Grüne Handlungsverweigerung im Fall der A49

Bild: Leonhard Lenz/CC0

Eine politisch-juristische Analyse

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"Was macht ein Beamter wenn er eine große Mappe mit viel Arbeit vorgelegt bekommt? - Er prüft, ob er zuständig ist." Der Sachverhalt hinter diesem Witz ist nicht aus der Luft gegriffen und er gilt leider nicht nur für Beamte sondern auch für Politiker.

Dies zeigt sich besonders beim Autobahnbau. Dabei fällt vor allem der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) dieser Tage auf: Man würde ja gerne den Bau der A49 stoppen, könne aber nicht, sagte Al-Wazir des öfteren dieser Tage. Das ist auch grundsätzlicher Standpunkt der Grünen Hessens aber auch der Bundes-Grünen. Man sei schlicht nicht zuständig, nur der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer könne einen Stopp einleiten, das müsse dieser aber unbedingt. Man selbst sei nicht zuständig. Schade. Ende.

Der Lückenschluss der A49 in Nordhessen ist ein Bauprojekt, welches aus vielerlei Hinsicht äußerst fragwürdig ist. Nicht nur, dass man etwa 80 ha (ca. 100 Fußballfelder / halb Helgoland) gut erhaltenen, sehr alten, gesunden Wald abholzen möchte, der Bau ist auch äußert problematisch für die Trinkwasserversorgung in Mittelhessen. Falls Sie sich also schon mal gefragt haben, was diese verrückten Hippies im Wald gegen diese schöne Autobahn haben: Die haben zu viel über die Probleme, die damit einhergehen, gelesen (und auch selbst recherchiert).

Die Grünen scheinen das auch mittlerweile mitbekommen zu haben, möchten ihr Gesicht aber wahren. Man behauptet schon immer dagegen gewesen zu sein, was aber zumindest in Teilen unglaubhaft ist. Die zentrale Strategie ist aber seit einigen Wochen die genannte "Nicht-Zuständigkeits-Behauptung" zusätzlich untermauert mit einer Flucht nach vorn. So fordern die Bundes-Grünen sogar öffentlichkeitswirksam gleich den Stopp aller deutschen Autobahnbauprojekte. Eine Forderung, die zumindest dem Verfasser dieses Textes, in der Form ziellos und überzogen vorkommt. Schwarzer Peter an den Verkehrsminister und sich selbst als Engel geben, scheint hier der "grüne" Weg zu sein.

Bei der Übergabe einer Petition für den Erhalt des Dannenröder Waldes, welcher im Zuge des Autobahnbaus z.T. abgeholzt werden soll, am 4.11.2020 hat der Hessische Verkehrsminister sogar mit Aktivisten "angeregt diskutiert" und ließ mitteilen, man werde "den Appell unverzüglich an den Bundesverkehrsminister weiterleiten, der als Bauherr der Einzige ist, der das Projekt stoppen" könne.

Greenpeace wollte den Grünen auf die Sprünge helfen, mit einem Rechtsgutachten, das aufzeigt, dass man in Hessen sehr wohl Möglichkeiten habe. Die Grünen haben sich dann aber wieder erinnert, dass Sie ja nicht zuständig seien und so teilte das "grüne" Ministerium lediglich am 3.11.2020 mit, dass dieses Gutachten "unzureichend fundiert" sei. Fertig.

Das Bemerkenswerte an dieser Stelle ist, dass die Grünen mit diesem Spielchen scheinbar durchkommen. "Unzureichend fundiert" ist nämlich vor allem diese vorgeschobene scheinbare Handlungsunfähigkeit. Wenn die Grünen aus machtpolitischen Gründen diese problematische Autobahn unbedingt bauen wollen, inkl. dem ganzen Rattenschwanz an Risiken in den Bereichen Klima, Umwelt und Wasser, dann sollten Sie wenigstens dazu stehen und ehrlich sein.

