Griechenland: Flüchtlinge SOS
Wie die Grenzblockade die Flüchtlinge im Land ins absolute Chaos stürzt
Zehntausende Flüchtlinge und Immigranten irren durch Griechenland. Das von Straßenlockaden der Bauern faktisch in mehrere Teile geschnittene Land verfügt weder über die Finanzmittel, noch über die Infrastruktur der Lage Herr zu werden. Mehr als 20.000 Menschen sitzen an 18 Stellen im gesamten Land ohne Nahrung und ohne Obdach fest. Griechenland ist zu einem einzigen, landesweiten Hotspot geworden.
"Zehn Tage bleiben uns, dann bricht die Schengenzone zusammen". Mit diesen dramatischen Worten versucht der für Migration und Flüchtlinge zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos die EU-Partner beim Flüchtlingskongress der Innen- und Migrationsminister zum gemeinsamen Handeln zu bewegen. Geholfen haben solche Appelle bislang ebenso wenig wie die diplomatischen Bemühungen Griechenlands in der Flüchtlingsfrage.
Der Kongress tagt
Hauptschuldiger am aktuellen Drama ist für die griechische Regierung die Aktion Österreichs, mit einer eigenen Konferenz, zu denen die Staaten der Balkanroute außer Griechenland eingeladen waren, den Weg der Flüchtlinge nach Nordeuropa zu versperren.
Die Republik Österreich, als EU Mitglied eigentlich Partner Griechenlands, soll der mit Griechenland nicht unbedingt befreundeten EJR Mazedonien sogar die Entsendung von Soldaten zur Sicherung der Grenzen nach Griechenland angeboten haben. Nachdem eine scharfe diplomatische Note Griechenlands keine Wirkung auf Österreich zeigte, gab es nun als Reaktion den Abzug der griechischen Botschafterin aus Wien.
Die deutsche Regierung hat dagegen über Innenminister Thomas de Maizière den Athenern mitgeteilt, dass ihr Streit mit Österreich eine rein bilaterale Angelegenheit sei. Auf Schützenhilfe aus Berlin kann Griechenland nur bei einer juristisch dubiosen Aktion hoffen. Die NATO-Einsatzschiffe der Bundesmarine sollen in der See aufgegriffene Flüchtlinge entgegen dem Völkerrecht und der europäischen Asylgesetze kurzerhand in die Türkei zurückverfrachten. Davon verspricht sich die Politik eine abschreckende Wirkung (Nato in der Ägais: Krisenmanagement zur Abschreckung von Flüchtlingen).
Während Europa debattiert, kommen täglich Boote von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln. Sie bringen jeden Tag mehrere tausend Neuankömmlinge. Vorgeblich ist die Motivation der Wiener Regierung, die griechische mit dem Druck der geschlossenen Grenzen dazu zu bewegen, auch die Grenzen dicht zu machen. Ein Unterfangen, das bei der Seepassage im Vergleich zu den mit Zäunen absperrbaren Landesgrenzen nahezu unmöglich erscheint.
Die Entschlossenheit der Flüchtlinge
Wie entschlossen die vor Krieg, Naturkatastrophen und Armut flüchtenden Menschen sind, zeigt sich auf den Autobahnen in Griechenland. 500 Flüchtlinge machten sich vom durch Bauern gesperrten Tempi Pass auf 180 Kilometer Fußweg in Richtung Grenze auf. Alte, Junge, Schwangere und Körperbehinderte ließen sich auch von der bei anderen Gelegenheiten brutal eingreifenden Einsatzpolizei nicht daran hindern, auf der Fernstraße auch nach der Blockade, die ihre Busse seit Tagen festhält, ihren Weg gen Norden fortzusetzen.
Ähnliche Szenen gibt es an allen 18 betroffenen Orten. Die Inseln Kastelorizo, Kos, Leros, Samos, Chios und Lesbos bekommen täglich Neuankömmlinge. In einer dramatischen Entscheidung hat die Regierung nun beschlossen, nur noch maximal die Hälfte mit den Schiffen zum Festland zu bringen. Der Befehl wurde mündlich an die Schifffahrtsunternehmen, die mit ihren gecharterten Fähren täglich mehrmals Flüchtlinge nach Piräus bringen, weitergegeben. Denn auch auf dem Festland gibt es keinerlei Unterkünfte, geschweige denn eine menschenwürdige Versorgung.
- In Eidomeni und im Nachbarort zur EJR Mazedonien stauen sich Tausende vor den frisch errichteten Grenzzäunen.
- In Kozani, Kleidi Imathias, Skotina Pierias, Tempi, Grevena, Lamia und Kalampaka sitzen die Flüchtlinge wegen der Bauernblockaden buchstäblich auf der Straße und kommen nicht weiter.
- Aus Lagern, wie in Diavata (Thessaloniki), Elaionas, Elliniko, Sxisto (Athen) flüchten täglich Menschen, um sich auf den Weg gen Norden zu machen.
