Griechenland: Ein Rücktritt als Spitze eines Eisbergs

Wie man blitzschnell einen Ministerrücktritt aufgrund von alten Steuerschulden bewirken kann und dabei einen Premier vom Himmel in die Hölle schickt

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Angela Gerekou, griechische Ministerin für Tourismus und Sport und Exschauspielerin, musste am Montag unter dem Druck einer seit 1993 bestehenden Steuerschuld ihres Ehegatten, dem Gesangsstar Tolis Voskopoulos, zurücktreten. Die stolze Summe von 5,5 Millionen Euro hatte sich Dank Zinsen und Zinseszinsen angehäuft. Diese Meldung ging am Montagabend über die Ticker der internationalen Nachrichtenagenturen.

Angela Gerekou. Bild: Pasok

Der Rücktritt erschien unvermeidbar. Die Steuerbehörden hatten die seit 1993 bestehende Schuld nicht eingetrieben. Zu einer Zeit, in der selbst Renten, die unter der Armutsgrenze liegen, aufgrund der staatlichen Finanzkrise gekappt wurden, konnte dieser behördliche Schlendrian nicht vermittelt werden. Viele Griechen sahen in der Nachsicht der Finanzämter Zeichen von Nepotismus.

Zahlreiche Gerichtsurteile - das letzte im September 2009 - gegen Voskopoulos, der über umfangreichen Grundbesitz und mehrere Autos verfügt, hatten zwar jedes Mal zur Feststellung der durch Zinsen wachsenden Schuld geführt, eine Beschlagnahmung fand jedoch nie statt. Der Stimmkünstler behauptete, er sei mittellos. Die übrigen Hellenen bekommen im Fall eines Zahlungsverzugs recht zügig Pfändungsandrohungen und Beschlüsse. Otto Normalgrieche muss, egal ob er über Besitz verfügt, entweder zahlen oder ins Gefängnis wandern.

Die offensichtliche Vorzugsbehandlung des Barden, der darüber hinaus auch Tantiemen kassiert und trotz seines Alters noch aktiv ist, erzürnte die Griechen so sehr, dass sich die Regierung genötigt sah, eine offizielle Untersuchung zur Aufklärung - böse Zungen behaupten zur Vertuschung – der Umstände einzuleiten.

Voskopoulos behauptet, er habe keinen Nutzen aus den der Steuerschuld zu Grunde liegenden Einnahmen gezogen. Denn, so der Barde, dieses Geld sei in den Besitz seiner Exfrau, Julia Papadimitriou (Ehe von 1990-1995), übergegangen. Der Musiker, dessen Talent für Harmonien geschätzt und dessen Unvermögen in Finanzfragen legendär ist, pflegt bei Scheidungen schlicht ohne Gepäck sein Haus zu verlassen. So hat er es auch bei seiner früheren Lebensgefährtin, der Sängerin Marinella, gehalten.

Ohne Politik – eine Story mit reinem Unterhaltungscharakter

So weit es den Künstler betrifft, wäre die gesamte Story lediglich einen Absatz in Yellow Press Magazinen wert. Eventuell hätte ein kleineres Lokalblatt mit der Geschichte des romantischen Zahlmeisters und Schwarms der Frauenwelt einige Zeilen füllen können. Viele Griechen hätten trotz Krise ihrem Idol die Steuerschuld verziehen, doch dieses Mal hatte der notorische Finanzbanause eine Politikerin an seiner Seite.

Gerekou stammt aus einer begüterten Familie, studierte Architektur und blickte auf eine durchschnittliche Karriere als Starlet zurück als sie den Barden ehelichte. Die aus dieser Verbindung resultierende Prominenz machte sie jedoch attraktiv für politische Parteien.

Hellenische Parteiführer pflegen zur Stärkung der Popularität ihrer Wahlkampfteams Prominente zu engagieren. Auch Nana Mouskouri und Melina Mercouri dienten bereits als politische Aushängeschilder für die beiden Regierungsparteien Nea Dimokratia und PASOK. Gerekou war die "schöne Helena vom Dienst" der PASOK.