Um ergänzend zu Greenpeace zu zeigen, dass die Grünen sich vor allem handlungsunfähig geben, aber nicht sind, ist ein mittelgroßer Ausflug in das deutsche Straßenbaurecht erforderlich.

Wer baut hier was?

Die Situation beim Autobahnbau ist zugegebenermaßen nicht ganz offensichtlich aber auch kein Staatsgeheimnis. Ganz prinzipiell ist der Autobahnbau wie folgt geregelt: Die Länder kümmern sich um die Autobahnen in Bundesauftragsverwaltung (Art. 143e Abs. 1 S. 1 GG; führt dazu, dass Art. 90 a.F. GG vorerst weiter gilt), d.h. Planung, Bau, Instandsetzung übernehmen die Länder, zahlen muss der Bund (Art. 104a Abs. 2 GG). Bevor wir darauf eingehen, was das genau heißt, müssen im konkreten Fall noch ein paar zusätzliche Punkte angesprochen werden:

a) Weitervergabe des Bauauftrages an die DEGES durch das Land Hessen.

Die DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -Bau GmbH) ist eine privatrechtliche Gesellschaft, gehört allerdings der öffentlichen Hand (verschiedene Bundesländer, als auch der Bund sind Gesellschafter). Die DEGES wurde nach der Wende gegründet, um den Bedarf an Fernstraßenplanung und -bau abzufedern. Die Planungen macht die DEGES im Gegensatz zu (vielen) Bundesländern so gut wie gar nicht selbst, sondern überlässt diese privaten Planungsbüros. Dazu später noch mehr.

b) Der Bau in Form einer ÖPP

Nicht genug mit der Abgabe an die DEGES, die betreffenden Abschnitte (VKE 30 und 40) der A49 werden in Form einer sogenannten ÖPP gebaut. Das heißt in lang "Öffentlich Private Partnerschaft" und in kurz Privatisierung. Damit einhergehen vor allem Nachteile, auf die wir hier aber leider nicht im Detail eingehen können. Im Prinzip zahlt der Staat einer privaten Firma viel Geld, die dann für i.d.R. 30 Jahre Bau, Instandhaltung etc. übernimmt.

Zu viel Geld übrigens, wie der Bundesrechnungshof bereits mehrfach grundsätzlich, aber auch schon direkt in Bezug auf das hier relevante Teilstück der A49 festgestellt hat. Konkreter spricht der Bundesrechnungshof davon, dass die Vergabe an die Privatwirtschaft (im Fall der A49) schönrechnet wurde und dass man das Vorgehen als "grobe Missachtung des Parlaments" sehen müsse.

Diese Bauform war bisher nur in engem Rahmen auf relativ wenigen Pilotstrecken möglich, deswegen hat die Bundesregierung mit deutlichem Druck eine "Autobahn-Reform" durchgeboxt, was uns zum nächsten Punkt führt.

c) Die zeitliche Nähe zur "Autobahn-Reform".

Kurz vor der Bundestagswahl 2017 wurde noch schnell, eine erhebliche Verfassungsänderung beschlossen, womit die Autobahnen in Bundesverwaltung genommen wurden und das Ende der Auftragsverwaltung eingeleitet wurde. Klingt erst einmal nicht so unvernünftig, aber diese "Autobahn-Reform" ist ein riesiger Türöffner für Privatisierungen (insbesondere in Form von ÖPPs), trotz gegenteiliger Beteuerungen der GroKo. Ein eigenes sehr problematisches Thema, aber für den vorliegenden Fall nicht direkt relevant, weil dies erst zum 01.01.2021 in Kraft tritt (Art. 143e Abs. 1 S. 1 GG). Bis dahin liegt weiterhin die altbekannte Situation vor und die lässt sich im früheren Art. 90 GG nachlesen.

