Grüne Handlungsverweigerung im Fall der A49

Seite 3: Es hängt an Wiesbaden

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Tatsächlich sind also die Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten von Hessen weitreichend. Wenn jemandem in Wiesbaden jetzt auffiele, dass die Planungen aktuellen Standards nicht mehr genügten (Klima, Umwelt, Wasser etc), (doch) eine Gefahr darstellten, man in der Vergangenheit schlicht Wichtiges übersehen hatte oder sich die Gesamtsituation veränderte (Trinkwassernotstand! während der letzten Sommer) und daher die Planungen überarbeitet werden müssten, um jene Gefahren abzuwenden und Sicherheit zu gewährleisten, was will der Bundesverkehrsminister dann machen? Behaupten, dass solche Begründungen unwahr seien? Über Art. 37 Abs. 1 GG mithilfe einer Mehrheit im Bundesrat den Bundeszwang durchsetzen? Entgegen einer - in diesem Gedankenspiel vorausgesetzten - Begründung des Landes Hessen, dass man hier nicht die eigene Wasserversorgung aufs Spiel setzen möchte? Ob das dann noch als bundesfreundliches Verhalten durchginge, darf schon bezweifelt werden.

In der Praxis ist aber auch ganz allgemein die Durchsetzungsfähigkeit von Weisungen bei der Bundesauftragsverwaltung weit geringer, als man intuitiv vermuten könnte. De facto gibt der Bund die groben Richtlinien über den Bundesverkehrswegeplan vor und die Länder sind für den Rest verantwortlich. Das weiß auch das Bundesverkehrsministerium. Und gibt dies sogar zu. Es ist nämlich die offizielle Hauptbegründung für die "Autobahn-Reform". Die Bundesregierung informiert uns (wenn wir danach suchen) nämlich gerne über die Vorteile dieser "großartigen" Reform. Sodass in einem FAQ des BMVI unter der Frage "Wie lief es bislang ab?" die folgende Antwort gegeben wird:

Bislang hatten die Länder im Auftrag des Bundes die Autobahnen verwaltet. Das System sah, vereinfacht ausgedrückt, so aus: Der Bund legte über den Bundesverkehrswegeplan und den Bedarfsplan die groben Linien fest und beauftragte die Länder mit der Planung der Projekte. Dann gab er ihnen das Geld für Ausbau und Sanierung. Der Bund stellte also das Geld zur Verfügung, aber es waren die Länder, die planen, bauen und die Autobahn betreiben mussten. Im Behördendeutsch heißt das: Ausgaben- und Aufgabenverwaltung fielen auseinander. Der Bund hatte dabei relativ wenig Einfluss darauf, wie schnell die Länder mit den Planungen für bestimmte Projekte vorankamen.

BMVI

Diese Aufgabenverwaltung gilt übrigens auch für die Zuständigkeiten vor Gericht. Sollte es im Fall von etwaigen Schäden durch dieses wassertechnische Russisch Roulette noch einmal zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen, dann wäre nur das Hessische Verkehrsministerium, nicht aber das Bundesverkehrsministerium, zuständig, sich mit den Gerichten auseinander zu setzen. Jedenfalls kann man dann vor Gericht nicht so einfach mit dem Finger nach Berlin zeigen, da aufgrund der Konstruktion der Bundesauftragsverwaltung sich niemals das Bundesverkehrsministerium oder der Bundesverkehrsminister gerichtlich verantworten muss. Das gilt selbst dann, wenn klar wäre, dass eine entsprechende Anweisung des Bundesverkehrsministers vorläge und für den/die Schaden/Schäden ursächlich wäre.13 Sicherlich eine Rechtslage, die der Bundesverkehrsminister gern in einem noch umfassenderen Sinne hätte. Haftungsrechtlich wäre ein solcher Fall innerhalb der staatlichen Verwaltung Ulrich Stelkens zufolge komplex und a priori weit weniger klar, als man intuitiv vermuten möchte.14

Zum oft genannten Vorliegen des Planfeststellungsbeschlusses sei noch gesagt: Es entsteht dadurch Baurecht, kein Bauzwang. An dieser Stelle sollte auch nicht vergessen werden, dass Auswirkungen "auf die Waldfunktionen und das globale Klima", gar kein Teil bisheriger Klagen waren. Ebenso ist es schon eine berechtigte Frage, ob die Auswirkungen der extremen Trockenheiten 2018 und 2020 auf die Grundwasserkörper neu bewertet werden müssten, immerhin musste dadurch in Hessen an mehreren Stellen der Trinkwassernotstand ausgerufen werden. Und das alles ohne Verunreinigungen durch Sprengstoff-Sondermüll o.Ä. des Trinkwassers.

Zusammengefasst kann sicher gesagt werden, dass der entscheidende Punkt also ist, dass man sich in Wiesbaden im "grünen" Ministerium mögliche Probleme anscheinend erst gar nicht genauer zu Gemüte führen möchte, sondern sich auf die behauptete Nicht-Zuständigkeit zurückzieht, wohl um sich machtpolitisch gut mit der CDU zu stellen/halten. Man kann mehr als man möchte, bei gegenteiliger Behauptung.

Im News-Ticker von hessenschau.de zur A49 ist am 3.11.2020 noch eine besondere Stilblüte zu lesen. Da wurde über das oben erwähnte Gegengutachten geschrieben, welches "seit kurzem [dem Hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium] vor[liege] und (..) geprüft [werde]". Dieses nimmt aber gleich das Ergebnis vorweg und teilt mit, dass "das Gutachten (..) für die Gültigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zum Weiterbau der A49 aber keine juristische Relevanz [habe], unabhängig vom Ergebnis der Prüfung". Da hätte man auch direkt mitteilen lassen können, dass es einem "sowieso egal" sei.

Für den Bau hat es aber eben schon Relevanz, wenn man es denn ernst nehmen möchte. Herr Al-Wazir Sie haben die Möglichkeiten, diesem Gutachten und der gesamten Informationslage die Relevanz zu geben, die angebracht wäre und daraus auch Konsequenzen zu ziehen.