Herz und Schmerz in der Echtzeitkolportage

Die Story von Boris und Babs

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Das blonde Bobele, unser Wimbledon-Gott, hat Babs verlassen. Zeitgerecht war es nicht, hätte das Sommerloch doch seine erhabenste Supernova erlebt, während jetzt Madonnas Hochzeit, Schwarzeneggers Busengrapscheraffäre, amerikanische Präsidentenwahlfarce, Baraks Rücktritt, ach ja und Tote in Jerusalem mächtigste Medienkonkurrenz für das schnöde Cut-up der politisch korrektesten Ehe, seitdem es Promiliebe gibt, entfachen.

Vorbei die glücklich durchkämpften Stunden auf dem Center-Court, wo Babs und wir mit Boris litten und siegten. Deutschlands Tennisapotheose, der Prometheus von Puma, der Koloss von Leimen flieht die Familie. Boris war der ultimative Sieger, mit repetierender Beckerfaust, das deutsche Sturmgeschütz mit "mentalem" ABS-Sicherheitssystem, selbst dann noch die gegnerischen Matchbälle weghechtend, wenn wir couch potatoes schon alles verloren glaubten. Wenn Becker "mental" nicht gut drauf war, haben wir zum Gott der Breakpoints gebetet, das Bobele möge nur schnell das "Mentale" wiederfinden, das er womöglich bei seinen vielen Werbeauftritten verloren hatte. Hat uns der drogenfreie, schon seit frühester Kindheit Nutella essende Boris, der das seinem Sohn mit auf den Lebensweg geben wollte, also je enttäuscht? Nein, niemals und jetzt die Beziehungsapokalypse. Warum nur?

Eine Erklärung von tiefer psychologischer Einfühlung hält Becker schon selbst parat: Zwei Persönlichkeiten, also er und Babs, hätten sich weiterentwickelt, aber eben nicht in dieselbe Richtung. Das hätte Tiriac nach seiner Entpflichtung nicht besser formulieren können. Freilich befriedigt das Erklärungsrepertoire aus der "mental" imprägnierten Tennisschule nicht alle Fragen des aufklärungsnotdürftigen Publikums. Sollte das "ganz normale Chaos der Liebe" (Beck/Beck-Gernsheim), das längst nicht mehr zulässt, Rollenbilder, Gemeinsamkeitsdefinitionen, Fremd- und Selbsterwartungen vernünftig auf der Familienfestplatte zu konfigurieren, auch hier zugeschlagen haben?

Während deutsche Medien vornehmlich der simplen Psycho-Logik von gefährdeten Promibündnissen und attraktiven Nebenbuhlerinnen mit heißer Musik im Blut folgen, wissen die Briten erheblich mehr: Der deutsche Rassismus habe die wunderbare Liaison von Babs und Boris zerstört. "Nazis ruinieren Boris Beckers Ehe" meint die Gerüchteschleuder "Sun", aber selbst "Guardian" und "Daily Telegraph" stimmen in diesen antiteutonischen Generalbass ein. Die Analysefähigkeit der Straßenrandpostillen nicht nur hier zu Lande ging seit je über einfache menschliche Gleichungen hinaus und die Verhältnisse sind so komplex geworden, seitdem es mehr Dinge zwischen Medienhimmel und Erde gibt, als es sich menschlicher Normalverstand je ausdenken könnte.

Der deutsche Rassismus ist neben seinen widerlich realen Verkörperungen also auch ein medialer Hans Dampf in allen Sackgassen. Aber wir sehen es diesmal noch der "Sun" nach, da fiese Krauts mindestens so attraktiv sind wie die ansonsten lose dahingeblätterten Babes und Bunnys der "Sonne" von Albion. Der Unterschied zwischen Silikonbusen und deutschen Neonazis kann sich schon mal in der Hitze des Auflagendrucks leicht verwischen.

Liebe in den Zeiten dromologisch berauschter Medien

Mein Gott, was wären Europas mediale Kammerjäger ohne im Himmel der goldenen Blätter geschlossene und auf dem Asphaltboulevard der nackten Tatsachen getrennte Ehen - und wir immer mittenmang in der medial verabreichten Intimität mit den Reichen, Schönen und dem inkontinenten Hochadel. Richard Sennett greift zu kurz, wenn er lediglich von der Tyrannei der Intimität spricht. Die Geschichte von Boris und Babs ist wie Tausend andere Lovestorys ein Exemplum für die mediale Tyrannei der Fernintimität, die mindestens so viel zum Verfall des öffentlichen Lebens beiträgt wie der Rückzug des Menschen aus der fremdverschuldeten Unmündigkeit in seine private Hütte. Mit anderen Worten: Geborgte Lebenslust und geliehener Frust, so beginnt der kategorische Medienimperativ für die schönsten Stunden beim Friseur, wenn es noch nicht zur Flatrate reicht. Boris, der Modellathlet von AOL ist jedenfalls drin, weil er längst begriffen hat, wie man auch jenseits des Spielfelds Tempo macht.

Denn auf dem Boulevard der kürzesten Halbwertszeiten schlendert man nicht mehr, sondern rast, wenn es ums fremde Lebensglück geht. Die Printzugriffe aufs wahre Leben sind viel zu langsam, wenn eine Woche nicht nur reicht, die Welt zu schöpfen, sondern auch eine goldhochzeitsverdächtige Himmelsliebe in den schnöden Abgrund von zwei Entliebten nebst zwei Scheidungswaisen zu stoßen. Die "Bunte", bekannt für ihren emotional abgefederten Schlüssellochjournalismus zwischen monegassischer Provenienz und dumpfdeutscher Provinz erwischte das Trennungsdrama jedenfalls kalt lächelnd - jenseits der deadline. Das Titelbild der heilen Becker-Familie passte zwar leidlich zur Ankunft besinnlicher Hochglanzfesttage, aber längst nicht mehr zum Stand der wahren Dinge. Liebe in den Zeiten dromologisch berauschter Medien gewährt der Angst des Journalisten vor der Pointe nach Sendeschluss keinen Dispens. Wer zu spät kommt, den straft das Internet ab.