Die "Autobahn-Reform" spielt daher nur insofern nachfolgend eine Rolle, als dass Teile der in diesem Rahmen entstandenen Texte, durchaus nennenswerte Informationen zum hier diskutierten Thema enthalten und daher an späterer Stelle auf diese verwiesen wird.

Dadurch, dass der Bau der betreffenden Abschnitte bei der A49 privatisiert wurde, gibt es auch einen entsprechenden Vertrag mit dem privaten Dienstleister. Dieser ist in teilweise geschwärzter Form online zu finden. Aus dem Vertrag geht (zumindest theoretisch) hervor, wer hier alles beteiligt ist. Dort ist zu lesen, dass die "Bundesrepublik Deutschland (Bundesstraßenverwaltung) vertreten durch das Land Hessen, dieses vertreten durch die DEGES - Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -Bau GmbH" einen Projektvertrag mit der "A 49 Autobahngesellschaft mbH & Co. KG diese vertreten durch die A 49 Autobahn Verwaltungs GmbH" schließt. Die beiden letztgenannten Kapitalgesellschaften gehören übrigens zur österreichischen Strabag SE. (Für solche ÖPP Vorhaben gründet der Auftragnehmer i.d.R. eine Tochtergesellschaft und zwar nur für diesen Zweck. So kann dieser im Falle von größeren Schadensersatzansprüchen o.Ä. einfach besagte Tochter pleite gehen lassen und ist "fein raus".)

Das ist also die "Baukette", über die der Auftrag jeweils weiter geschoben wurde. Allerdings gilt für die Verantwortlichkeiten etwas ganz anderes, denn die Beziehungen unter den einzelnen Akteuren sind ziemlich unterschiedlich.

Das Land Hessen beauftragt zwar die DEGES, die Kompetenzen im Bereich des Autobahnbaus kann es aber nicht einfach abgeben. Fernstraßenplanung und -bau ist eine verfassungsmäßig geregelte hoheitliche Aufgabe die (bis 31.12.2020) in Hand der Länder liegt. Der Bundesrechnungshof stellt diesen Sachverhalt unmissverständlich klar. Demnach bedient sich hier Hessen "zur Erfüllung [seiner] Aufgaben der DEGES - als beauftragter Dritter -, ohne dieser dabei hoheitliche Aufgaben oder Befugnisse zu übertragen".

Insbesondere ändert dies "jedoch an der verfassungsrechtlichen Aufgabenwahrnehmung durch die Länder nichts".1 Es spielt also keine Rolle, dass die DEGES vermeintlich "über" dem Land Hessen angesiedelt zu sein scheint oder der Bund bei der DEGES beteiligt ist. Die Verantwortlichkeit liegt bei Hessen.

An der Stelle sei noch bemerkt, dass der Bundesrechnungshof ebenso darauf hinweist, dass schon allein die Beteiligung des Bundes an der DEGES verfassungsrechtlich problematisch ist, der Bund in dem Fall aber meint, dabei eine "verfassungsrechtlich zu rechtfertigende Ausnahme" zu sehen (Weiterführendes zum zugrunde liegenden Lastenteilungsprinzip / Mischverwaltung.2).

Was die DEGES (eine privatrechtliche GmbH) schon nicht vom Land Hessen abgetreten bekommt, kann diese folglich auch nicht in irgendeiner Form vertraglich weiter abtreten. In der "Baukette" muss man also nachfolgend "nur" die Beziehungen von Hessen zum Bund näher betrachten.

Rechtlicher Rahmen bei der Bundesauftragsverwaltung

Ganz grundsätzlich ist die Bundesauftragsverwaltung (Art. 85 GG) "eine Form der Landesverwaltung". Die Länder übten "hierbei Landesstaatsgewalt aus", ihre Behörden handelten als "Landesorgane, nicht als Bundesorgane", wie das Bundesverfassungsgericht dazu klarstellt3 (siehe auch hier4).

