Gutes Portugal gegen böses Griechenland?

Griechenland wird dämonisiert, während Portugal als erfolgreicher Rettungsfall stilisiert wird, dabei werden ähnliche Probleme auch dort aufbrechen

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Derzeit ist der Blätterwald voll Lob für das krisengeschüttelte Portugal. Da wird abstrus davon gesprochen, dass Portugal nun seine Schulden vorzeitig beim Internationalen Währungsfonds (IWF) "tilgt". Doch anders als suggeriert, sinken die Staatschulden nicht. Ein Blick auf die Eurostat-Statistiken macht deutlich, dass die Verschuldung weiter steigt, die Schwelle von 130% der Wirtschaftsleistung überschritten wurde und sie damit immer gefährlicher wird. Im Land wird auf breiter Front der Kurs von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho kritisiert, der sich mit Berlin besonders gegen Erleichterungen für Griechenland stellt. Auch von Parteikollegen wird er aufgefordert, nicht an der "Demütigung" oder "Bestrafung" Griechenlands teilzunehmen. Denn vielen im Land ist klar, dass ein ähnliches Szenario auch Portugal blüht, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) die Geldschwemme beendet.

Ministerpräsident Pedro Passos Coelho, der im Ausland gelobt wird, steht im Land unter großer Kritik. Bild: portugal.gov.pt

Seit Wochen hört man Loblieder auf das Krisenland Portugal, um es als positiven Gegensatz zu Griechenland aufzubauen. Manche Berichte versteigen sich sogar zur Behauptung, "Portugal zahlte am Montag einen Kredit des IWF vorzeitig zurück", um zu untermauern, warum die "Geduld mit Griechenland schwindet". Getitelt wird auch: "In Portugal geht es doch auch." Die Portugiesen hätten sich "willig retten lassen und zahlen nun Hilfen vorzeitig zurück". Der Musterschüler habe sogar zum Teil mehr erfüllt, als die Geldgeber verlangt hätten: "Die Bürger ließen das zu, die Proteste hielten sich in Grenzen." Und dann wird noch eins draufgesetzt, dass die Portugiesen lieber "tilgen als betteln".

Die Realität sieht anders aus. Kein Kredit wurde bisher zurückgezahlt. Die Finanzminister der Eurogruppe haben dem Land nur erlaubt, einen Teil des IWF-Kredits zurückzuzahlen. 14 Milliarden Euro sollen erst in den nächsten zweieinhalb Jahren an den IWF überwiesen werden. Das ist ohnehin nur ein Teil der 26 Milliarden Euro, die im Rahmen der Hilfskredite in einer Gesamtsumme von 78 Milliarden nach Portugal geflossen sind. Und von Tilgen kann keine Rede sein, denn dieser Kredit wird nur über andere Kredite abgelöst. Das soll nach Angaben der portugiesischen Regierung eine Zins-Einsparung von 500 Millionen Euro bringen.

Es ist die Geldschwemme der EZB, die es auch Portugal ermöglicht, wieder über die Kapitalmärkte an günstigere Kredite zu kommen. Der IWF-Kredit, für den 3,25% Zinsen gezahlt werden müssen, kann durch zinsgünstigere Kredite ersetzt werden. Wegen der EZB Nullzinspolitik suchen renditehungrige Anleger auch nach riskanten Anlagemöglichkeiten. Deshalb erhält Portugal wieder Kredite, obwohl die wirtschaftliche Lage nach dem Verlassen des Rettungsschirms schlechter ist, als beim Gang unter den Rettungsschirm. Da aber nun die EZB die Notenpressen auf Hochtouren laufen lässt und monatlich für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen der Euroländer kaufen will (Europäische Zentralbank verschießt letzte Patrone), sind die Renditen für portugiesische Staatsanleihen weiter gesunken.

Doch die Entscheidung, dem IWF einen Teil der Kredite zurückzuzahlen, belastet nun den Haushalt zusätzlich. Denn zwischenzeitlich war auch Portugal gewährt worden, die Rückzahlungen auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben. Erst ab 2023 sollen sie beim Rettungsfonds beginnen und bis 2045 dauern (Portugal bleibt bis 2045 unter Troika-Aufsicht). Das war ein weiteres Entgegenkommen. Ursprünglich war vereinbart worden, dass mit Auslaufen des Rettungsprogramms auch die Rückzahlung beginnen müsse. Tatsächlich ist die Erlaubnis, einen Teil der IWF-Schulden zurückzuzahlen, erneut ein Zugeständnis mit Gefahren für die Steuerzahler. Während nun weitere Staatsschulden Portugals bei der EZB und damit bei europäischen Steuerzahlern landen, wird der IWF vorrangig bedient. Eine Klausel in den Verträgen sieht aber vor, dass gleichzeitig alle Gläubiger bei vorzeitiger Rückzahlung bedient werden müssen. Deshalb bedurfte es der Erlaubnis der Eurogruppe, worüber sich der IWF freut.