Galas Echtzeitkolportage

Um nicht zukünftig dem coitus interruptus medialer Großereignisse zu unterliegen, die sich weder um Gott, Vaterland und schon gar nicht den Redaktionsschluss bekümmern, hat Gala jetzt die flächendeckende Echtzeitkolportage erfunden. Jede Netzminute ist wichtig, wenn es um die Chronik der Schicksalstrennung geht. Waren früher Chronisten eher behäbige Zeitzeugen - wie etwa im Fall der Evangelisten gar müßige Spätstarter -, wird erst der multimedial vernetzte Echtzeitkolporteur zum rasenden Reporter. Ereignis und Bericht verschmelzen ab jetzt im Dauerfeuer bizarrer Seifenblasen.

"Galas" Echtzeiterleuchtung ist beachtlich. Instantan wird "The never ending story of Boris and Babs" mit erregenden Gerüchten aufgeheizt, auf dass die Chatlust der Ab-User, sich in fremde Intimität hineinzubohren, nicht abebben möge. Die interaktive Betreuung fremder Seelenbefindlichkeiten besorgt das Gala-Forum, auf dem unser Trennungsschock, der in einigen beklagenswerten Fällen dem der Beckers nicht nachstehen mag, sozialpsychiatrisch bis hochgeschwätzig auf- und abgearbeitet werden kann. Zumindest "ein Stück weit".

Nun muss man indes der hinter dem Mond berichtenden "Bunten" konzedieren, dass die Frage, was denn Boris so sexy mache - und das würden wir nie aus eigener Erkenntnisanstrengung zu beantworten wissen -, doch eine aktuelle Dimension hat, die schon bald das medial ausgekostete Trennungsdrama überrunden dürfte. Boris begann schon mit dem ersten Interview nach dem Untergang der Titanic lässig das Aufschlagspiel mit der Feststellung, er sei mönchischer Askese abhold. O lala, so spricht ein wahrer Medienschatz, dessen Hebung noch lange nicht beendet ist. Kommt nach Nutella und AOL vielleicht erregendes Herrenwasser durch die Mediendüsen? Promis wie Becker, die zukünftig noch von ihrem Publikum geliebt werden wollen, müssen allerdings morgen schon in ihren Schlafgemächern Webcams zulassen, um unseren Voyeurismus auch unterhalb der Bettdecke aufs Köstlichste zu befriedigen.

Das vorgebliche Medien-Ereignis des Jahres Bambi, auf dem sich Boris das erste Mal nach der Trennung öffentlich präsentierte, enttäuschte indes nicht einmal. Es war schlicht kein Ereignis, sondern mal wieder die durchsichtigste Form von narzisstisch angereicherten Gute-Nacht-Geschichten, seit es Stars und ihre Abziehsammelbilder gibt. Die Stars waren vor allem von sich selbst so gerührt, was wir ihnen nachsehen würden, wenn sie wenigstens den Teleprompter beherrschten. So aber war das rührunselige Gestammel, dass es Mutti gut mit ihnen meinte, als sie ihnen Karriereträume in die Wiege legte, nicht einmal als unfreiwillige Satire jugendgeeignet. Der Jahrzehnte alte Eiertanz ums goldene Rehlein stillt unseren kannibalischen Hunger nach Glamour, Sinnlichkeit und Privatestem längst nicht mehr, weil wir jenseits müde inszenierter Stars und Dankeshymnen jetzt ein neues Informationsgrundrecht auf fremde Intimität reklamieren. Boris Becker präsentierte sich zwar im raptauglichen Bühnendress und überreichte dem spätpotenten Neu-Vater Franz Beckenbauer die fossile Trophäe aus der Fernsehsteinzeit - aber es kam kein schmachtender Blick in Richtung Sabrina Setlur, der wenigstens drei Tage die Online-Gerüchteküche mit Starkstrom beheizt hätte. Der vor dem vergreisten Nichtereignis von "Bild" schwach gespendete Trost, im Berliner Hotel Grand Hyatt würden Boris und Sabrina in zwei, allerdings getrennten Suiten beherbergt, wollte dann auch nicht mehr als Afterburner zünden.

Und was sagt Babs dazu? Die Zeitschrift "Das Neue" hat es protokolliert: "Wenn wir Weihnachten mit Boris feiern, dann nur hier in Florida, wo ich atmen kann. Hier habe ich mein letztes Paradies". Hier schmerzt das mitleidige Herz und Sonja Ziemann hätte es Rudolf Prack nicht besser sagen können, wie schäbig die Welt jenseits des Heimatfilms ist. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende bekanntlich auch. Hat Babs ihren schwarzen Brause-Vertrag schon in Coca-Colas Vorgriff auf die Trennung des Millenniums gekriegt, die ja erheblich mehr Popularität einbringt als das Mutterschattendasein neben dem Grandslam-Veteranen?

Aber damit hat die Hypermedialisierung wohl kaum ihr Bewenden, wenn "Bild" bereits jetzt mit kerosinhaltigen Frühnachrichten aufwartet: Zur Premiere ihres ersten Films "Frau 2 und Happyend" am 9. Januar 2001 in Berlin habe Sabrina einen Ehrengast geladen: Boris. Oh ha, bei diesem zum Ereignis kongenialen Filmtitel wäre jede weitere Spekulation über das Glück in den Zeiten der Medien nur noch redundant.