Griechenland-Kurs lässt es in der Troika krachen
Der IWF räumt Fehler bei Griechenland-Rettung ein, bei der EU-Kommission fühlt man sich auf den Schlips getreten
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat "bedeutende Misserfolge" bei der Griechenland-Rettung eingeräumt, weil stets von zu positiven Annahmen ausgegangen wurde. Die Wirkungen des strengen Sparkurses auf das Wachstum und Arbeitslosigkeit wurden massiv unterschätzt, aber die Schuldentragfähigkeit überschätzt. Verstoßen wurde gegen drei der vier eigenen Bedingungen. Nun meint der IWF, der Schuldenschnitt hätte viel früher kommen müssen. Doch man fragt sich, ob nicht alles genau wie geplant abgelaufen ist: Private Gläubiger und Hedge-Fonds bekamen genug Zeit, um Geld aus Griechenland abzuziehen und wurden vom Schuldenschnitt kaum belastet. Im Bericht angesprochene Differenzen in der Troika brechen nun deutlich auf. Die EU-Kommission will von Kritik nichts wissen und nennt sie "schlichtweg falsch und unfundiert".
Es war zunächst das Wall Street Journal, das von einem IWF-Dokument mit dem Vermerk "strictly confidential" berichtet hatte. In der angeblich "streng vertraulichen" Studie habe der IWF selbstkritisch "bedeutende Misserfolge" in Griechenland eingeräumt. So seien die Prognosen der Washingtoner Finanzorganisation regelmäßig viel zu positiv ausgefallen. Die Wirkungen der Sparprogramme auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitslosigkeit seien massiv unterschätzt worden. Wovor renommierte Ökonomen stets gewarnt hatten, gibt der IWF nun tatsächlich zu. Die Wirtschaft Griechenlands stürzte in "eine viel tiefere Rezession", als er IWF erwartete, womit eine "außergewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit" einherging. Weil die große Axt in Griechenland angesetzt wurde, ist sie auf 27% explodiert und bei jungen Menschen sind es schon mindestens 62,5%.
Eingetreten ist nur, was zum Beispiel Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman mit aller Deutlichkeit schon vor drei Jahren benannte, wonach "Verrückte an der Macht" seien. Er hielt die IWF-Programme, die Staatsausgaben in Krisenländern zurückzufahren, für eine "sehr große Dummheit". Damit würden die Gesamtnachfrage und die Erholung belastet. "Es ist unglaublich, dass das passiert, obwohl die Arbeitslosigkeit in den Euroländern weiter zunimmt", schrieb er. Man musste wahrlich kein Wirtschaftsnobelpreisträger sein, um zu erkennen, dass es sich dabei um ein Rezept für ein Desaster handelte, womit die Lage in Griechenland und anderen Krisenländer nur verschlimmert werden würde (Die Angst vor der Inflation steigt).
Neu ist vieles nicht, was in dem angeblichen Geheimbericht steht. Schließlich haben der IWF- Chefvolkswirt Olivier Blanchard und sein Kollege Daniel Leigh schon im Januar eingeräumt, sich fatal geirrt zu haben. Allerdings sprachen sie beschönigend von einem "Rechenfehler". Doch der hat dazu geführt, dass die drakonischen Sparprogramme für die Krisenländer entworfen wurden (Barroso erklärt die Krise für beendet). Sie führten zu den "katastrophalen Folgen", vor denen auch Joseph Stiglitz gewarnt hatte.
Nicht nur Probleme beim Rechnen
Im April wurde bekannt, dass die Grundlage der IWF-Programme absurd war. Kenneth Rogoff, ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), und Carmen Reinhart hatten stets behauptet, das Wirtschaftswachstum von Staaten falle dann rapide, wenn die Verschuldung die Grenze von 90% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigt. Auf dieser Annahme wurden die Austeritätsprogramme geschmiedet, die Krisenländern verordnet wurden (Harvard-Ökonomen geben Fehler bei folgenreicher Staatsschulden-Studie zu).
US-Forscher haben aber nachgewiesen, dass diese These unhaltbar ist. "Codierungsfehler, der selektive Ausschluss vorhandener Daten und die unkonventionelle Gewichtung zusammenfassender Statistiken haben zu erheblichen Fehlern geführt, die das Verhältnis von öffentlichen Schulden und Wirtschaftswachstum ungenau wiedergeben", heißt es in deren Studie. Rogoff und Reinhart hätten nicht alle vorliegenden Daten verwendet, einige Jahre ausgelassen, Einzelfälle ungewöhnlich stark gewichtet und konnten offensichtlich nicht mit Excel-Tabellen umgehen. Fünf Staaten offenbar seien nicht berücksichtigt worden, wurde beim Nachrechnen festgestellt.