Eine Ministerin als persönliche Favoritin des Premiers

Direkt nach dem Wahlsieg im Oktober 2010 wählte Ministerpräsident Papandreou sie als Tourismusministerin aus. Der Premier wollte sein junges und weitgehend unerfahrenes Kabinett mit einer weiblichen Note attraktiver machen. Ein Eigentor, leider konnten fast alle ausgewählten Ministerinnen bisher nicht den Ansprüchen genügen. Zu sehr wurden die Damen mit den Maßstäben gemessen, die ihre oft publikumswirksam polternden, meist männlichen Vorgänger gesetzt hatten. Zu wenig konnten Frauen bisher in Griechenland Führungserfahrungen sammeln. Fast alle stehen im Kreuzfeuer der Kritik. Die Krise lässt keine Zeit für Einarbeitungsperioden.

Angela Gerekou allerdings schlug sich bisher gut. Selbst interne Reibereien mit dem ihr übergeordneten Kultur-Minister Pavlos Geroulanos überstand die smarte Angela bisher gut. Das Tourismusministerium, verantwortlich für die Haupteinnahmequelle des Landes, war bei der Regierungsbildung ins Kulturministerium eingegliedert worden. Gerekou war demnach faktisch Ministerin hatte aber den protokollarischen Rang einer Vizeministerin. Ihr ministerieller Vorgänger, Aris Spiliotopoulos von der Nea Dimokratia, steht ebenfalls wegen finanziellen Ungereimtheiten im Blick der erbosten Öffentlichkeit. Die attraktive Ministerin war dagegen bisher ein Pluspunkt und Lichtblick für das durch Krisen geplagte Kabinett Papandreous.

Ein Bumerang der Regierungspropaganda

Papandreou hatte sich im Wahlkampf 2009 vor allem drei Parolen auf die Fahnen geschrieben. Er wollte die Einkommen der unteren Schichten stärken, Steuerflüchtlinge und Korruptionskünstler dingfest machen und mit Hilfe der "grünen Revolution" aus Griechenland ein Paradies der erneuerbaren Energiequellen machen. Statt die ärmeren Schichten ökonomisch zu stützen, musste der Premier unter dem Druck des IWF, den er selber zu Hilfe rief, Gehälter und Renten kürzen, Sozialleistungen kürzen oder streichen und Verbrauchssteuern drastisch erhöhen.

Die grüne Revolution blieb bisher aus. Statt als umweltfreundliches Musterland zu glänzen, droht dem Land eine vier Milliarden Euro Strafe der EU wegen eklatanter Umweltverschmutzung. Zu nachlässig haben bisherige Regierungen das Abfallproblem behandelt. Auch hier versagte eine Ministerin. Tina Birbili, die gemeinsam mit Papandreous Bruder Andrikos ein Buch verfasst hatte, wurde vom Premier aus dem politischen Nichts zur Ministerin gemacht.

Dem gebeutelten Regierungschef blieb als letzter Trumpf der Kampf gegen zahlungsunwillige Steuertrickser und korrupte Beamte. Die Umfragewerte des Premiers sinken zwar, doch angesichts einer wirkungslosen parlamentarischen Opposition gilt der Sozialistenchef noch als letzter Strohhalm für das wirtschaftlich angeschlagene Land. Dank seiner Entschlossenheit genießt er noch das internationale Vertrauen.

Bereits frühzeitig bekannte er angesichts der andauernden Proteststreiks mutig, dass er seine Spar- und Sanierungspläne auch auf Kosten einer vernichtenden Wahlniederlage durchsetzen würde. Selbst Kritiker halten dem Spross der Politikerdynastie Papandreou zugute, dass er sich bisher auch in scheinbar aussichtslosen Situationen durchsetzen konnte. Innerparteiliche Konkurrenz konnte er ausschalten, Kritiker seiner Sparmaßnahmen warf er kurzerhand aus der Partei.

