Hacker sind Terroristen

Ein neues Antiterrorgesetz in Großbritannien stellt Angriffe auf Computersysteme in eine Reihe mit terroristischen Aktivitäten

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Im Vorjahr wurde der Terrorism Act 2000 beschlossen, Anfang dieser Woche ist das Gesetz in Kraft getreten. Wegen des Nordirland-Konflikts hatte es für Nordirland und England, Schottland und Wales unterschiedliche Terrorismus-Gesetze gegeben. Das neue Gesetz trägt dem Umstand Rechnung, dass wegen Nordirland der Nation keine unmittelbare Gefahr mehr droht. So bringt das Gesetz in einigen Bereichen Verbesserungen für die Bürgerrechte. Sorgen bereiten hingegen Paragraphen bezüglich der Definition dessen, was eine terroristische Aktivität darstellt. Unter anderem sollen Angriffe auf Computersysteme darunter fallen.

Wegen des Nordirland-Konflikts konnten Terrorismus-Verdächtige bislang nahezu unbegrenzt festgehalten werden. Nun muss der Verhaftungsgrund spätestens 48 Stunden nach der Festnahme von einem Richter geprüft werden. Damit beseitigt Großbritannien eine lange bestehende Abweichung von kontinentaleuropäischen Definitionen der Menschenrechte.

Heikel sind hingegen die Definitionen dessen, was terroristische Aktivitäten darstellt. Nicht nur Gewalttaten gegen Leib und Leben, auch Androhung von Gewalt, Sachbeschädigung und Androhung von Sachbeschädigung fallen nun unter das Terrorismusgesetz. Das Home Office (Innenministerium) bemühte sich klarzustellen, dass Gründe für eine Verurteilung nach wie vor nur tatsächlich begangene Straftaten sind, die auch im Rahmen des normalen Strafgesetzbuches geahndet werden würden. Mit dem neuen Gesetz geregelt würden "lediglich" Erweiterungen der Polizeibefugnisse bei Verdacht auf terroristische Aktivitäten. Ist dieser gegeben, kann z.B. Equipment beschlagnahmt und dürfen Überwachungs- und andere verdeckte Aktionen durchgeführt werden.

Tier- und Umweltschützer

Bürgerrechtsorganisationen und Protestgruppen fürchten, dass damit legitime Formen des zivilen Protests unter die Terrorismusgesetzgebung fallen würden. Es ist z.B. kein Geheimnis, dass die Erweiterungen der Terrorismus-Definition u.a. auf Tierschützer gerichtet sind. Zunehmend militante Tierschützer hatten durch Drohungen und Beschmierungen von Häusern und Autos Mitarbeiter von Tierversuchslaboren und deren Investoren unter Druck gesetzt. Ein führendes Test-Labor, Huntington Life Sciences, war vor allem durch den Druck auf Investoren so in finanzielle Schwierigkeiten geraten, dass es nur mehr durch die Übernahme einer amerikanischen Gruppe gerettet werden konnte. Mit dem neuen Gesetz würden die Drohungen und Sachbeschädigungen bereits unter Terrorismus fallen.

Aber auch Greenpeace und andere Umweltschutzgruppen fühlen sich durch das Gesetz bedroht. Protestaktionen gegen Versuchspflanzungen mit genetisch modifizierten Pflanzen könnten z.B. unter die neuen Regelungen fallen, ebenso wie Besetzungen von Bohrplattformen. Wird eine Vereinigung oder Gruppe nach dem neuen Gesetz als terroristische Vereinigung klassifiziert, dann ist es strafbar, für sie zu werben, sie zu finanzieren oder an Finanzierungsaktionen teilzunehmen, an Versammlungen von mehr als drei Personen teilzunehmen oder auf öffentlichen Veranstaltungen, z.B. Konferenzen, gemeinsam mit ihnen teilzunehmen, sogar wenn jemand dort nur auftritt, um einen gegenteiligen Standpunkt zu vertreten.

Unterstützung von Terrorismus im Ausland

Die gleichen Regelungen gelten aber nicht nur für Aktivitäten im Inland, sondern auch für die Unterstützung terroristischer Aktivitäten im Ausland von Großbritannien aus. Diese Abschnitte des Gesetzes scheinen vor allem gegen islamische Terroristen gerichtet zu sein, die in England rekrutieren, um Spenden werben und Printmedien und Websites dort betreiben. Gruppen, die in England aktiv sind, seien z.B. die Hisbollah, die kurdische PKK und die Tamil Tigers, die tamilische Befreiungsorganisation in Sri Lanka. Ihnen droht der Wegfall einer Basis in einer westlichen Metropole und entsprechend der Zugang zu Medien, politischen Lobbies und Finanzierungsmöglichkeiten.

Islamische und asiatische Community-Aktivisten in Großbritannien sehen sich damit pauschal als Terrorismusverdächtige gebrandmarkt und bemühen sich um Klarstellungen. Selbst das Home Office gibt zu, dass es hier Probleme geben können, denn wer entscheidet, was ein legitimer bewaffneter Freiheitskampf gegen ein unterdrückerisches, diktatorisches Regime ist, und was als Terrorismus zu bewerten ist. Bush und Blair haben gerade beschlossen, der irakischen Auslandsopposition verstärkt Hilfe zukommen zu lassen. Doch nach dem neuen Gesetz müssten sie eigentlich verfolgt werden, wenn sie den bewaffneten Sturz Saddam Husseins propagieren.

Im Parlament hatte es das Gesetz nicht schwer, denn es wurde von der konservativen Opposition mitgetragen, die stolz verkünden konnten, es sei im Wesentlichen deckungsgleich mit einem Entwurf, gegen den Labour gestimmt hatte, als diese noch in der Opposition waren. Von den Parlamentsparteien sind nur die Liberalen gegen das Gesetz. Deren parlamentarischer Sprecher für innere Angelegenheiten, Simon Hughes, sagte, wäre das Gesetz schon in der Vergangenheit gültig gewesen, dann hätte man in Großbritannien den Anti-Apartheidskampf des ANC und Nelson Mandelas nicht unterstützen dürfen.

Dass solche Bedenken nicht nur graue Theorie sind, zeigt sich bereits an Interventionen aus dem Ausland. Indien, Sri Lanka, Ägypten und Russland sind bereits bei der britischen Regierung vorstellig geworden, damit diese ihnen unbequeme Organisationen unter dem neuen Terrorismusgesetz verbietet und verfolgt. Russland ging sogar so weit zu behaupten, dass an der renommierten London School of Economics Studenten als Guerrilla-Kämpfer für Tschetschenien angeworben werden.

Cyber-Terroristen

Auch der Versuch, "elektronische Systeme schwerwiegend zu unterbrechen", soll künftig unter das Terrorismusgesetz fallen. Das Gesetz führt zwar näher aus, dass dies nur auf solche Aktionen zutreffe, die darauf zielten, "die Regierung zu beeinflussen oder die Öffentlichkeit zu bedrohen", doch wird es an der Polizei liegen zu entscheiden, wann das der Fall ist. Paul Mobbs, der im Herbst 1999 den Protest der "Electrohippes" gegen das Treffen der Welthandelsorganisation in Seattle mit einem sogenannten "Cyber-Sit-in" organisiert hatte, befürchtet, dass damit jede Form der Kampagne im Internet kriminalisiert werden könnte. "Wenn jemand eine Email-Kampagne an den Premierminister organisiert und Zehntausende senden Emails an Downing Street Nr.10, so dass dort der Mail Server zusammenbricht, dann könnte das als Terrorimsus ausgelegt werden", sagte er der Tageszeitung The Independent.

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