Hisbollah, Iran und Somalia

Drei Monate nach dem Waffenstillstand schlittert der Libanon weiter in die Krise

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Der politische Machtkampf spitzt sich zu, nachdem sechs Minister zurückgetreten sind und Hisbollah Demonstrationen vorbereitet. Der Sturz der Regierung ist beschlossene Sache. Bei der deutschen Marine ist dagegen nach den beiden Zwischenfällen mit der israelischen Luftwaffe wieder Alltag eingekehrt. Täglich kontrolliert man Schiffe vor der libanesischen Küste nach möglichen Waffen für Hisbollah, die sich jetzt angeblich auch im afrikanischen Somalia engagiert. Die schiitische Guerilla-Gruppe soll die Kämpfer der „Union islamischer Gerichte“ ausbilden.

Seit dem 1. November patrouillieren die acht Schiffe der deutschen Marine mit 1.000 Mann Besatzung auch innerhalb der 6-Meilen-Zone. Eine Zone, in der die deutschen UNIFIL-Boote offiziell eigentlich nur bei der Verfolgung von verdächtigen Schiffen, bei einer „Sicherheitslücke“ oder auf Anforderung eindringen dürfen. Das libanesische Militär hat eine Sondererlaubnis für hohen Seegang ausgesprochen. Die eigene Marine sei dafür nicht ausreichend gerüstet und könne dann die Küstengewässer nicht umfassend kontrollieren. Die Genehmigung für die Einfahrt in die Sechs-Meilen-Zone sei wetterabhängig und könne sich von Minute zu Minute ändern. Bei ruhiger See würde die Kontrolle der libanesischen Hoheitsgewässer wieder an die nationale Marine zurückfallen. Diese als neu angekündigte Erlaubnis gelte allerdings bereits „seit Anfang an“, wie ein deutscher Marine-Offizier auf der „Mecklenburg-Vorpommern“ sagte.

470 Schiffe hat der deutsche Verband aus zwei Fregatten, vier Schnellbooten und zwei Hilfsschiffen bisher überprüft. Eine „unmittelbare Durchsuchung“ habe es, laut Verteidigungsminister Jung, noch nicht gegeben. Schiffe werden über Funk nach Ladung, Bestimmungs- und Ausgangsort befragt. Ein Vorgehen, das wenig Effizienz verspricht. Wer tatsächlich professionell auf Waffenschmuggel aus ist, kann derartige Daten problemlos manipulieren. Zudem könnten Schiffe auch ganz offizielle Papiere vorweisen. Ausgestellt von einem der fünf Ex-Minister, die den schiitischen Parteien von Hisbollah oder Amal angehörten und erst am vergangenen Wochenende zurückgetreten sind.

Das Rest-Kabinett von Premierminister Fuad Siniora zeigte sich von den Rücktritten ungerührt, obwohl am Montag zusätzlich ein christlicher Minister, Yaacoub Sarraf, seine Mitarbeit aufkündigte. Man stimmte der Bildung eines Internationalen Tribunals zur Aufklärung des Attentats an Rafik Hariri unter Leitung der UN zu (Wieder alles offen). Vorwürfe, dass die Abstimmung nach dem Rücktritt der Minister illegitim sei, wurden zurück gewiesen.

„Wir werden alle Versuche vereiteln, die den Libanon ermorden wollen’, erklärte Premier Siniora pathetisch. „100 Prozent gemäß der Verfassung“, sagte der Informationsminister Ghazi Aridi., „da über zwei Drittel des Kabinetts anwesend waren.“ Staatspräsident Lahoud hatte eingewendet, dass laut Verfassung „alle ethnischen und religiösen Gruppierungen im Kabinett“ vertreten sein müssten, was nach dem Rücktritt aller schiitischen Minister nicht mehr der Fall sei.

Es ist ein Streit um Kaisers Bart. Letztendlich geht es nur um die erweiterte Beteiligung im Kabinett von Hisbollah und der „Freiheitlichen Patriotischen Front“ von Michel Aoun. Die christlich-schiitische Allianz will ein Drittel aller Ministerposten, um sich ein Vetorecht bei allen Entscheidungen zu sichern. Für Premier Fuad Siniora und seine anti-syrischen Verbündeten Saad Harrir und Walid Jumblatt inakzeptabel. „Den Forderungen von Hisbollah und Aoun nachzugeben“, sagte Siniora, „würde in eine Tyrannei einer Minderheit führen, die das ganze Kabinett paralysieren könnten. Das hat mit Demokratie nichts zu tun.“ Nasrallah und Aoun sehen das natürlich ganz anders, da sie nach demographischen Gesichtspunkten etwa über die Hälfte der libanesischen Bevölkerung repräsentieren.

