Grünes Erziehungsregime

Die Moral des Pausenhofs, Verbote statt Freiheit: Ernährungsminister Cem Özdemir will die Menschen zu einem gesunden Leben zwingen. Darf er das?

Wir bewegen uns in Richtung Ökodiktatur.
Carl Christian von Weizsäcker, Ökonom, 2011

Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen . . . Dass der bei weitem größte Teil der Menschheit den Schritt zur Mündigkeit, außer dem, dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben.

Immanuel Kant, "Was ist Aufklärung?"; 1783

Die Grünen werden immer mehr zu einer illiberalen Partei. Vorbei sind vorerst die Zeiten, als Robert Habeck noch auf Parteitagen Hannah Arendt zitierte und seiner Partei auftrug, "Freiheit zu schützen". Die deutsche Politik verwandelt sich unter grüner Regierungsbeteiligung zunehmend in unerbetene Lebenshilfe und aufdringliche Sozial-Therapeutik.

Nach grünen Tipps zur Morgentoilette (Robert Habeck), zum Duschverzicht (Winfried Kretschmann) und zum Reiseverhalten (Heinrich-Böll-Stiftung) folgt nun parallel zum geplanten Verbot von Öl- und Gasheizungen (nochmal Robert Habeck) die nächste Moraloffensive, diesmal in Sachen Ernährung und nicht nur darin an beste "Veggie-Day"-Zeiten erinnernd.

Özdemir will verbieten

In einer überraschend, aber pünktlich zur Fastenzeit einberufenen Pressekonferenz (wohl, um Lobbyisten-Widerstand im Vorfeld auszubremsen) verkündete Bundesernährungsminister Cem Özdemir seine Pläne für Werbeverbote für sogenannte "an Kinder gerichtete Werbung" für sogenannte "ungesunde" Kinder-Lebensmittel, also Lebensmittel mit "zu viel Zucker, Fett und Salz".

Es trifft Spots für Süßigkeiten und Brotaufstriche, Junkfood und Chips nicht nur bei KiKa-Trickfilmen, sondern auch beim TV-Länderspiel und im Internet. "In allen für Kinder relevanten Medien" – und zwar nicht nur für reine Kindersendungen, sondern von 6 Uhr bis in den späten Abend um 23 Uhr.

Im Umkreis von 100 Metern soll nach den Plänen Özdemirs auch Außenwerbung in der Nähe von Kindertagesstätten, Spielplätzen und Schulen verboten werden.

"Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder gesünder aufwachsen können", sagte der Grünen-Politiker.

Wir verbieten nicht die Werbung an sich und auch nicht die Herstellung dieser Lebensmittel, aber die Werbung darf sich nicht mehr gezielt an Kinder richten.

Aber auch wenn Özdemir sagt, er wolle niemandem etwas verbieten – was er vorhat, ist genau das.

Zensur ist Schutz, Verbote sind Entlastung

Özdemir verwies bei der Pressekonferenz mehrfach auf die "Folgekosten ungesunder Ernährung", die die Gesellschaft "solidarisch zu tragen" habe.

In dieser Begründung entpuppt sich das neoliberale Denkschema des Ministers: Es geht ums Geld sparen. Die grüne Optimierung ist nicht eine Optimierung des Menschlichen, sondern eine Optimierung des Haushalts – mit zum Teil antihumanen Mitteln, auch wenn Özdemir den neuen Puritanismus im besten Manager-Gefühlsdeutsch verkündete:

Es ist auch für mich eine persönliche Motivation.

Wen interessiert es, was der Mann persönlich nimmt?

Wir reden hier über ein Thema, in dem klare Regeln unumgänglich sind. Als Ernährungsminister habe ich auch eine Schutzverpflichtung– auch und gerade Kindern gegenüber. ...

Es ist ein ganz wichtiger Baustein im Kampf gegen Übergewicht, gegen Adipositas und andere ernährungsmitbedingte Krankheiten. Deswegen wollen wir an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit zu viel Fett, Zucker und Salz gesetzlich einschränken. ... Mit unseren Regelungen werden wir Kinder besser schützen und Eltern in ihrem stressigen Alltag entlasten und stärken.

Cem Özdemir

Zensur ist Schutz, Verbote sind Entlastung. Das ist die Rhetorik einer Orwellschen Staates, der es besser weiß als die Menschen selbst, was für die Menschen gut ist. Und der immer nur das Beste für sie will: nämlich Kinder und Eltern schützen und stärken.

"Braucht es Werbung, um Schokolade leckerer zu finden als rote Bete?"

Kritik an Özdemirs Werbeplänen kam nicht nur wie zu erwarten aus der Wirtschaft. Dort jammerte der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie über das "Totalverbot von Süßwarenwerbung":

Die Vorschläge von Bundesminister Özdemir sind aus unserer Sicht nicht verhältnismäßig und zudem verfassungsrechtlich bedenklich.

Auch in der Süddeutschen Zeitung bemerkte Wirtschaftschefin Lisa Nienhaus, das Verbot wäre kaum effektiv. Es sei nicht die Werbung, die die Leute zum Essen von Süßigkeiten treibt.

Die wichtigsten Gründe sind: Beides ist praktisch, meist schnell verfügbar – und es schmeckt beziehungsweise macht Spaß. Süßes ist auch meist sehr viel günstiger als die gesunde Alternative. Das sind die Probleme. Oder, wie Ökonomen sagen: Das sind die Anreize. Sie gilt es zu brechen, wenn man will, dass die Kinder andere Dinge essen.

Lisa Nienhaus, SZ

Ein Werbeverbot fällt für die Autorin "in die Kategorie Für-dumm-Verkaufen". Ein echter Auftrag für einen Ernährungsminister würde im Essen in Schulen und Kitas liegen:

Wenn er sich wirklich beliebt machen möchte, sollte er ein Programm starten, das bundesweit das Essen in Kitas und Schulen unter die Lupe nimmt – und den Städten hilft, am besten auch finanziell, es besser und gesünder zu machen. In Frankreich hat man das verstanden.

Lisa Nienhaus, SZ

Aber "mehr als um die Kinder und ihre Eltern scheint es dem Minister darum zu gehen, die Lebensmittelindustrie zu ärgern".

Auch die FAZ spottete:

Braucht es Werbung, um Schokolade leckerer zu finden als Rote Bete? Haben Kinder Urappetit auf Brokkoli, der durch Pommes-Propaganda verdorben wird? ... Wieder einmal treibt die Ampelkoalition ein Nischenprojekt mit fragwürdiger Wirkung voran, statt sich auf die wirklich wichtigen Themen zu konzentrieren.

FAZ

Zugleich verhindert auch hier wieder einmal Political Correctness das Aussprechen einfacher Wahrheiten: Übergewicht haben häufig sozial Schwachen, mit anderen Worten, die Armen und Ungebildeten. Sie werden zu Frustfressern.