Es sei noch einmal kurz auf den ÖPP-Vertrag hingewiesen: Auf jeder Seite ist das Wappen des Landes Hessen zu sehen und nicht etwa der Bundesadler. Das liegt wahrscheinlich nicht daran, dass im Bundesverkehrsministerium das Druckerpapier knapp war und man nur noch solches mit vorgedrucktem hessischem Wappen gefunden hatte. Nein, das ist vielmehr zu erwarten und konsistent mit bekannten Ausführungen dazu. So schreibt insbesondere der frühere Richter des Bundesgerichtshof Dieter Wolst in seiner Dissertation über diese Verwaltungsform: "Das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen, im Verhältnis zu Dritten, bleibt stets Landesangelegenheit; ein Eintrittsrecht des Bundes sieht Art. 85 GG nicht vor."5 Im Bezug auf den ÖPP-Vertrag wäre sicherlich auch noch interessant, wer diesen denn von Auftraggeberseite alles unterschrieben hat, das ist nämlich geschwärzt und damit anscheinend geheim.

Bei der Bundesauftragsverwaltung steht den Ländern also grundsätzlich die Wahrnehmungskompetenz (und zwar unentziehbar zu). Aber auch die Sachkompetenz (Sachbeurteilung und Sachentscheidung) liegt bei den Ländern.6. Was letztere angeht, eröffnet sich dem Bund allerdings die Möglichkeit, über die Weisungsbefugnis aus Art. 85 Abs. 3 GG, diese an sich zu ziehen. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass es grundsätzlich anders aussieht, dass nämlich diese Sachkompetenz erst einmal und in der Regel beim Land liegt. Andernfalls läge sonst auch eine Form der Bundesverwaltung vor.7

Der Bund muss also aktiv die Sachkompetenz an sich ziehen, indem eine konkrete Weisung erlassen wird. Das heißt "nicht aber, daß der Bund von ihnen ohne Rücksicht auf mildere Möglichkeiten Gebrauch machen müßte"8 oder dass es keine Möglichkeiten der Länder gäbe Ihre Sicht auf die Dinge darzulegen bzw. dagegen vorzugehen. Gerade was letzteren Punkt angeht, ist es sogar so, dass die "aus der Bundestreue sich ergebende Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme gebiete, dass der Bund grundsätzlich vor Weisungserlass dem Land Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und dessen Standpunkt erwägt." (Bundesfreundliches Verhalten).9 Bei einer solchen Weisung handele es vielmehr um eine "ultima ratio". Die Länder sind hier auch bzgl. rechtlichem Widerstand alles andere als verloren. Das Land Schleswig-Holstein hat sich 1995 entschieden, statt einer Weisung im Rahmen von Art. 85 Abs. 3 GG Folge zu leisten, einen Rechtsstreit mit dem Bund zu beginnen und später auch gewonnen.10

Zusammenfassend kann man sagen, dass der angedachte Übergang der Sachkompetenz im Falle einer Weisung weder instantan, noch obligatorisch oder bedingungslos vonstatten geht. Vielmehr existiert eine Koppelung an einen vergleichsweise engen rechtlichen Rahmen, welcher nicht unvorteilhaft für Hessen ist.

Die DEGES und das Wasser

Dass die Verantwortlichkeit für den Fernstraßenbau unabtretbar bei den Ländern liegt, wurde bereits ausgeführt. Das Land Hessen muss sicherstellen, dass die Planungen und Ausführungen nach bestem Wissen und Gewissen sicher sind. Das gilt noch viel mehr vor dem Hintergrund, da die Planungen von der DEGES kommen und diese vor allem private Planungsbüros zur eigentlichen Aufgabenerfüllung heranzieht.