- Am Victoria Platz im Herzen Athens versuchten zwei Pakistanis sich am Donnerstag aufzuhängen, weil sie den Selbstmord als einzigen Ausweg sahen.
Pars pro toto - die Lage im Hafen von Piräus und in Athen
Die in Piräus ankommenden Flüchtlinge können derzeit wegen der Straßenblockaden nicht auf eine Weiterreise hoffen. Trotzdem versuchen windige Schleuser immer wieder, Tickets für Busse oder dubiose Reisen über eine Alternativroute durch Albanien zu verkaufen. Im Hafen gibt es bei den Passagierpiers E 1 und E 2 zwei modernere Wartehallen. Diese werden nun von den Flüchtlingen als provisorische Wohnstätte genutzt. Knapp 1.600 befinden sich im Durchschnitt am Terminal E 1, etwa 700 finden sich im Terminal E 2. Die täglichen Abgänge werden in Windeseile von den Neuankömmlingen von den Inseln ausgeglichen.
Die Polizei und die Küstenwache versuchen so gut es geht, die Ordnung zu wahren. Verzweifelte Helfer und ebenfalls von den Blockaden betroffene Hilfsorganisationen bemühen sich, wenigstens einen Bruchteil der notwendigen Versorgung aufrecht zu erhalten. Das, was keine Kamera und kein Text wirklich wiedergeben kann, ist der muffige Geruch in beiden Terminals. Der Luft in den überfüllten Hallen fehlt es spürbar an Sauerstoff. Daher dösen die meisten der Flüchtlinge nur vor sich hin.
Wer keinen Platz in der Halle hat, muss draußen schlafen. Seitens des Staats werden immer wieder einige Bedürftige abgeholt, die in die Athener Lager Elaionas oder am früheren Flughafen Elliniko oder aber zum Lager Sxisto bei Piräus verbracht werden. Doch auch dort gibt es kaum mehr Platz, weil keine Busse gen Norden an die Grenze fahren und die dortigen Insassen somit ebenfalls fest stecken.
Einen großen Teil der Flüchtlinge zieht es daher in die Parks und auf die Plätze von Athen. Sie versprechen sich von dort aus die schnellere Weiterreise. Das wiederum bringt die Anwohner der betroffenen Gebiete auf den Plan. Eine nach eigenen Angaben Achtundsiebzigjährige erklärte gegenüber Telepolis: "Wir können nicht mehr zum Supermarkt gehen. Überall nur bettelnde Flüchtlinge. Ich habe Angst".
Mit Bedauern für ihre eigenen Worte erklärte sie, dass nahezu ihre gesamte Nachbarschaft nun auf eine Machtergreifung der neonazistischen Goldenen Morgenröte hoffen würde. "Ich mag die nicht, aber sehen Sie, all die Menschen hier verrichten ihre Notdurft auf der Straße und in unseren Hauseingängen, das ist untragbar", versuchte sie sich zu entschuldigen.
Im Hafen versuchen deshalb Helfer und auch im Land lebende legale Einwanderer, die Flüchtlinge von der Fahrt nach Athen abzubringen. Ein Zitat - "Hier habt ihr wenigstens Toiletten, am Victoria Platz gibt es weder dies, noch fließendes Wasser" - , das ein in der Flüchtlingshilfe engagierter Afghane gebetsmühlenartig an seine Landsleute herunterbetete, beschreibt die Situation treffend.
Zudem können die Gestrandeten im Hafen von Piräus zumindest ihre Mobiltelefone aufladen und über WiFi-Netze den Kontakt zu ihren Freunden und Verwandten aufrechterhalten. Am Viktoriaplatz in Athen müssen sie dafür an abgeschlossenen Stromkästen hantieren, weil die umliegenden Geschäfte mit dem Massenandrang auf ihre Steckdosen überfordert sind. Zudem gibt es auch hier Geschäftemacher. Es sind nicht nur die Wirte, die für etwas Strom Geld verlangen, sondern auch junge Mädchen, die in einheitlicher Uniform des Mobilfunkriesen Wind Prepaid SIM-Karten an die Flüchtlinge verkaufen.
Wieso die Verzweifelten dennoch den weiteren Weg von Piräus aus wagen, wird verständlicher, wenn bedacht wird, dass am Donnerstag gegen 15:30 h noch keine Essenrationen an diejenigen, die um 6:30 h mit der Fähre kamen, ausgegeben werden konnten. Lediglich am Pier E 1 gibt es einen fahrenden Händler, der die Menschen gegen ihr oft letztes Geld mit Chips und Süßigkeiten versorgt.
Der Staat selbst ist machtlos. Die freiwilligen Hilfsorganisationen hingegen verfügen nicht über die notwendigen Kapazitäten, um ihre sozialen Küchen zeitig zu allen Brennpunkten zu bringen. Die gesamte Situation im Land - nicht nur die Flüchtlingsfrage - wird immer dramatischer.