Hälfte der Menschheit ist zunehmender Luftverschmutzung ausgesetzt
Leben in Smog-Regionen könnte auch Ursache von Covid-19-Toten sein, jährlich sterben nach der WHO über vier Millionen Menschen aufgrund der Folgen von Luftverschmutzung
Die Mortalität von Covid-19 scheint auch mit der Luftverschmutzung, vor allem durch Feinstaub, zusammenzuhängen. Den Zusammenhang haben italienische Wissenschaftler schon bald nach dem Ausbruch der Pandemie in Italien festgestellt. Schließlich lag es mit dem Schwerpunkt der Epidemie in der Lombardei nahe, dass auch die am stärksten mit Smog belastete Umwelt einen Teil haben könnte. Auch Wuhan ist stark smogbelastet.
Luftverschmutzung schädigt das Atemwegssystem, durch das Sars-CoV-2 in den Körper eindringt. Vor allem bei älteren Menschen mit u.a. durch Luftverschmutzung verursachten Vorerkrankungen kann die Infektion zu einer Lungenentzündung und schließlich zu Lungenversagen und Sepsis führen.
Die italienischen Wissenschaftler vermuteten auch, dass Feinstaub nicht nur die Lungen schädigt und damit das Risiko einer schweren oder auch tödlichen Covid-19-Infektion erhöht, sondern dass Feinstaubpartikel, die als Vehikel für Viren dienen können, vielleicht auch die Verbreitung gefördert haben. Biostatistiker der Harvard-Universität haben für die USA ebenfalls eine Verbindung von Luftverschmutzung und der Zahl der Menschen hergestellt, die an oder mit Covid-19 sterben oder schwer erkranken. Ausgangspunkt ihrer Studie ist, dass die Vorerkrankungen, die das Todesrisiko von Menschen mit einer Covid-19-Infektion erhöhen, typischerweise eine Folge der langen Belastung mit Feinstaubpartikeln mit einem maximalen Durchmesser von 2,5 Mikrometer (PM2,5) sind und damit vor allem ältere Menschen betreffen (Luftverschmutzung erhöht Covid-19-Sterberisiko).
In großen Teilen der Welt nimmt die Luftverschmutzung weiter zu
Mit der derzeitigen Fokussierung auf Covid-19 könnte man allerdings übersehen, dass Luftverschmutzung auch ohne Sars-CoV-2 eine tödliche Gefahr darstellt, die Menschen nicht epidemisch in einer Welle oder mehreren, sondern konstant in millionenfacher Höhe sterben lässt. Nach der WHO sterben mehr als 4,2 Millionen Menschen jährlich an der meist von Menschen verursachten Luftverschmutzung durch PM2.5-Feinstaub in der freien Luft. Sehr viel mehr also als an der Covid-19-Pandemie, was aber deutlich weniger Panik und entschiedenes Handeln der Regierungen verursacht. 91 Prozent der Menschen sind einer Feinstaubbelastung oberhalb der von der WHO empfohlenen Konzentration von 10 μg/m3 ausgesetzt.
Wie jetzt britische Wissenschaftler von der University of Exeter und der WHO in der im Wissenschaftsmagazin Climate and Atmospheric Science (Nature) veröffentlichten Studie zeigen konnten, nimmt die Luftverschmutzung in großen Teilen der Welt oder für die Hälfte der Menschheit weiter zu. Während in Europa oder den USA die Luft sauberer wurde, nimmt die Luftverschmutzung in Zentral-, Südost- und Südwestasien sowie in Afrika südlich der Sahara zu. Feinstaub entsteht vor allem durch Energieverbrauch in Häusern, in der Industrie, in der Landwirtschaft und im Verkehr sowie durch Kohlekraftwerke, aber auch durch Sandstürme (Naher Osten, Afrika), die mit der Klimaerwärmung zunehmen sollen, Verbrennen von Abfall oder Entwaldung. Lokal verursachter Feinstaub kann über Hunderte von Kilometern "reisen"
Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler Trends der immer besser technisch messbaren Luftqualität zwischen 2010 und 2016. Verwendet wurden auf dem Boden gesammelte Daten zusammen mit Satellitendaten. Mit Modellen für den chemischen Transport wurden dann Profile für die Luftqualität global, regional und für einzelne Staaten berechnet und mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) abgeglichen. Hier heißt es: "Möglichst flächendeckende Erreichung des Richtwerts der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Feinstaubbelastung von nicht mehr als 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft bis 2030." Jetzt gilt ein Maximum von 10 μg/m3.