Angesichts der massiven Fehler und Fehleinschätzungen hochbezahlter IWF-Ökonomen scheint der scheinbar selbstkritische Geheimbericht eher wie eine Flucht nach vorn. Tatsächlich handelt es sich aber nicht einmal um einen vertraulichen Bericht. Denn der IWF versucht den "Lügen-Report" sogar für 18 Dollar zu verkaufen, wie die Wirtschaftsnachrichten das Dokument nennen. Dieses Geld kann man sich getrost sparen, denn die 51 Seiten sind auch online zugänglich.
Er kocht vor allem die Erkenntnisse von Blanchard und Leigh neu auf, dass Kürzungen zu einem deutlich schwächeren Wachstum geführt haben, als ursprünglich erwartet worden sei. "Der Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Konsum- und Investitionsrückgang, der mit einer fiskalischen Konsolidierung einhergeht, wurde deutlich unterschätzt", hatten sie schon im Januar geschrieben. Allerdings wurde damals ausdrücklich betont, dass grundsätzlich am Sparkurs festgehalten werde müsse.
Die Realität hat sich nicht nach den Vorgaben gerichtet
Nun gibt der IWF aber auch zu, dass es zwischen seinen Vorhersagen und der Realität weitere "sehr große" Diskrepanzen bestehen. Bei den IWF-Wachstumsprognosen könnte die Schere kaum weiter auseinander gehen. Hatte er für Griechenland bereits 2012 wieder ein Wirtschaftswachstum prognostiziert, sackte das Land derweil in die Depression ab. Das BIP schrumpfte 2012 sogar um 6,4%. Auch die übrigen Krisenländer, die auf den griechischen Weg geschickt wurden, rutschen wie Portugal längst in diese Richtung ab.
Neu an dem Bericht ist das Eingeständnis, dass die Verschuldung Griechenland unterschätzt wurde. Man habe eigene Regeln gebrochen, damit die wachsenden Schulden so aussehen, als wären sie tragfähig. Gemessen an der Wirtschaftsleistung des Landes sei das erste Rettungspaket in einem Umfang von 110 Milliarden Euro viel zu groß gewesen. Sogar drei von vier IWF-Kriterien wurden gebrochen, die eigentlich für eine Beteiligung mit etwa 30 Milliarden hätten eingehalten werden müssen. Die Unsicherheiten in Griechenland seien "so erheblich, dass die Mitarbeiter nicht dafür garantieren konnten, dass die öffentlichen Schulden mit hoher Wahrscheinlichkeit tragfähig seien".
Schlecht steht nun die IWF-Chefin Christine Lagarde da, die immer wieder betont hatte, Griechenlands Schulden seien "tragfähig" gewesen. Die Stresstests hätten sich als zu milde erwiesen, wird nun ebenfalls eingeräumt. Das ist nicht neu und hat ebenfalls Kontinuität beim IWF. Noch im letzten Herbst stellte sich Lagarde hinter den Stresstest, mit dem die Kapitalanforderungen der spanischen Banken ermittelt wurden. Er sei "sorgfältig und transparent", betonte sie. Dabei wurde mit dem Test alles getestet, nur keine Stresssituation. Es wurde so lange mit den Zahlen getrickst, gemogelt und hingebogen, bis die erwarteten Werte herauskamen (Getrickst, gemogelt und hingebogen).
Bemerkenswert ist, dass der IWF nun auch Kritik an die Troika-Partner austeilt. Es habe zu lange gedauert, bis der Schuldenschnitt vereinbart worden sei. "Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das schon früher in 2011 passiert wäre", sagte der für Griechenland zuständige Poul Thomsen. Tatsächlich wurde mit den Rettungsmilliarden aber teuer für die Steuerzahler Zeit erkauft, um zu versuchen, andere gefährdete Länder zu schützen. Nun meint auch der IWF, dass ein frühzeitiger Schuldenschnitt für die europäischen Steuerzahler billiger geworden wäre.
Wann dem IWF die Erleuchtung kam, ist unklar. Denn als es zum Schuldenschnitt kam, wurden mit Zahlen erneut so geschoben, dass er noch einigermaßen sinnvoll aussah. Dabei waren schon die Zielvorgaben absurd, wonach die Schulden Griechenlands 2020 nur noch 120% des BIP betragen sollten. Denn das war der Stand, an dem Griechenland unter den Rettungsschirm gehen musste. Noch schlimmer war, dass erneut mit absurd positiven Annahmen gerechnet wurde. Da sich Realität aber nicht nach den Vorgaben richtet, rücken die Ziele derweil immer weiter in die Ferne.
Trotz Schuldenschnitt, eines zweiten Rettungspakets und eines Schuldenrückkaufs, der vor allem für Hedge-Fonds erfolgreich war, häuft Griechenland immer höhere Schulden an. Die Schuldenquote ist Ende 2012 trotz Schuldenschnitt auf 157% des BIP angeschwollen. Statt das Haushaltsdefizit endlich in den Griff zu bekommen, stieg es 2012 wieder auf 10%. Dass Griechenland dabei keine Ausnahme ist, und die Troika-Programme versagen, zeigt sich daran, dass dies auch in Portugal und Spanien der Fall ist. Spanien ist mit 10,6% nun sogar Defizit-Europameister.