Ministerpräsident Coelho gibt sich gegen die eigene Bevölkerungsmehrheit als Musterschüler

Völlig verschwiegen wird beim Lob auf den angeblichen Musterschüler, dass auch die Portugiesen sich mit heftigen Protesten und Generalstreiks gegen die Auflagen der Troika im Rahmen der "Rettung" wehren. Allerdings blieben diese meist friedlich und werden deshalb offenbar nicht sonderlich beachtet. Im armen Land am westlichen Rand Europas wollen zahllose Menschen die "Troika zum Teufel jagen". Dafür haben die Empörten bis zu 15% der gesamten Bevölkerung auf die Straßen gebracht (Kolossaler Protest in Portugal). Und der Anteil derer, die eher mit der griechischen Syriza-Regierung als mit ihrer Regierung sympathisieren, wird immer größer.

Es ist der aber Ministerpräsident Coelho, der sich gegen die eigene Bevölkerungsmehrheit als Musterknabe gibt. Er stimmt vor allem in den deutschen Chor ein, der Griechenland jedes Entgegenkommen in der Schuldenfrage versagen will. "Es ist wichtig für alle in der Europäischen Union, dass Griechenland seine Verpflichtungen einhält und wie jeder europäische Regeln beachtet", sagte er. "Jeder muss seinen Teil beitragen. Während dieser drei Jahre haben wir unseren Teil erledigt", sagte er im Rückblick auf das Rettungsprogramm. Deshalb könne Portugal verlangen, dass Griechenland sich auch so verhalte, gibt sich Coelho besonders hart. "Es ist eine Illusion zu glauben, man könne Schulden nicht bedienen, Staatsgehälter erhöhen, Steuern senken und dennoch finanzielle Hilfen der Partnerländer beanspruchen."

Forderung nach Solidarität für Griechenland

Ganz abgesehen davon, dass seine "Sozialdemokratische Partei" (PSD) - real eine konservative Partei - und die Regierungskoalition bei den Kommunalwahlen und den Europaparlamentswahlen schwer für ihren Kurs abgestraft wurden, tragen nicht einmal PSD-Mitglieder seinen Diskurs zu Griechenland noch mit. Sehr deutlich wurde das gerade, als zunächst 32 Persönlichkeiten aus dem Land sich in einen offenen Brief gegen Coelhos Äußerungen gestellt haben. Breiter könnte die Unterzeichnerfront kaum aufgestellt sein. Von Mitgliedern der Kommunisten (PCP) wie Octávio Teixeira oder des Linksblocks (BE) wie Mariana Mortágua, über bekannte Wirtschaftswissenschaftler wie José Reis reicht die Ablehnungsfront auch zum Präsidenten der Sozialisten (PS) Carlos César und von ihm bis in Coelhos Regierungskoalition. Unterzeichnet hat auch Pacheco Pereira von dessen PSD und mit Ricardo Bayão Horta auch ein Mitglied der noch konservativeren CDS, die mit der PSD die Regierungskoalition stellt.

Statt sich an der "Demütigung" und "Bestrafung" Griechenlands zu beteiligen, fordern die Unterzeichner vom Regierungschef "Verantwortlichkeit und Solidarität" für Griechenland Die Austeritätspolitik aufrechtzuerhalten, wie es Coelho fordert, sei nicht nur angesichts der "humanitären Krise" in Griechenland "kontraproduktiv". Die Fakten hätten längst ihr Scheitern gezeigt, wird auf die hohe Arbeitslosigkeit, steigende Schulden und die Deflation hingewiesen.

Coelho fordere entweder die bedingungslose Zustimmung zur Kürzungspolitik oder den Austritt Griechenlands aus dem Euro. Um aber eine längere Depression zu vermeiden, bedürfe es "realistischer Lösungen" mit direkter Wirkung. Es biete sich nun die Möglichkeit für eine Debatte in Europa über eine wirtschaftliche Erholung und die Sozialpolitik, die nicht verspielt werden dürfe, heißt es in dem Brief. Weder der Euro-Austritt, der nach Ansicht der EU-Kommission ohnehin unmöglich sein soll, noch die Unterwerfung unter die Troika-Auflagen "kann im Interesse Portugals sein, dem schwächsten Land der Eurozone nach Griechenland". Es sei vielmehr im Interesse Portugals, an einer multilateralen Lösung für die europäische Schuldenkrise aktiv mitzuarbeiten und für eine Verringerung der Belastungen durch den Schuldendienst für alle Länder zu sorgen. Denn der würge das Wachstum ab und verschärfe die Eurokrise.

