Handybewaffnete Bürgerwehr

Mit Videokameras und Mobiltelefonen jagen Mitglieder der rechtspopulistischen FPÖ Drogendealer und pöbelnde Zeitgenossen in Österreich

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"Das ist, als ob jemand an ihre Haustür klopft und sagt: Ich werde Sie jetzt beschützen, egal ob Sie das wollen oder nicht", empört sich eine Schuldirektorin über die jüngst in der österreichischen Stadt Graz aktiv gewordenen Bürgerwehr. Diese wurde von Mitgliedern der rechtspopulistischen Regierungspartei FPÖ gegründet. Der Hauptzweck nach Eigenangaben: Drogendealer dokumentieren und Pöbeleien verhindern.

Blaues Polo-T-Shirt und gleichfarbige Baseball-Kappe. So sieht die "Uniform" der Hobby-Sheriffs aus, die vermeintliche Drogenhändler und "vieles mehr" filmen wollen, um so die "Exekutive bei ihrer Arbeit" zu "unterstützen". Nach eigenen Angaben wollen die Hobby-Sheriffs auch rücksichtslose Radfahrer ins Visier nehmen und gegen "Anpöbelungen in Straßenbahnen" vorgehen. Eine Mini-Kamera steckt für diesen Zweck griffbereit in der Gürteltasche, im Halfter noch ein Handy mit einem Einsatzhubschrauber und dem Schriftzug "Police" auf dem Display.

Ursprünglich wollte die Bürgerwehr vor einer mehrsprachigen Schule Position beziehen. Doch dann entschieden sich die Organisatoren - offensichtlich als Reaktion auf Proteste im Vorfeld - für einen andere Route. Die rund 400 Schüler des betroffenen Gymnasiums fühlen sich nämlich nicht so sehr von Drogendealern bedroht, als von der Bürgerwehr bespitzelt. Lehrer-, Eltern- und Schülervertreter sprachen sich unisono gegen die Zwangsbeglückung der Privat-Security aus und wehrten sich gegen die Verunglimpfung als "Drogenschule". Andere Kritiker befürchten wiederum eine getarnte Hetze auf die in diesem Bezirk lebenden Afrikaner.

Inzwischen wurde der Fall Bürgerwehr zu einem Politikum, zumal führende Organisatoren aus der Freiheitlichen Partei Österreichs kommen. Der Obmann des Trägerverbands "Verein der Bürger für Schutz und Sicherheit" ist nicht nur FPÖ-Politiker, sondern auch Mitglied der Kameradschaft IV, einem Verein von Ex-SS- und Wehrmachtsangehörigen. Rund 25.000 Euro ließ die FPÖ bis dato für die Bürgerwehr springen. Auch von höchster politischer Ebene kam Rückendeckung. Dieter Böhmdorfer, Österreichs umstrittener Justizminister und ehemaliger Anwalt Jörg Haiders, sagte zur Initiative: "Ich hoffe, dass es eine positive Wirkung gibt und damit auch eine positive Vorbildwirkung."

Anders sieht das der konservative Innenminister, Ernst Strasser: "Wir brauchen keine Reserve-Polizisten, keine Reserve-Rambos und schon gar keine Reserve-Sheriffs".

Auch die Polizei vor Ort bringt wenig Verständnis für die Initiative auf. Der Grazer Polizeipräsident Franz Stingl hielt schon das FPÖ-Dealerkopfgeld (eine Prämie für Hinweise auf Drogenhändler) , das "bis heute keinen einzigen interessanten Hinweis gebracht hat", für entbehrlich. Die neu gegründete Bürgerwehr ist seiner Meinung nach ebenfalls überflüssig.

Die bisher 15 Mitglieder des "Schutztrupps" berufen sich hingegen auf berühmte Vorbilder. So wurde in Interviews auf die "Guardian Angels" verwiesen, die Ende der Siebziger Jahre begannen, in einer als "Straßenräuber-Express" verschrieenen New Yorker U-Bahn Linie zu patrouillieren. Auch Margret Thatcher rief nach einem Attentat offen zur Bildung von "Community Wardens" auf.

Viele Grazer Bürger beschleicht auch das mulmige Gefühl, dass "Blockwarte" wieder Saison haben. Zwar gibt es Drogenkriminalität, die steirische Hauptstadt ist aber keinesfalls vergleichbar mit Millionen-Metropolen wie London oder New York, wo sozialpolitische Fehlleistungen auch das Kriminalitätsproblem mitverursacht haben. Vielmehr leben in Graz, das als als beschauliche Kultur- und Universitätsstadtgilt, lediglich 240.000 Einwohner.