Grundprinzipien des Lebens

Was Leben ist, lässt sich weiterhin nicht definieren, aber immerhin präzise umschreiben

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Stundenlang hatten die Konferenzteilnehmer über eine griffige Definition von Leben diskutiert. Endlich schälte sich eine griffige Formulierung heraus: "Die Fähigkeit zur Reproduktion ist das wesentliche Wesensmerkmal des Lebens." Ja, das klang gut. Bis eine leise Stimme erklang: "Dann ist ein Kaninchen tot. Zwei, Männchen und Weibchen, sind lebendig, aber jedes Einzelne für sich ist tot."

Eine möglicherweise versteinerte Zelle auf dem Marsmeteoriten ALH84001, Foto: NASA

Obwohl jeder weiß, was Leben ist - oder es zumindest zu wissen glaubt -, gibt es bislang keine allgemein verbindliche Definition (Was ist Leben?). Ein Mangel, der durch Forschungen zu außerirdischem und künstlichem Leben immer deutlicher hervortritt (Frankensteins Erben). Im Wissenschaftsmagazin Science hat der Molekularbiologe und frühere Chefredakteur Daniel E. Koshland, der in Berkeley lehrt, jetzt den Versuch unternommen, sieben fundamentale Prinzipien des Lebens zu identifizieren. Nach ihren Anfangsbuchstaben nennt er sie die PICERAS-Prinzipien.

Das "P" steht für Program: Darunter versteht Koshland einen "Plan, der sowohl die Bestandteile eines lebenden Systems als auch deren Interaktionen untereinander beschreibt". Beim irdischen Leben ist dieses Programm in der DNS gespeichert, es mag aber auch andere Mechanismen dafür geben.

Das Programm muss sich wechselnden Bedingungen anpassen können. Koshland bezeichnet diese zweite Säule des Lebens als Improvisation. Auf der Erde erfolgen solche Programmänderungen im Wechselspiel von Mutation und Selektion.

Die dritte Säule ist Compartmentalization: Alle lebenden Organismen, so Koshland, sind auf einen bestimmten Raum konzentriert und von einer Hülle umgeben, die sie gegenüber der Außenwelt abschließen. Größere Lebewesen wiederum seien in kleinere Einheiten unterteilt, etwa Zellen oder Organe, die spezielle Funktionen übernehmen. Diese abgeschlossenen Einheiten seien erforderlich, um die für die Lebensprozesse nötigen Substanzen in den richtigen Mengen und Konzentrationen miteinander reagieren zu lassen.

Energy ist das vierte Lebensprinzip und wahrscheinlich das unstrittigste: Leben beinhaltet Bewegung - von Molekülen, Körpern, Körperteilen - und Bewegung erfordert Energie. Die irdischen Lebewesen beziehen diese Energie fast ausschließlich von der Sonne und zu einem geringen Teil aus dem heißen Erdinnern.

Weil der Stoffwechsel unweigerlich zu thermodynamischen Verlusten führen muss, muss Leben fünftens über ein System der Regeneration verfügen, das diese Verluste kompensiert. Ein Herzmuskel kann nur deswegen während eines Menschenlebens über 90 Millionen mal schlagen, weil er ständig erneuert wird. Weil aber auch dieser Erneuerungsprozess nicht perfekt ist und es auf Dauer zu Alterungsverlusten kommt, kann sich Leben außerdem durch Fortpflanzung regenieren.

Weil Lebewesen sich plötzlichen Veränderungen der Umwelt anpassen können müssen, benennt Koshland Adaptability als sechste Lebenssäule. Im Unterschied zur zweiten Säule Improvisation, bei der es um langfristige Anpassungen durch Änderungen des Programms ginge, sei diese Anpassungsfähigkeit selbst Teil des Programms - eine Unterscheidung, die Koshland für universell hält:

"Bei unserem erdgebunden System werden diese beiden Erfordernisse durch zwei unterschiedliche Mechanismen geregelt. Ich glaube, so wird es auch bei allen neu entdeckten oder entwickelten Systemen sein."

Das siebte und letzte Prinzip des Lebens ist Seclusion. Darunter versteht Koshland die Fähigkeit lebender Systeme, eine Vielzahl chemischer Reaktionen gleichzeitig ablaufen zu lassen, ohne dass sie sich gegenseitig stören. Es sei vergleichbar mit der Verhinderung von Kurzschlüssen durch die Isolierung elektrischer Leitungen.

"Die Liste der sieben Grundpfeiler des Lebens erlaubt es uns, über Ziele und therapeutische Konzepte in der gegenwärtigen Forschung neu nachzudenken."

Diese sieben Prinzipien seien für ein lebendes System erforderlich, die Mechanismen, nach denen sie funktionieren, könnten jedoch variiert und unter Umständen gezielt verbessert werden. So sei es denkbar, dass die Menschen den Mechanismus der natürlichen Auslese durch gezielte Veränderungen an ihrem Lebensprogramm ersetzten.

"Ich empfehle nicht unbedingt so einen drastischen Wandel im gegenwärtigen Mechanismus der Improvisation, der uns über die Jahrhunderte sehr gut gedient hat. Ich weise nur darauf hin, dass es die Möglichkeit gibt, bestimmte Mechanismen zu verändern, solange wir die Grundprinzipien selbst aufrechterhalten."

Eine griffige Definition für Leben hat Koshland mit den PICERAS-Prinzipien zwar noch nicht gefunden. Eine brauchbare Grundlage für weitere Forschungen, insbesondere zu Künstlichem Leben, bieten sie aber allemal. Wenn eines Tages wirklich einmal Leben auf anderen Himmelskörpern nachgewiesen und genauer studiert werden kann, mag allerdings alles wieder ganz anders aussehen.