Bei einer Rede vor 6.000 ausgebombten Menschen in Südbeirut erklärte der Hisbollah-Generalsekretär, „die Regierung besitzt keinerlei Glaubwürdigkeit und wird gehen, ohne dass wir mit ihrer Resignierung etwas zu tun haben“. Für die nächsten Tage und Wochen hat Hisbollah Protestdemonstrationen angekündigt. Saad Hariri von der „Zukunftspartei“ erkennt hinter allem eine iranisch-syrische Verschwörung. „Das ist eine syrisch-iranische Strategie die legitimierte Regierung zu stürzen und das internationale Tribunal zur Aufklärung des Mordes an meinem Vater Rafik Hariri zu verhindern.“

Gerade in Bezug auf Michel Aoun sind derartige Behauptungen sicherlich unzutreffend. Der Ex-General ist seit dem libanesischen Buergerkrieg ein strikter Gegner Syriens und musste deshalb 15 Jahre im Exil in Frankreich leben. Erst durch die „Zedernrevolution“ 2005 konnte er unbehelligt in den Libanon zurückkehren (Regierungsbildung im Libanon). „Der Rücktritt der Minister hat mit dem Internationalen Tribunal nichts zu tun“, sagte Michel Aoun am vergangenen Montag. „Natürlich bin auch ich für das Tribunal. Wir wollen nur ein Drittel der Kabinettssitze.“

Wie es weiter geht im politischen Karussell des Libanons, ist schwer zu sagen. Falls es zu keiner Einigung beider Parteien kommt, könnte es auf der Straße zu gewalttätigen Zwischenfällen kommen. Die rechtsradikalen „Lebanes Forces“ hatten schon vor Wochen Gegendemonstrationen angekündigt, falls Hisbollah-Anhänger auf die Straße gehen sollten.

Internationale Verflechtungen der Hisbollah

Diese Woche sorgte ein Artikel der Washington Post für zusätzlichen Gesprächsstoff. Die Zeitung zitierte einen geheimen UN-Bericht, nach dem Hisbollah im Krieg mit Israel von 720 erfahrenen Kämpfern der „Union islamischer Gerichte“ aus Somalia unterstützt worden sei. Den Soldaten wurden 2.000 Dollar Gehalt versprochen und im Todesfall 30.000 Dollar an Kompensation für die Familie. Als Ausgleich für die militärische Unterstützung bekamen somalische Islamisten militärische Spezialtrainingseinheiten von Hisbollah. Angeblich sollen fünf Ausbilder der schiitischen Guerilla sogar nach Somalia geflogen sein.

Laut des Berichts der UN-Kommission aus Waffen- und Finanzexperten sollen auch Syrien und Libyen insgesamt 300 somalische Kämpfer ausgebildet haben. Libyen soll sogar mit 1 Million Dollar weitere, zukünftige Ausbildungen inklusive anstehende Gehälter finanzieren.

Vom Iran wurden ab dem Sommer diesen Jahres Waffen, medizinische Hilfsgüter sowie Ärzte nach Somalia eingeflogen. Eine iranische Lieferung im Juli soll Landminen, 1000 Maschinengewehre und M-79 Granatwerfer sowie von der Schulter aus zu feuernde Boden-Luft-Raketen beinhaltet haben. Angeblich laufen auch Verhandlungen zwischen Iran und Somalia, um im Austausch von weiteren Waffenlieferungen Zugang zu den Uranlagern des afrikanischen Staates zu bekommen.

Die Liste der beteiligten Länder geht noch weiter in diesem 86 Seiten langen UN-Bericht. Ägypten soll eine Ausbildung somalischer Kämpfer versprochen und Saudi-Arabien mehrere Schiffladungen an Nahrungsmittel und Medizin direkt an islamistische Soldaten geliefert haben. Alle genannten Staaten bestritten jegliche Beteiligung an Waffen- oder wie auch immer gearteten Lieferungen nach Somalia.

Die UN-Kommission warnt, dass in Somalia bald die von den Aufständischen im Irak angewandten Taktiken verwendet werden - Selbstmordattentäter inklusive. Man schlägt vor, dass der UN-Sicherheitsrat das Waffenembargo verstärkt, Sanktionen gegen Somalis beschließt, die am Waffenhandel beteiligt sind, sowie auf diplomatischem Weg die betroffenen Staaten davon abzuhalten, weiter Waffen nach Somalia zu liefern.

Seltsamerweise gibt es im Bericht keine Beweise für die Behauptungen noch einen Hinweis auf geheime Waffenlieferungen der US-Regierung an anti-islamische Gruppen, was die somalische Interimsregierung mehrfach behauptet hatte. Selbst die US-Regierung hatte im Mai dieses Jahres eingestanden, dass sie „Antiterrorismus-Arbeit“ mit bestimmten somalischen Gruppen mache,