Handwasserpumpen reparieren oder im Netz surfen?

Entwicklungshilfe in Indien zwischen Technologie und Tradition

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Mädchen in den indischen Städten Nagpur und Assam werden Ritter geschickt, die ihre Tugend beschützen sollen und ihrer Bildung aufhelfen. Diese Ritter sind Rechner und sie werden in einem Klassenzimmer stehen und helfen Lerninhalte zu transportieren, die mit Wasser, Ernährung, Kinderpflege und Krankheitsprophylaxe zu tun haben.

Auf den Plan gebracht wurden die Computer von einer energischen englischen Dame, der 76jährigen Helen Taylor-Thompson, ein direkter weiblicher Nachfahr von David Livingston. Ziel der Initiative ist es vor allem, die jungen Mädchen vor der Prostitution zu bewahren. In Indien gibt es, so wird zumindest geschätzt, etwa zwei Millionen Prostituierte, mindestens zwanzig Prozent davon sind jünger als fünfzehn Jahre. Weltweit werden laut eines Berichtes der auf Kinder spezialisierten Menschenrechtsgruppe Jubilee Action jährlich eine Million Kinder zur Prostitution gezwungen und mehr als 10 Millionen Kinder sind weltweit bereits "im Geschäft". Die karitative Starfish Initiative hofft durch ihr im kleinen Rahmen gestartetes Bildungsprogramm zumindest einzelne Mädchen so weit zu bringen, dass sie Chancen auf einen akzeptablen Beruf haben. In Assam können nur 43% der Mädchen und Frauen lesen und schreiben, in Nagpur etwa die Hälfte.

Frau Taylor-Thompson, die im Zweiten Weltkrieg im französischen Untergrund tätig war und das erste Aids-Hospital in Europa leitete: "Prostitution ist immer noch der schnellste Weg, um sich mit dem HIV-Virus zu infizieren."

Die Pilotprojekte sollen in den kommenden Jahren mit alternativer Energie, mit Wind-Sonnen-Wasser und sogar Esels(!)-energie (ob man da viel lernt...) betrieben werden. Auch das Surfen im Netz steht im Lehrplan.

Das Social Work and Research Center (SWRC) in Tilonia, das auch als Barefootcollege bekannt ist und in den frühen 70ern von dem berühmten indischen Aktivisten Bunker Roy gegründet wurde, leitet ein anderes Projekt: Menschen aus entlegenen Dörfern - die oft eine sehr rudimentäre Schulbildung haben - kommen und lernen die photovoltaischen Grundbegriffe, damit ihr Dorf nicht Dunklen sitzt, wenn die von der Regierung gestellten Solarlampen streiken. Skills wie das Reparieren von Solarlampen ermöglichen isoliert liegenden Dörfern den Schritt zu einer wichtigen Autonomie.

Entwicklungshelfer Bunker Roy, der für seine wegbereitende Entwicklungshilfe in ländlichen Gebieten mit dem Magsaysaypreis ausgezeichnet wurde, welcher auch als Nobelpreis Asiens gehandelt wird, arbeitet mit der Prämisse, dass analphabetische Dorfbewohner den gleichen Job erledigen können wie ausgebildete Experten. Daher auch der Name "Barefoot College", der darauf rekurriert, dass die Menschen, die ausgebildet werden, "barfuss", also ohne akademische oder technische Vorkenntnisse hierher kommen. Ein ähnlicher Kurs, der zeitlich schon etwas zurückliegt, unterrichtete das Reparieren von Wasserhandpumpen, die in Dörfern oft monatelang außer Betrieb sind, weil keiner weiß, wie sie funktionieren. Roy: "Viele tausend Dörfer sind ans Stromnetz angeschlossen, doch oft existiert diese Energie nur auf dem Papier." Der Glaube daran, dass diese Menschen in schneller Zeit relativ komplizierte Sachverhalte begreifen können und das Vermitteln dieses Glaubens ist das Herzstück des ganzen Projektes. Der Campus des Barefoot Colleges, das vollständig von Solarenergie betrieben wird, wurde von jemandem entworfen, der keine architektonische Ausbildung besitzt. Kamla, eine Frau aus einem Dorf in Rajasthan, war eine der ersten Solartechnikerinnen, die hier ausgebildet wurden, über ihr Leben wurde ein Film gemacht. In den letzten drei Jahren ist das Barefoot College dran, Solarenergie in entlegenen Dörfern im Himalaya zu implementieren, ein Unternehmen, das von der EU gefördert wird.