Hans Jörg Klofat, ehemaliger Geschäftsführer dieser Gesellschaft erklärte selbst, dass die DEGES "aus der Not, am Anfang zwar ein dickes Auftragspolster, aber keine Mitarbeiter zu haben, letztlich eine Tugend gemacht" habe und dass "DEGES koordiniert, optimiert und kontrolliert". Für das "gesamte Spektrum" ingenieurtechnischer Leistungen würden ständig hunderte externe Ingenieure über Planungsbüros beschäftigt.11

Hingegen legt Dietrich Garlichs in "Grenzen staatlicher Infrastrukturpolitik" dar, dass es ganz grundsätzlich zweifelhaft und problematisch ist, in größerem Maße beim (Fern)Straßenbau auf private Planungsbüros zurückzugreifen. Er führt insbesondere an, dass "nicht selten (..) Entwürfe von Ingenieurbüros (..) grundlegend von der Verwaltung überarbeitet werden" müssten und dass grundsätzlich eine "aufwendige und personalintensive Unterstützung durch die Straßenbauverwaltungen" nötig sei.12

Die DEGES hingegen ist vom Gegenteil überzeugt und treibt dies auch gleich auf die Spitze. Mehr noch: Aufgrund der vorangegangene Ausführungen von Herrn Klofat kann man letztlich begründet annehmen, dass innerhalb der Gesellschaft wohl eine eher überschaubare Personaldecke im fachlichen Bereich vorliegt. Es ist also schon fraglich, wie gut und umfangreich die DEGES überhaupt kontrollieren kann. Im Zuge dessen sollten die oft zitierten Einschätzungen der DEGES durchaus kritischer betrachtet werden.

Daran anschließend sei auch das externe Gutachten der DEGES vom 28.09.2020 zur A49 und der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie genannt, welches Unbedenklichkeit in Hinblick auf Bau und Betrieb bescheinigt. Das hat die DEGES auch eiligst einen Tag später veröffentlicht, wahrscheinlich um den frühestmöglichen Rodungsbeginn (01.10.2020) nicht dadurch noch verschieben zu müssen. Jedenfalls ist es fraglich, wie belastbar das Gutachten ist und insbesondere auch wie genau es bei der DEGES gelesen wurde.

Das Aktionsbündnis "keine A49" hat nämlich ein Gutachten zum Gutachten erstellen lassen, wobei einige interessante Punkte ans Tageslicht kamen. Die Oberhessische Presse Marburg berichtet am 30.10.2020 über das gut 50-seitige Gegengutachten, welches "entscheidungserhebliche Mängel, die vor Baubeginn geheilt werden" müssten, anführt. Dabei seien u.a. die "Auswirkungen auf das Grundwasser (..) bisher völlig unzureichend untersucht", und im Bereich des Dannenröder Forstes seien wenig bis überhaupt keine zugrunde liegenden Daten vorhanden. Bemerkenswert: Ein Gutachten, das die Unbedenklichkeit eines Bauprojekts zeigen soll, spart die entscheidenden Fragestellungen einfach aus.

Es gibt aber noch eine solidere Quelle als die DEGES für Informationen rund um die Wasserproblematik in Verbindung mit der A49, nämlich der Zweckverband der Mittelhessischen Wasserwerke (ZMW). Dieser ist für die Wasserversorgung in der Region zuständig und unterhält dazu zahlreiche Brunnen, welche aufgrund des Wasserreichtums dort für die Wasserversorgung von etwa 500.000! Menschen genutzt werden. Dort kennt man die Sachlage und die speziellen Gegebenheiten in der Region aus naheliegenden Gründen seit langem sehr gut.

So äußerte sich der ZMW schon 2011 auf eine Große Anfrage des Kreisausschusses Marburg-Biedenkopf sehr kritisch, da die Trassenführung besonders nah an einer Reihe von Brunnen in einer Wasserschutzzone II ist. Es ist dabei die Rede von einem "sehr hohen Gefährdungspotential" für den gesamten Südflügel des Wasserwerkes Stadtallendorf. Für alle, denen das noch zu uneindeutig war, führte der ZMW zur weiteren Verdeutlichung die "Richtlinien des für Bautechnische Maßnahmen an Straßen und Wasserschutzgebieten (RiStWaG) (Abschnitt 4 - Planungsgrundsätze 4.3) wonach der "Bereich der Wasserschutzzone II (..) von Straßen freizuhalten [ist], weil alle möglichen Schutzmaßnahmen zwangsläufig unvollkommen bleiben".

