Heftige Diskussion um Nanotechnologie

Teil II: Gefährliche Winzlinge

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Aktuelle Studien verdeutlichen erneut die gesundheitlichen Gefahren der Nanotechnologie, die sich zunehmend öffentlicher Kritik ausgesetzt sieht. Die Angst der Menschen vor der Technik aus der Zwergenwelt wächst. Die Wissenschaftler sehen die Risiken, verweisen aber auch - wie die Industrie - nachdrücklich auf die positiven Potenziale. Die Nanotechnologie bewegt sich zwischen Heilsversprechen und Albtraum (vgl. Teil I des Artikels: Visionen und Szenarien des Horrors).

Wachsende Nanoröhren, Bild: National Center of Competence in Research (NCCR)

In der Januarausgabe des Journals Toxicological Sciences erschienen zwei beunruhigende Studien zur Giftigkeit von Nanoteilchen. Die Forscher-Gruppe um Chiu-Wing Lam von den Space and Life Sciences am NASA Johnson Space Center führten drei verschiedene Arten von Kohlenstoff-Nanoröhrchen durch die Luftröhre in die Lungen von Mäusen ein und untersuchten die Tiere dann drei Monate später. Die Tiere litten alle unter Lungengranulomen, knötchenartigen Veränderungen, die zur Problemen bei der Sauerstoffaufnahme führen.

Obwohl die Mäuse nur einmal Nanoröhrchen verpasst bekamen, nahm der Effekt mit der Zeit zu, einige Tiere litten unter entsprechenden Entzündungen. Tatsächlich waren die Schäden bedenklicher als die einer Versuchsgruppe, in deren Lungen Quarzteilchen eingeführt wurden - Quarzstaub gilt als Gefahrstoff, wenn er eingeatmet wird, und als krebserregend.

Das zweite, noch beängstigendere Ergebnis ergab sich aus der Studie, die von David Warheit vom DuPont Haskell Laboratory for Health and Environmental Sciences und Kollegen durchgeführt wurde. Sie hatten Ratten ebenfalls Nanoröhrchen in unterschiedlicher Dosierung in die Lunge eingeträufelt und die Nager dann nach 24 Stunden, einer Woche, einem und drei Monaten untersucht. 15 Prozent der Versuchstiere, die eine sehr hohe Dosis (5 mg/kg) erhalten hatten, starben innerhalb der ersten 24 Stunden durch eine komplette Blockierung der oberen Atemwege. Alle überlebenden Ratten entwickelten wie die Mäuse Granulome in der Lunge, allerdings ohne die üblichen Entzündungen.

Diese Tierversuche wurden nicht unter realistischen Bedingungen durchgeführt, ähnlich geartete Inhalations-Experimente mit viel weniger Teilchen, die aus der Luft eingeatmet werden, stehen noch aus.

Vorsicht mit Nanopartikeln ist anzuraten

An der University Rochester führte Günter Oberdörster seit vielen Jahren Versuche mit ultrafeinen Partikeln durch und die Ergebnisse deuten daraufhin, dass sie eher zu Entzündungen der Lunge führen, als ihre größeren Verwandten. In einem neuen Experiment ließ er Ratten Nanopartikel mit einem Durchmesser von 35 nm einatmen und konnte nachweisen, dass sich die Teilchen bereits einen Tag später im Gehirn abgelagert hatten. Wie sie dort genau wirken und ob das zu Schädigungen führt, muss noch geklärt werden.

In jedem Fall sind diese Studien ein deutlicher Hinweis, vorsichtig mit Nanopartikeln umzugehen. Das öffentliche Misstrauen können die Ergebnisse sicher nicht verringern. Der Zwergenkosmos ist seltsam und hat seine eigenen Gesetze (Nanopartikel sind Gestaltwandler).

Arbeitsschutzvorschriften müssen entsprechend angepasst werden, wenn Menschen mit Nanotechnologie zu tun haben, es genügt nicht, sich nach der Giftigkeit oder Ungiftigkeit der Ausgangsmaterialien zu richten. Wer direkt mit den Teilchen zu tun hat, sollte z.B. sicherheitshalber spezielle Atemmasken tragen, die über entsprechend feinporige Filter verfügen. Nicht umsonst thematisieren Umweltschützer in der aktuellen Diskussion immer wieder das Beispiel von Asbest, dessen feine Fasern lange als vollkommen ungefährlich galten.

Die Idee von Nano-Assemblern, die durch ihre Fähigkeit aus Atomen jedes gewünschtes Produkt zusammenzubauen und dann unsere Umwelt in "Gray Goo" (graue Schmiere) verwandeln, mag unrealistisch sein (vgl. Teil I: Visionen und Szenarien des Horrors). Die Produktion von Nanopartikeln ist dagegen bereits Realität. Unklar ist nur, welche Effekte sie in der Natur oder im Menschen verursachen können.

Es stehen Regeln für den Einsatz von Nanotechnologie in der Natur aus

Die Heilsversprechen sind groß, auch in den Bereichen Umweltschutz und Landwirtschaft. Nach Tankerhavarien sollen Ölteppiche auf dem Meer mit nanotechnologischen Mitteln aufgelöst werden. Wasser-Filter mit Nanopartikeln könnten Trinkwasser aus verschmutztem Grundwasser, verdreckten Tümpeln oder sogar aus der See gewinnen. Nano-Biosensoren sollen den Boden untersuchen, die Zusammensetzung analysieren und Informationen liefern, wie er optimal bearbeitet werden kann. Ein Ziel ist es auch, vergiftete Böden wieder nutzbar zu machen. Eine Studie von Wei-xian Zhang, Umweltingenieur an der Leigh-University, ergab im letzten Jahr, dass nanoskalige Eisenpartikel Gift- und Schadstoffe wie polychlorierte Biphenyle (PCB) aus Ackerflächen beseitigen können.