Sie stellen sich also klar hinter den Kurs des neuen griechischen Regierungschefs, denn die Regierung von Alexis Tsipras fordert einen Schuldenschnitt oder eine Umschuldung. Darüber soll eine Wachstumspolitik möglich werden, mit dem die Schulden erst wieder bezahlbar werden (Statt Schuldenschnitt nun Umschuldung?). Es ist klar, dass die Unterzeichner alle Länder mit ähnlich hohen Schulden im Blick haben, zu denen auch Italien und Irland zählen. Und Spanien schließt längst mit großen Schritten auf. Die Schulden des Landes betragen nun mehr als eine Billion, die Schuldenquote liegt bei knapp 100% und damit höher als die Regierung erwartet hatte.

Anders als Coelho sind die Unterzeichner des offenen Briefs sich darüber bewusst, dass die Schuldenlast in immer mehr Ländern immer erdrückender wird. Denn anders als auch im Fall Portugals gerne suggeriert wird, steigen die Staatsschulden weiter. Der angebliche Musterschüler hatte schon im dritten Quartal 2013 knapp 230 Milliarden Euro an Schulden angehäuft. Das sind 131,4% der jährlichen Wirtschaftsleistung. Nicht einmal die Tatsache, dass Eurostat nun auch illegale Geschäfte wie Drogenhandel, Prostitution und Schmuggel einrechnet, brachte für Portugal auch nur eine statistische Senkung, wie in Irland oder Italien. Das dürfte alsbald dazu führen, dass Portugal bei der Schuldenquote Italien überflügelt und auf den zweiten Rang hinter Griechenland aufrückt. Mit dem schwachen Wachstum, im vierten Quartal 2014 wurden 0,5% registriert und im Jahresvergleich 0,7%, gibt es keine Aussicht darauf, real Schulden zu tilgen.

Und das bedeutet etwas, was der Wirtschaftswissenschaftler Coelho offenbar - anders als seine Kritiker - ignoriert. Die Schulden steigen weiter, dabei haben sie längst das Niveau überschritten, an dem es für Griechenland einst eng wurde. Nur die Nullzinspolitik der EZB und der Ankauf von Staatanleihen sorgen dafür, dass die Zinsen niedrig bleiben. Das schafft etwas Entlastung und Verzögerung, lässt den Absturz und die längst untragbare Schuldenlast nur nicht sofort offensichtlich werden.

Portugiesische Sozialisten wenden sich gegen eine Orientierung an Berlin

Findet der Griechenland-Kurs beim derzeitigen konservativen Regierungschef noch keine Solidarität, hat sich der Oppositionsführer António Costa klar hinter den offenen Brief gestellt. Auch er fordert Entlastungen beim Schuldendienst. Und nach allen Umfragen soll der neue Chef der Sozialisten mit seinem Linksschwenk die Wahlen im Herbst gewinnen. Für Costa ist der Versuch, Griechenland zu "isolieren und zu dämonisieren, ein Irrweg und eine gefährliche Idee". Sich an Berlin zu orientieren, sei "ein anhaltender Fehler" der konservativen Regierung.

Er hält die drei Jahre der Austeritätspolitik für gescheitert, weil die Ziele verfehlt wurden und aus politischer Sicht nur zu einer Radikalisierung geführt hätten. Damit spricht er den Wahlsieger Syriza in Griechenland und die Empörten-Partei "Podemos" (Wir können es) an. Denn Podemos soll nach immer neuen Umfragen in Spanien im Herbst die Wahlen gewinnen. Und Costa will offenbar seine Partei nicht auf den Weg in die Bedeutungslosigkeit führen, auf den sich in Griechenland die Schwesterpartei Pasok gemacht hat und auf dem auch die spanische Schwesterpartei schon wandelt.

Er wendet sich deshalb auch von der Politik von José Sócrates ab, der einst als Sozialistenführer die Vereinbarungen mit der Troika abgesegnet hatte. Denn lange stützte auch die PS unter Sócrates den Austeritätskurs der Konservativen ab. Mit dem Linksschwenk und der Unterstützung griechischer Forderungen will Costa von der Verantwortung seiner Partei ablenken und die allgemeine Empörung über die Misere im Land für sich nutzbar machen. Er weiß, dass sich mit "Juntos Podemos" eine Schwesterpartei der spanischen Podemos und der griechischen Syriza gerade formiert, die auch für die PS gefährlich werden dürfte.

Und weil es falsch ist, dass sich die Portugiesen willig und weitgehend ohne Widerstand "retten" ließen, ist das Potential für Juntos Podemos auch in Portugal angesichts der wirtschaftlichen und politischen Lage groß. Zur allgemeinen Misere kommen Korruptionsskandale. In die sind nicht nur die Parteien der Regierungskoalition verstrickt, sondern die haben auch die Sozialisten längst erwischt. Sogar der ehemalige Parteichef Sócrates sitzt seit Monaten deshalb im Knast. Die Empörten kommen zwar in Portugal etwas spät, da sie es lange abgelehnt haben, sich auch über eine Partei in die Institutionen einzumischen. Doch ist es nicht auszuschließen, dass auch sie es schaffen, das bisher dominierende Zweiparteiensystem aus PS und PSD aufzumischen und das will Costa mit seinem Diskurs verhindern.