Griechenland: erst saniert, dann verbrannt

Auch Kartenapps zeigen die Waldbrände in Griechenland und den umliegenden Staaten

Welche politischen und wirtschaftlichen Folgen die Waldbrände haben werden. Und wie die Menschen auf das Staatsversagen regieren

Seit Wochen brennt es – wie in mehreren Staaten Südeuropas – in Griechenland. Die Feuer werden auch in dieser Woche nicht gelöscht werden können. Mit am stärksten betroffen ist die Insel Euböa vor der Hauptstadt Athen.

Zwar hat es die Regierung mit ihrer Politik der sofortigen Evakuierung bedrohter Orte bislang geschafft, Todesopfer zu vermeiden. Bislang starb "nur" ein freiwilliger Feuerwehrmann durch einen Unfall bei der Kollision seines Motorrads mit einem Hochspannungskabel.

Bei der Katastrophenbekämpfung hat die Regierung jedoch versagt. Kaum jemand traut ihr zu, die Folgen der Brände zu bewältigen. Zunächst hat sie das Verbot bis zum kommenden Freitag verlängert, Wälder, Naturschutzgebiete und Stadtparks zu betreten.

"Wir sind allein, die schicken uns nur lächerliche Nachrichten zur Evakuierung", kommentierte der Bürgermeister von Istiaia am Sonntagmorgen im Fernsehen. Was geschehe, sei eine "eine Schande für den griechischen Staat".

Der Bürgermeister bemängelte das Fehlen von Feuerwehrwagen, Feuerwehrleuten und Löschflugzeugen. Er bettele jeden Tag um Luftunterstützung. Selbst der zur konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia gehörende Regionalgouverneur Fanis Spanos räumte mehrfach das Versagen des Staatsapparats ein.

Dieser Eindruck ist nicht nur auf Euböa beschränkt. Petros Andreakos, Bürgermeister von Ost-Mani auf dem Pelopennes, ein Politiker, der nach eigenen Angaben immer zur Nea Dimokratia gestanden hat, kritisiert die Regierung nun harsch: "56 Häuser sind verbrannt und die Feuerwehr hat nicht korrekt gearbeitet." Der stellvertretende Katastrophenschutzminister Nikos Hardalias, die Feuerwehrführung und die Regierung seien unfähig. "Sie haben die Evakuierung ohne Rücksprache beschlossen", beklagte Andreakos.

Tatsächlich flogen am Sonntag mehr Löschflugzeuge als an den vergangenen Tagen über Euböa, aber ein taktisches Vorgehen war nicht erkennbar. Statt eine der vielen Feuerfronten mehrfach anzufliegen, wurden die über die Insel verstreuten Brandherde nacheinander angeflogen. Im Ergebnis konnte kein Feuer gelöscht werden.

Brände sind auch Folge der Sparpolitik

Das Ausmaß der Katastrophe in Griechenland ist mit der Klimakrise begründbar. Dass diese zu den Hitzewellen und der Trockenheit maßgeblich beigetragen hat, ist wissenschaftlich belegt.

Es rächt sich aber auch, dass Griechenland im Zuge der Euroeinführung, damals noch unter dem Sozialdemoraten Costas Simitis, die damalige Waldbrandfeuerwehr in die Stadtfeuerwehr eingegliedert hat, um Gelder zu sparen. Nach der Euro-Pleite 2010 dann wurden Stellen bei der Feuerwehr eingespart. Bei der Polizei wurde hingegen investiert.

Griechenland hat nun knapp 11.000 hauptamtliche Feuerwehrleute. Sie werden mit Saisonkräften und Zeitarbeitern verstärkt. Zum Vergleich dazu hat die besonders unter dem amtierenden konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis immer wieder mit neuer moderner Ausstattung verstärkte Polizei rund 55.000 Beamte zur Verfügung.

Dadurch fehlt es derzeit an erfahrenem, mit Waldbränden vertrautem Personal und auch an der notwendigen Ortskenntnis. Denn der Großteil der Beamten muss aus den urbanen Zentren erst einmal zum Waldbrand gefahren werden.