Drei prominente parlamentarische Abweichler aus dem PASOK-Lager bekamen dies unlängst zu spüren als sie am Donnerstag vor zwei Wochen bei der Abstimmung über die IWF-Maßnahmen "ihrem Gewissen Folge leisteten" und sich der Stimme enthielten. Zu unsozial erschien ihnen das Maßnahmenpaket.

Direkt nach der parteiinternen "Bereinigung" zog der Sozialistenchef seine letzte Trumpfkarte. Der Kampf gegen Steuerdiebe wurde in die Öffentlichkeit übertragen. Das Finanzministerium veröffentlichte unter großem Medieninteresse Listen über der Steuerflucht verdächtigte Ärzte vor allem aus dem Athener Nobelviertel Kolonaki. Die Listen fanden ihren Weg in Blogs. Die Blogosphäre hatte nun die Daten über die angeblichen Einkünfte der Ärzteschaft, das streikende Volk konnte sich abreagieren. Papandreou selbst konnte wieder in die Rolle des Machers schlüpfen.

Mit Hilfe des IWF- und EU-Rettungspakets scheint der Staatsbankrott, wenn nicht aufgehoben, so zumindest aufgeschoben. Die Medien stützten die Kampagne der Jagt nach Steuersündern und veröffentlichten Listen mit den steuerlich gemeldeten Einkommen von Freiberuflern. Diese, so der Tenor der Berichte, würden auf eklatante Weise Einnahmen verschweigen. Fernsehsender verkündeten, dass angegebene Durchschnittseinkommen von 14.000 Euro per Anno für freie Journalisten und 13.000 Euro für Künstler eine Unverschämtheit seien.

Fast schien es als habe der Premier wichtige Zeit gewonnen, denn gleichzeitig gelangte das Thema "Pleitegriechen" etwas aus dem Blickfeld der internationalen Medien. Außenpolitisch konnte der stolze Papandreou anlässlich eines Staatsbesuchs seines türkischen Amtskollegen Erdogan Pluspunkte sammeln und zahlreiche Vereinbarungen mit dem Erzfeind unterzeichnen. Im Glauben, dass die Proteste gegen seine Sanierungsmaßnahmen nun langsam abklingen würden, reiste der Chef zum EU-Lateinamerika Gipfel ab. Doch nach medialem Lob folgt oft die öffentliche Demontage.

Die Medienwelt schlägt zurück

Wie ein griechisches Sprichwort besagt: "Fehlt der Kater, dann tanzen im Haus die Mäuse." Am Montagmorgen veröffentlichten Athener Zeitungen die Meldung über Voskopoulos Steuerschuld. Papandreou war im Ausland, die Ministerin selbst auf einer Reise durch die Provinz zur Einweihung eines Flughafens und die privaten Fernsehanstalten konnten aufgrund eines Technikerstreiks keine Nachrichten senden.

Sofort wurde das Thema von Radiosendern und Bloggern aufgegriffen. Alle witterten die Chance einen Scoop zu landen. Geschichten wie diese sind in der verhältnismäßig kleinen Athener Szene schnell recherchierbar. Viele griechische Blogs werden von professionellen Journalisten betrieben. Das Bloggen dient diesen als Werbung und als Gegengewicht zum oft durch mediale Parteilinien vorgegebenem eingeschränkten Journalismus. Ein augenblicklicher Skandal war geboren. Plötzlich zeigte sich jeder verwundert über die Steuerschuld des Barden. Pikante Details aus der Vergangenheit der Ministerin und des Musikers waren Thema einer "Hatz durch das Dorf". "Skandal", "Betrug", "Verrat" titelten viele.

Einfaches googeln hätte bereits gezeigt, dass sich der Sänger seit Jahren mit seiner Exfrau Julia über diese Summe streitet. Voskopoulos steht auf dem Standpunkt, dass seine geschiedene Gattin als Nutznießerin des Vermögens auch die entsprechenden Steuern zahlen muss. Eine Umstand, den die griechischen Gerichte anders sehen, aber auch eine seit langem bekannte Angelegenheit.