Ob und wie die Nanopartikel langfristig den Boden verändern, ist nicht bekannt. Einige Experten sind beunruhigt, weil selbst kleinste Veränderungen in der Bakterien-Population starke Auswirkungen auf das chemische Gleichgewicht in der Erde verursachen können.

Noch gibt es keine Vorschriften, was an nanotechnologischem Einsatz in der Natur überhaupt zulässig, bzw. verboten ist. Letzten Sommer versprühte die in Utah ansässige Firma Sequoia Pacific Research im Auftrag des Bureau of Indian Affairs nach einem Waldbrand in New Mexiko eine "nanostrukturierte Lösung" auf einer Fläche von rund 560 Hektar zur Stabilisierung des Bodens. Die Firmenleitung ist nicht bereit, die Inhaltstoffe ihres Produkts genau anzugeben, sie sagen nur, die Wirkung beruhe auf dem Auslösen von Reaktionen mit den im Waldboden befindlichen Nanopartikeln - und es habe funktioniert.

Umweltschützer sind fassungslos und aufgebracht, dass ein derartig großflächiger Einsatz von Nanotechnologie ohne vorherige Langzeitstudien zur Nachhaltigkeit oder besondere behördliche Genehmigung durchgeführt wurde.

Verharmlosung oder Übertreibung der möglichen Risiken?

Bekannt ist durch Studien des Center for Biological and Environmental Nanotechnology (CBEN) an der Rice University, dass sich die winzigen Partikel mit der Zeit in Lebewesen ablagern und über die Nahrungsmittelkette anreichern. Das bedeutet nicht zwangsläufig eine Schädlichkeit, betonen die Wissenschaftler, aber sie geben zu bedenken, dass andere Technologien ursprünglich ebenfalls als harmlos galten. Den Risiko-Spezialisten Roger Kasperson, Direktor des Stockholm Environment Institute, erinnert die Debatte an das frühe Atomzeitalter:

Kritiker der Atomenergie wurden als irrational bezeichnet. Ich gehe davon aus, dass wir anerkennen müssen: Wir kennen die Risiken von Nanotechnologie nicht, wir wissen auch nicht, was die Nutzen sein werden und wir werden das noch einige Zeit lang nicht wissen.

In einer im Dezember veröffentlichten Studie "Nanotechnologie in der Medizin" des schweizerischen Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung TA-SWISS gaben die befragten Experten an, sich durch die Nanotechnologie bis 2010 besonders Fortschritte in der Früherkennung und Behandlung von Krebs, Herzkreislauf-Erkrankungen und Virusinfektionen zu erhoffen (Zusammenfassung der Studie). Gleichzeitig war die Hälfte der Spezialisten der Meinung, dass die potenzielle Giftigkeit von direkt angewendeten Nanopartikeln in der Medizin nicht vernachlässigbar sei. Sergio Bellucci, Geschäftsführer von TA-SWISS betonte:

Neben allen positiven Möglichkeiten, dürfen die gefährlichen Auswirkungen der Nanotoxizitiät und der Nanopartikel für Mensch und Umwelt nicht verharmlost werden.

Sicherheitsauflagen scheinen also sinnvoll, auch wenn viele Wissenschaftler und die Industrie sie fürchten. Die beunruhigte Bevölkerung ist aber schon dabei, selbst Kontrollen einzufordern. In Berkeley gab es Ende Januar öffentliche Demonstrationen und Proteste gegen die Eröffnung der nanotechnologischen Molecular Foundry des Berkeley Lab. Gerichtsprozesse könnten folgen, wenn die Anwohner um ihre Gesundheit fürchten.

Ende Januar meldete sich nun die Fraktion zu Wort, die ein Moratorium ablehnt und Nanotechnologie für alle fordert. In einem Artikel der Zeitschrift Nanotechnology (vorab publiziert auf Nanotechweb), betonen Erin Court vom University of Toronto Joint Centre for Bioethics und Kollegen die großen Chancen der Technik aus der Zwergenwelt. Sie warnen vor einer Nanotechnologie-Kluft zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsstaaten.

Die Wissenschaftler schreiben, dass Risiko-Management wichtig sei, sich aber durch eine Überbetonung der möglichen Gefahren nicht zu einer Bremse entwickeln darf. Sie fordern ein internationales Netzwerk, um die Erforschung des Nano-Kosmos voran zu treiben und zu vermeiden, dass eine "Nano-Teilung" der Welt entsteht. Die Autoren kommen zu dem Schluss:

Obwohl die Nanotechnologie noch in den Kinderschuhen steckt, ist jetzt die ideale Zeit, ihren Nutzen für die Entwicklung zu erforschen. Der Opposition von Prinz Charles, der ETC-Group und anderen in Nordamerika und Europa sollte es nicht erlaubt werden, die Gesundheits-, Umwelt- und Ökonomiechancen für die Armen in Afrika, Lateinamerika und Asien zu verringern.