Trotz mancher Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität, stieg die Feinstaubkonzentration zwischen 1960 und 2009 weltweit um 38 Prozent, die Zahl der dadurch verursachten Toten soll um 124 Prozent zugenommen haben. Während in dem Zeitraum von 2010 bis 2016 in Europa und Nordamerika von 12,4 auf 9,9 μg/m3 die PM2,5-Feinstaubkonzentration abgenommen hat, ist sie in Zentral- und Südasien von 54.8 auf 61.5 μg/m3 angestiegen. Und das betrifft Regionen, die dicht bevölkert sind. In China wurden allerdings seit 2013 durch politische Maßnahmen Verbesserungen der Luftqualität erreicht, in Westasien und Afrika ist jedoch das Gegenteil zu beobachten, auch bedingt durch Sandstürme.
Die Studie behandelt Trends vor dem Antritt der Präsidentschaft Trumps, der viele Umweltgesetze wieder außer Kraft gesetzt hat. Bis dahin ist die Weltbevölkerung, die einer PM2,5-Feinstaubkonzentration von mehr als 10 μg/m3 ausgesetzt sind, von 94.2% im Jahr 2010 auf 90.0% im Jahr 2016 gesunken, vor allem wegen des Rückgangs in Europa und Nordamerika von 71 auf 48,6 Prozent. Die sauberere Luft in Europa und Nordamerika wurde freilich auch ermöglicht, weil die Industrie nach Asien ausgelagert oder outgesourct wurde. Und es ist kein Problem der Städte, sondern betrifft auch große Gebiete ländlicher Regionen. Mit Trump und der Reaktion auf die Corona-Krise wird die Luftverschmutzung auch in Nordamerika und Europa steigen, kann man annehmen. Umweltschutz ist ein Luxusverhalten, das in Krisenzeiten unter Druck gerät.
Abschätzung der Risiken
So könnte nach den Versuchen, die Coronavirus-Pandemie einzudämmen und Tote zu vermeiden, die Folge sein, dass die Luftverschmutzung mehr Tote fordert. Es ist eben ein riskantes Spiel, das eine Risiko gegen ein anderes in komplexen Systemen abzuwägen, zumindest wenn es um mittel- oder langfristige Entwicklungen geht. Ein Tunnelblick, wie er mit Covid-19 und fast ausschließlichem Rat von Virologen und Epidemiologen politisch umgesetzt wurde, ist in gewissem Sinne verrückt. Es wurde vernachlässigt, "die Wissenschaft" einzubeziehen, Ökonomen, Soziologen, Psychologen, auch andere Mediziner und Philosophen.
Die Politik hat sowieso nur die von Wissenschaftlern geäußerten Ratschläge befolgt, die man anerkannt hat. Wissenschaftler sollten vorsichtig sein, sich für politische Zwecke einspannen zu lassen, auch wenn es um Leben und Tod geht. Politiker müssten den Tunnelblick von wissenschaftlichen Disziplinen realistisch mit anderen Perspektiven abgleichen. Das ist schwierig, weil es keine Wahrheit, sondern nur falsifizierbare Hypothesen gibt. Trotz aller wissenschaftlicher Risikoanalysen bleiben die Entscheidungen der einzelnen Politiker nach Wissen und Gewissen - und nach Lobbyinteressen.
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