Regierungssprecher Georgios Petalotis versuchte deshalb auch dem medialen Klima gegenzusteuern. Er bezeichnete die Steuerschuld von Voskopoulos als "Privatangelegenheit" und legte dem ORF ein Schweigegebot auf. Dies erwies sich als verhängnisvoller Fehler, denn dadurch kam die Volksseele erst recht zum kochen. Zu tief sitzt bei den Bürgern das Gefühl, von den Volksvertretern für dumm verkauft zu werden. Der Rücktritt von Papandreous Protege war perfekt. Die Presse hatte als "vierte Macht im Staat" das Kräftemessen noch vor Rückkehr des Premiers gewonnen.

Viele kleine Berlusconis in Startpositionen

Gute Karten für die Medienwelt, die derzeit gegen eine neu eingeführte 20-Prozent-Abgabe auf Werbeeinnahmen protestiert. Schlechte Karten für den Premier, der nun trotz seiner zahlreichen Dementis in der letzten Woche einen kompletten Regierungsumbau angehen muss.

Ein weiterer Minister, Dimitris Reppas, verantwortlich für die Infrastruktur des Landes, steht unter Druck. Einerseits wird das Gerücht gestreut, dass der Minister ein Ausbluten des ehemals staatlichen Telekomriesen OTE zugunsten der Deutschen Telekom zulassen würde.

Reppas habe aber ebenso, so eine vom Unternehmer Andreas Vgenopoulos eingereichte Strafanzeige, überhöhte Subventionen in Höhe von 2,2 Millionen Euro an seine Konkurrenten genehmigt. Der Multiunternehmer führt die einst staatliche Olympic Air. Vgenopoulos, der auch in Mediensektor aktiv und Großaktionär von Griechenlands Fußballmeister ist, gilt als hellenische Version Berlusconis. Der Vorstandschef der Marfin Investment Group war erst jüngst in die Schlagzeilen geraten, weil Angestellte seiner Bank beim jüngsten Generalstreik ums Leben kamen.

Doch außer Vgenopoulos gibt es noch weitere Berlusconi-Fans in griechischen Landen. Der Industriellenverbandschef Dimitris Daskalopoulos provoziert und bezeichnet die parlamentarische Politik als überholt und ineffektiv. Der Industrielle fordert, dass Wirtschaftsbosse das Land führen müssten, nur so käme man aus der Krise. Eine Wirtschaftspartei als Neugründung sei nicht erforderlich, diese wäre bereits existent, polemisiert er.

Die Lage im Land bleibt prekär

Weiterer Zündstoff kommt ausgerechnet von IWF-Direktor Dominique Strauss Kahn. Dieser kündigte an, dass zur Rettung des Landes weitere Kürzungen notwendig sein werden. Die Löhne im Privatsektor müssten zur Belebung der Wettbewerbsfähigkeit sinken, die EU und die hellenische Politik hätten zu spät gehandelt. Allerdings würde er selbst streiken und protestieren, wenn er griechischer Bürger wäre.

Ein derartiges Wirrwarr ist die denkbar schlechteste Ausgangslage für die wirtschaftliche Genesung des Landes, das am Donnerstag einen weiteren Generalstreik erleben wird. Die hitzköpfigen Griechen werden, so wird allseits befürchtet, mal wieder Dampf ablassen. Eurospekulanten wird das freuen, je chaotischer die Lage und je schwächer Papandreou wird, umso mehr steigen die Aussichten auf ein Einstreichen des Wettgewinns zum griechischen Staatsbankrott. Regierungsfähige Alternativen für Griechenland scheinen derzeit nicht in Sicht zu sein. Paradox erscheint, dass dieses innergriechische Chaos eine derartige Wirkung auf die gesamte Eurozone hat.