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform.
Die Beschäftigten können deshalb keinen Betriebsrat wählen. Insofern können keine Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden, die bei Arbeitszeitfragen auch die Belange der Belegschaft berücksichtigen. Per selbst ernannten "Dritten Weg" entscheiden Kirchenvertreter über die Löhne oder Wochenarbeitszeiten und lehnen Tarifverhandlungen ab.
Die Ampel-Regierung und das Versprechen einer Reform
Die "Ampel"-Bundesregierung hat zum Amtsantritt versprochen, das Thema anzugehen:
Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben ausgenommen.
Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP, 2021
Mit der Petition "Gleiches Recht für kirchlich Beschäftigte" fordert Verdi die Regierung zum Handeln auf. Zehntausende Menschen fordern mit ihrer Unterschrift:
Es ist höchste Zeit, dass Beschäftigte bei Diakonie, Caritas und Kirchen nicht mehr wegen privater Entscheidungen gekündigt werden können. Sie haben es verdient, über ihre Arbeitsbedingungen wirksamer mitbestimmen zu können. Wir fordern vom Gesetzgeber, beides endlich neu zu regeln.
Denn es reiche nicht, das kirchliche Arbeitsrecht "nur zu überprüfen, wie es SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart haben."
Kirchliches Arbeitsrecht unter der Lupe: Reformbedarf erkannt?
Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen forderte bereits der Theologe Hartmut Kreß Reformen zur Sonderrolle der Kirchen. Es handele sich um ein Problem von großer gesellschaftlicher Tragweite, das lösbar wäre, ohne Kosten beim Staat zu verursachen.
Von den Kirchen selbst gehe auf diesem Gebiet kein Reformwille aus, meint der ehemalige Theologieprofessor, sie seien allem Anschein nach nur dann zu Reformen bereit, wenn ihnen diese durch äußeren Druck aufgezwungen werden.
Gegen religiöse Diskriminierung: Ein Kampf seit 2012
Die Kampagne "Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz" (GerDiA) kritisiert seit 2012 die Missstände im kirchlichen Arbeitsrecht. Die Sprecherin der Kampagne, der ehemaligen FDP- und SPD-Spitzenpolitikerin Ingrid Matthäus-Maier erklärte bereits 2018:
muss der Gesetzgeber aktiv werden. Die bisherige Passivität der Politik ist unerträglich. Es ist den Angestellten der Kirchen nicht zumutbar, sich einzeln durch die Instanzen zu klagen, um zu ihrem Recht zu kommen. Das kirchliche Arbeitsrecht muss abgeschafft und Diakonie und Caritas endlich behandelt werden wie jeder andere Wohlfahrtsverband auch!
Anlass dieser Erklärung war das Verfahren eines Chefarztes. Ein katholisches Krankenhaus hatte ihm gekündigt, da er nach Scheidung wieder geheiratet hat. Die Richter setzten eine Weiterbeschäftigung durch und hoben die Kündigung auf.
Fallbeispiele und Gerichtsentscheidungen: Ein Weg zur Gleichberechtigung?
Bei Kündigung wegen Kirchenaustritt geraten die Würdenträger zunehmend unter Druck staatlicher Gerichte. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat erneut ein Verfahren dazu dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vorgelegt. Auf europäischer Ebene soll so entschieden werden, ob die Kündigung der Mitarbeiterin einer katholischen Schwangerschaftsberatungsstelle wegen Kirchenaustritt eine Diskriminierung darstellt.
Über sechs Jahre hatte die Sozialpädagogin bei dem katholischen Verein gearbeitet, dann ging sie im Juni 2013 in Elternzeit. Noch im Oktober 2013 trat sie aus der Kirche aus. Als Grund gab sie später an, dass die Diözese Limburg ein besonderes Kirchgeld erhebe. An ihren christlichen Werten habe sich durch den Austritt nichts geändert, meldet Legal Tribune Online.
Die Dortmunder Caritasklinik war im Streit mit einer Hebamme nach ihrem Kirchenaustritt bereits eingeknickt und nahm die Kündigung Ende letzten Jahres zurück. Offensichtlich sollte ein Grundsatzurteil vom EuGH vermieden werden.
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