Betroffene Bürgermeister, Gouverneure und Bürger betonen immer wieder, die Feuer wären löschbar gewesen, wenn die Feuerwehr nur rechtzeitig und mit richtiger Planung mit der Brandbekämpfung begonnen hätte.

Touristen haben die Insel Euböa inzwischen in Scharen verlassen oder wurden evakuiert. Bis zum Sonntagmittag wurden sie, ebenso wie die Insulaner, die aus ihren verbrannten Dörfern fliehen mussten, aber noch einmal zur Kasse gebeten. Die Verkehrswege von Nord-Euböa zur Inselhauptstadt Chalkida sind wegen der Brände unpassierbar.

Nun bleibt den Evakuierten nur die Fähre. Und deren Betreiber verlangten den Kauf eines Tickets, bis ein Fernsehsender sich der Sache annahm, und diesen Skandal thematisierte.

Fernsehsender weisen auch darauf hin, dass die Evakuierten mehr brauchen als nur einen Plastikstuhl. Sie zeigen Bilder von teilweise kaum gehfähigen Senioren, die ohne jegliche Versorgung auf dem Deck einer kleinen Fähre in einem Hafen von Euböa sitzen.

Telefonisch ist der Notruf kaum erreichbar. Wer durchkommt, landet in einer Warteschleife und muss im Katastrophenfall sehr lang warten, bis ein Gesprächspartner zu Verfügung steht.

Katastrophe biblischen Ausmaßes

Angesichts des Staatsversagens springen Bürger ein. Der frischgebackene NBA-Champion Giannis Antetokounmpo finanzierte für seine obdachlosen Mitbürger rund 100 Hotelzimmer bei großen Hotelketten.

Die griechische Wasserballmannschaft hat gerade in Tokio Silber gewonnen. Ihre Siegprämie wurde von privaten Sponsoren gestellt und das Team spendet sie weiter an Betroffene der Waldbrände.

Es sind die einfachen Menschen, zu denen auch Antetokounmpo trotz seiner NBA-Karriere zählt, die sich um ihre Mitmenschen kümmern.

Oligarchen wie ein namhafter Reeder haben alle Prioritäten. Der Mann mietete zwei Container für das Tafelgeschirr, das vor den Flammen aus dem Sommerpalast des früheren griechischen Königs in Tatoi gerettet werden konnte.

Medienberichten zufolge sind bis Sonntagnacht rund 46.000 Hektar Wald auf Euböa verbrannt. Im gesamten Land sind es 65.000 Hektar, davon 8.000 bei Varibobi in Attika. Es sind schon jetzt die größten Feuer der jüngeren Geschichte. Die Flächenangaben wurden unter Berufung auf Satellitenaufnahmen von Sentinel-2 gemacht.

Die Brände haben bislang keine Leben von Bewohnern der betroffenen Regionen gefordert, aber die Tierwelt ist stark betroffen. Neben den verbrannten wilden Wirld-, Nutz- und Haustieren gibt es auch Auswirkungen auf die übrige Fauna.

Im Athener Vorort Chalandri wurden am Sonntag zahlreiche tote Störche gefunden. Die Tiere haben offenbar im Rauch und durch die gestörten Thermik die Orientierung verloren. Pelikane flogen ins Stadtzentrum von Athen und sorgten dort für ein ungewohntes Bild.

Die Insel Euböa galt bislang als eine der größten Produzentenregionen griechischen Honigs. Imker aus dem gesamten Land hatten in den dortigen Kiefernwäldern ihre Bienenstöcke, die mehr als zwanzig Prozent der gesamten Produktion im Land ausmachen sollen. Der Großteil dieser Bienenstöcke ist nun verbrannt.

Nord-Euböa war aber auch größter griechischer Produzent von Harz, das bisher in alle Welt exportiert wurde. Diese Familienbetriebe stehen nun vor den Aus, weil sie ohne Wald kein Harz mehr gewinnen können. Die betroffenen Familien müssen die Insel zumindest vorübergehend verlassen, ebenso wie Bauern, die ihren Tierbestand verloren haben.

Es sind Menschen, deren komplette Existenz vom Feuer zerstört wurde. Der Schaden für Euböa als Tourismusort ist ebenso groß. Als zweitgrößte Insel des Landes und mit einer Brücke an die Autobahn angebunden, galt das Eiland als einer der beliebtesten Orte für den ganzjährigen Tourismus, nur eine Autostunde von Athen entfernt.