Aber nicht nur die Baumaßnahmen und der spätere Verkehr sind ein Problem. Die Nazis bauten in dieser Region ein Sprengstoffwerk, wodurch während der Kriegsjahre hochgiftiger Sondermüll in die Böden sickerte und diesen schwer belastete. Das führte dazu, dass man in den 1990er Jahren eine sehr teure Bodensanierung durchführte, um zumindest die größten Schadstoffmengen zu beseitigen sowie ein durchdachtes System zur Trinkwassergewinnung und -reinhaltung etablierte. Die umfangreichen angedachten Straßenbauarbeiten können nun aber dazu führen, dass Schadstoffe wieder freigesetzt werden und dann auch die Trinkwasserreservoirs verunreinigen.

Die DEGES verspricht große Sorgfalt und erweiterte Schutzmaßnahmen, wodurch der ZMW sich über die Jahre wohl hat überzeugen lassen, seinen Unmut (zumindest schriftlich) nicht mehr ganz so unverblümt kund zu tun (vgl. hier). In letzter Zeit findet man bei der ZMW aber wieder zu alter Klarheit zurück. So spricht Karl-Heinz Schäfer, der Geschäftsführer des Verbandes in Bezug auf dieses Bauprojekt offen von einem "hohen Risiko" sowie einer "Operation am offenen Herzen" und verbindet dies noch mit einer unmissverständlichen Warnung: "Wenn es zu Verschlechterungen des Grundwassers kommen sollte, werden wir dafür sorgen, dass der Bau gestoppt wird."

Es hängt an Wiesbaden

Tatsächlich sind also die Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten von Hessen weitreichend. Wenn jemandem in Wiesbaden jetzt auffiele, dass die Planungen aktuellen Standards nicht mehr genügten (Klima, Umwelt, Wasser etc), (doch) eine Gefahr darstellten, man in der Vergangenheit schlicht Wichtiges übersehen hatte oder sich die Gesamtsituation veränderte (Trinkwassernotstand! während der letzten Sommer) und daher die Planungen überarbeitet werden müssten, um jene Gefahren abzuwenden und Sicherheit zu gewährleisten, was will der Bundesverkehrsminister dann machen? Behaupten, dass solche Begründungen unwahr seien? Über Art. 37 Abs. 1 GG mithilfe einer Mehrheit im Bundesrat den Bundeszwang durchsetzen? Entgegen einer - in diesem Gedankenspiel vorausgesetzten - Begründung des Landes Hessen, dass man hier nicht die eigene Wasserversorgung aufs Spiel setzen möchte? Ob das dann noch als bundesfreundliches Verhalten durchginge, darf schon bezweifelt werden.

In der Praxis ist aber auch ganz allgemein die Durchsetzungsfähigkeit von Weisungen bei der Bundesauftragsverwaltung weit geringer, als man intuitiv vermuten könnte. De facto gibt der Bund die groben Richtlinien über den Bundesverkehrswegeplan vor und die Länder sind für den Rest verantwortlich. Das weiß auch das Bundesverkehrsministerium. Und gibt dies sogar zu. Es ist nämlich die offizielle Hauptbegründung für die "Autobahn-Reform". Die Bundesregierung informiert uns (wenn wir danach suchen) nämlich gerne über die Vorteile dieser "großartigen" Reform. Sodass in einem FAQ des BMVI unter der Frage "Wie lief es bislang ab?" die folgende Antwort gegeben wird:

Bislang hatten die Länder im Auftrag des Bundes die Autobahnen verwaltet. Das System sah, vereinfacht ausgedrückt, so aus: Der Bund legte über den Bundesverkehrswegeplan und den Bedarfsplan die groben Linien fest und beauftragte die Länder mit der Planung der Projekte. Dann gab er ihnen das Geld für Ausbau und Sanierung. Der Bund stellte also das Geld zur Verfügung, aber es waren die Länder, die planen, bauen und die Autobahn betreiben mussten. Im Behördendeutsch heißt das: Ausgaben- und Aufgabenverwaltung fielen auseinander. Der Bund hatte dabei relativ wenig Einfluss darauf, wie schnell die Länder mit den Planungen für bestimmte Projekte vorankamen.