Noch bis zum Jahr 1995 stieß der Optimismus, dass Analphabeten zu Solartechnikern ausgebildet werden können, bei den indischen Behörden auf Skepsis und Widerstand. Aber es hat funktioniert und eines der erklärten Ziele von Gründer Roy ist neben der Heranführung an notwendige Techniken auch die Entmystifizierung von Technologie an sich.

New trends in technology and high-tech machines are not always synonymous with development. SWRC does not believe in imposing technology on people in rural villages, nor using technology which deprives people of employment. Any new technology has to be thoroughly tested, appropriated and modified before it can be effective. Adapting and improving on pre-existing, traditional ways is often more effective than using newer technologies.

Barefoot College

Mittlerweile hat die Regierung, inspiriert von Roys Erfolgen, eine Arbeitsgruppe darauf angesetzt, die Kosten-Nutzen-Effizienz von Solarenergie in entlegenen Dörfern zu ermitteln (wie auch immer man so etwas ausrechnen kann). Nach offiziellen Angaben ist bereits die Hälfte der indischen Dörfer mit Elektrizität versorgt, Roy stellt diese Statistik jedoch in Frage.

Solarlampen

MF Swaminathan, Vater der vieldiskutierten (Vgl.Hochleistungsgetreide der Grünen Revolution schuld an Mangelernährung) "Grünen Revolution", der im Gegensatz zu Roy glaubt, dass man zu den ärmsten Dörfern neue wissenschaftlichen Fortschritte - vornehmlich das Internet (Der Pionier der Grünen Revolution bekämpft die Armut durch das Internet) bringen müsse, um die Armut und Unterernährung zu überwinden, lässt gerade auch wieder von sich hören: Auf einer internationalen Konferenz des britischen John Innes Centre in Norwich sprach er sich für eine Verbindung von traditionellem, "organischen" und gentechnisch verändertem Landbau aus. Vor Bio-Tech Unternehmen wie Syngenta, Dupont und Monsanto, der Großkonzern, welcher auch das Reisgenom sequenziert hat (Reisgenom sequenziert) befürwortete er die Förderung der Akzeptanz von gentechnologischen Produkten, gleichzeitig sollten jedoch die Anbaumethoden "people friendly" sein:

We must adopt a precautionary principle...If you want an inclusive society you must go to the poorest person and ask if they will gain anything from technological development. Farming cannot be left to the control of a few multi-national companies. The poor, who are most of the world's population, need fair and free trade. There must be ethics and equity in farming."

Schöne Worte. Man muss Swaminathan lassen, dass er auch versucht, sie in die Tat umzusetzen. Am Indian Statistical Institute in Kalkutta arbeitet er ganz gezielt an dem, wie er es nennt, "Dritten Weg", der Vermischung von traditionellen Methoden und Gentechnologie. Eines seiner Lieblingsprojekte ist um Beispiel der Versuch, Reis zu züchten, der sich mit Salzwasser versteht. Unterstützt wird er dabei unter anderem von der Rockefeller Foundation, die auch am liebsten sofort eine "Neue Grüne Revolution" ausrufen möchte. Einer der Wermutstropfen bei der "Grünen Revolution" ist, dass jetzt Klone der Hochertragsgetreide großteils die lokalen Genpools dominieren, und eine Menge an Genmaterial von traditionellen Sorten (die keine Düngemittel benötigten) verloren gegangen ist. (Vgl.Genbanken für künftige Generationen) Bleiben die Fragen, ob sich organischer Anbau und Genreis nicht zwangsläufig beißen, und ob Swaminathans schöner Ruf nach mehr Autonomie der Armen den fleißig mitschreibenden Reismonopolisten wirklich zu denken geben wird.