Griechische Bürger bilden eigene Feuerwehren

Menschen, die vor dem Verlust ihrer gesamten Existenz stehen, sind zum Äußersten fähig. Dies zeigte sich als einige der jüngeren Bewohner des Ortes Rovies auf Euböa, den polizeilichen Anweisungen zur Evakuierung widersetzten. Sie blieben im Dorf, auch als es von den Flammen umzingelt war.

Sie schufen mit allem, was sie hatten – von Traktoren bis zu einfachen Werkzeugen – eine Feuerschutzschneise um den Ort; auch, indem sie ihre erntereifen Felder zerstörten. Das Dorf wurde gerettet und das Beispiel fand Nachahmer in vielen weiteren Orten auf der Insel.

Einige Szenen werden in Erinnerung bleiben. So etwa die eines Mannes, der die Flammen auf einem Feld mit einem Ast auszuschlagen versucht. Auf die Warnung des Fernsehreporters – "Hau ab, rette Dich, Dein Haus ist egal" -– antwortete er ruhig: "Das ist nicht mein Haus", um die Flammen dann weiter vom Haus fernzuhalten.

Verstörend sind solche Szenen auch, weil an den betreffenden Orten keine Feuerwehr mehr präsent war. Diese hatte die Dörfer bereits aufgegeben und kam, wenn überhaupt, erst später wieder zurück, um die Schäden zu begutachten. Solche Szenen und Erlebnisse werden das Verhältnis der Griechen zum Staat nachhaltig prägen.

Die Bewohner auf Euböa haben sich in Windeseile organisiert. Wer sich körperlich dazu in der Lage fühlt, bekämpft unter Missachtung der Evakuierungsanweisungen die Feuer. Sie transportieren Wasser in Tanks, die sie auf Pickups geladen haben. Denn mitten im Feuer brach auch noch die Wasserversorgung zusammen.

Diese Menschen wollen vermeiden, dass sich die Feuer bis zu den jeweiligen Stränden durch die Landschaft fressen. Zumindest ihre Dörfer wollten und wollen sie unter Einsatz ihres Lebens retten. Gegen das Feuer in den Wäldern haben sie keine Chance.

Dieser Einsatz ist aus zahlreichen Gründen gefährlich, die Menschen begeben sich wissentlich in Lebensgefahr. Hardalias hat bei der zweiten Ansprache ans Volk am Sonntag die Bürger eindringlich dazu aufgerufen, den Anweisungen der Behörden Folge zu leisten. Seine Autorität ist jedoch angekratzt.

Vor wenigen Tagen August rief mit Giannis Lampropoulos ein Regierungspolitiker seine Mitbürger auf, den Brandschutz der Orte selbst zu organisieren. Lampropoulos sitzt seit 1989 für die Nea Dimokratia im Parlament.

Während die Feuer noch brennen, deuten sich zahlreiche Themen für den Tag danach an. Die Regierung hat seit dem Ausbruch der Brände jedwede Pressekonferenzen vermieden. Ihre ansonsten so medienaffinen Minister sind aus dem Fernsehen verschwunden. Früher oder später wird sie sich ihrer Verantwortung stellen müssen.

Die Regierung muss ebenfalls sofort, und nicht erst nach der nächsten Katastrophe, mit Maßnahmen gegen Fluten beginnen. Wenn im September die Regen einsetzen, wird vor allem das entwaldete Euböa den Fluten ausgesetzt sein. Es ist in der Kürze der Zeit kaum machbar, die gesamte Insel zu schützen. Aber zumindest die Dörfer, die den Brand überstanden haben, müssten sofort geschützt werden, wenn nicht in wenigen Monaten erneut ein Fiasko folgen soll.

Euböa hatte als vor Athen liegendes Waldgebiet mittelbar einen temperaturregulierenden Effekt für die Hauptstädter. Viele Wetterlagen wurden von der Insel regelrecht "abgefangen". Wissenschaftler gehen davon aus, dass die aktuellen Brände über den allgemeinen weltweiten Klimawandel hinaus das lokale Klima rund um die Brandgebiete nachhaltig verändern werden.

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