BMVI

Diese Aufgabenverwaltung gilt übrigens auch für die Zuständigkeiten vor Gericht. Sollte es im Fall von etwaigen Schäden durch dieses wassertechnische Russisch Roulette noch einmal zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen, dann wäre nur das Hessische Verkehrsministerium, nicht aber das Bundesverkehrsministerium, zuständig, sich mit den Gerichten auseinander zu setzen. Jedenfalls kann man dann vor Gericht nicht so einfach mit dem Finger nach Berlin zeigen, da aufgrund der Konstruktion der Bundesauftragsverwaltung sich niemals das Bundesverkehrsministerium oder der Bundesverkehrsminister gerichtlich verantworten muss. Das gilt selbst dann, wenn klar wäre, dass eine entsprechende Anweisung des Bundesverkehrsministers vorläge und für den/die Schaden/Schäden ursächlich wäre.13 Sicherlich eine Rechtslage, die der Bundesverkehrsminister gern in einem noch umfassenderen Sinne hätte. Haftungsrechtlich wäre ein solcher Fall innerhalb der staatlichen Verwaltung Ulrich Stelkens zufolge komplex und a priori weit weniger klar, als man intuitiv vermuten möchte.14

Zum oft genannten Vorliegen des Planfeststellungsbeschlusses sei noch gesagt: Es entsteht dadurch Baurecht, kein Bauzwang. An dieser Stelle sollte auch nicht vergessen werden, dass Auswirkungen "auf die Waldfunktionen und das globale Klima", gar kein Teil bisheriger Klagen waren. Ebenso ist es schon eine berechtigte Frage, ob die Auswirkungen der extremen Trockenheiten 2018 und 2020 auf die Grundwasserkörper neu bewertet werden müssten, immerhin musste dadurch in Hessen an mehreren Stellen der Trinkwassernotstand ausgerufen werden. Und das alles ohne Verunreinigungen durch Sprengstoff-Sondermüll o.Ä. des Trinkwassers.

Zusammengefasst kann sicher gesagt werden, dass der entscheidende Punkt also ist, dass man sich in Wiesbaden im "grünen" Ministerium mögliche Probleme anscheinend erst gar nicht genauer zu Gemüte führen möchte, sondern sich auf die behauptete Nicht-Zuständigkeit zurückzieht, wohl um sich machtpolitisch gut mit der CDU zu stellen/halten. Man kann mehr als man möchte, bei gegenteiliger Behauptung.

Im News-Ticker von hessenschau.de zur A49 ist am 3.11.2020 noch eine besondere Stilblüte zu lesen. Da wurde über das oben erwähnte Gegengutachten geschrieben, welches "seit kurzem [dem Hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium] vor[liege] und (..) geprüft [werde]". Dieses nimmt aber gleich das Ergebnis vorweg und teilt mit, dass "das Gutachten (..) für die Gültigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zum Weiterbau der A49 aber keine juristische Relevanz [habe], unabhängig vom Ergebnis der Prüfung". Da hätte man auch direkt mitteilen lassen können, dass es einem "sowieso egal" sei.

Für den Bau hat es aber eben schon Relevanz, wenn man es denn ernst nehmen möchte. Herr Al-Wazir Sie haben die Möglichkeiten, diesem Gutachten und der gesamten Informationslage die Relevanz zu geben, die angebracht wäre und daraus auch Konsequenzen zu ziehen.