Klar ist, dass der nun vom IWF kritisierte späte Schuldenschnitt dazu führte, dass die privaten Gläubiger weitgehend ungeschoren davonkamen. Wäre der Schuldenschnitt schon 2010 mit der Nothilfe gekommen, wäre Griechenland deutlicher entschuldet worden. Weil in all den Jahren viel weniger Geld in den Schuldendienst geflossen wäre, hätte das Land eine Chance gehabt, wieder auf die Füße zu kommen. Doch damit hätten private Gläubiger viel Geld verloren, für das sie allerdings lange Zeit hohe Risikoaufschläge beim Kauf griechischer Staatsanleihen eingestrichen hatten. Als der "Haircut" schließlich 2012 kam, hatten private Anleger ihr Geld weitgehend aus Griechenland abgezogen. Das Geld war längst über Aufkaufprogramme der Europäischen Zentralbank und Milliarden aus Rettungsfonds durch Gelder der Steuerzahler ersetzt worden.
Dass das so und nicht anders geplant war, muss vermutet werden. Dafür spricht, dass die Haftung privater Gläubiger auch im Rahmen der Vereinbarungen um den dauerhaften Rettungsschirm (ESM) immer weiter zu Ungunsten der europäischen Steuerzahler verschoben wurde. War einst geplant und versprochen worden, dass die ESM-Hilfsgelder von Staaten vorrangig bedient werden müssen und private Gläubiger an einer Staatspleite beteiligt werden, ist all das längst gefallen. Vorrangig wird nur noch der IWF bedient.
Spannungen in der Troika
Schon das IWF-Dokument weist auf Spannungen innerhalb der Troika hin. Die brechen nach der Veröffentlichung nun auf. Die EU-Kommission hat inzwischen ärgerlich darauf reagiert, dass der IWF den Schwarzen Peter in Richtung Brüssel schieben will. Das Schuldenproblem sei nicht von Beginn an energisch angepackt worden, womit "Unsicherheit darüber verbreitet wurde, ob die Eurozone in der Lage ist, die Krise zu lösen", resümierte der IWF. Warum er aber diesen Kurs mitging und bis heute den Troika-Kurs in Griechenland und anderen Ländern abgenickt, darüber verlautet nichts. Konsequenzen daraus, dass massiv Fehler begangen und eigene Regeln gebrochen wurden, werden ebenfalls nicht aufgezeigt.
Kommissionssprecher Simon O'Connor wies die IWF-Kritik an als "schlichtweg falsch und unfundiert" zurück. Er bestätigte grundlegende Differenzen mit dem IWF und meinte, der Rettungskurs sei alternativlos gewesen sei. "Es ging um den Bestand der Eurozone", sagte der Sprecher von Währungskommissar Olli Rehn. Vor allem wendete er sich dagegen, dass ein früherer Schuldenschnitt wünschenswert gewesen sei, weil es ein "Ansteckungsrisiko" gegeben habe: "Eine ungeordnete Insolvenz oder auch eine Restrukturierung in der Frühphase des Programms hätte verheerende Folgen für die Euro-Länder und darüber hinaus gehabt." Er stellte sich auch gegen den Vorwurf, dass nicht genug für strukturelle Reformen getan worden sei, um für Wachstum zu sorgen. Der IWF lasse zudem "die Vernetzung zwischen den Euro-Ländern außer Acht". Und er merkte an, dass man in Europa keine eigenen Regeln gebrochen habe.
Die EZB, als dritter Troika-Partner, versucht, den Streit nun nicht noch weiter anzuheizen. EZB-Präsident Mario Draghi nahm Griechenland in Schutz und sprach davon, dessen "Fortschritte" müssten anerkannt werden. Draghi ist froh, dass der IWF die EZB nicht kritisiert, das sei "eine gute Sache an diesem IWF-Papier". Eine selbstkritische Betrachtung der EZB-Politik hält er aber ebenfalls für nicht nötig.
Wie die zukünftige Politik in Griechenland und den Krisenländern zukünftig ausfallen wird, ist angesichts des Streits und der Tatsache unklar, dass die EU-Kommission weiter an dem erratischen Kurs festhalten will, obwohl sich der IWF abwendet, der ihn entworfen hat. Es zeichnet sich derweil aber ein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland ab. Die Eurostaaten müssten dem Land bis 2022 Schuldenerleichterungen in Höhe von mindestens sieben Prozent der Wirtschaftsleistung gewähren, damit dessen Schulden tragfähig seien, meint der IWF. Es ist angesichts der Schuldenentwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung auch in Portugal wahrscheinlich, dass hier ein Schuldenschnitt fällig wird, über den ebenfalls schon debattiert wurde.