Hizbollah-Chef droht Israel mit dem "Anfang vom Ende"

Seite 2: Der Zulauf des iranischen Lagers aus einem Schutzbedürfnis heraus

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Vertrackt ist sie deshalb, weil Balanche in seiner Darstellung den Machtanspruch der Sunniten im Nahen Osten als Schlüssel zum Verständnis der Dynamiken begreift. Da bekanntlich Saudi-Arabien (zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten) der starke arabische Partner ist, auf den die USA und Israel Hoffnungen setzen, wird die Sache kompliziert.

Denn, so erklärt es Balanche, der Zulauf, den das iranische Lager in den letzten Jahren bekommen hat, verdanke sich zu einem wesentlichen Teil einem Schutzbedürfnis vor dem hegemonialen Machtanspruch von Sunniten.

Im Irak, in Syrien und im Libanon dominieren iranische Verbündete; die Leute unterstützen sie aus Angst, weil sie so eingestellt sind, oder aus Sympathie. Wenn der Westen den Einfluss der Islamischen Republik (Iran, Einf. d. Verf) bekämpfen will, so muss er die grundlegenden Ursachen kennen, die mehr und mehr libanesische Christen, irakische Schiiten und syrische sunnitische Araber in das iranische Lager treibt.

Fabrice Balanche

Paradoxerweise sei der theokratische Iran zu einem Beschützer von Nicht-Sunniten und säkularen Sunniten gegen den Dschihad geworden. Das gelte auch für Christen und andere Minderheiten in den Teilen des Nahen Ostens, in dem radikale Sunniten dominieren. Nach dem Versagen des arabischen Nationalismus, wie ihn Nasser oder die Baathpartei in Syrien und im Irak entwickelt hatten, habe mit dem Aufstieg Saudi-Arabiens eine "Re-Islamisierung" der Gesellschaften im Nahen Osten begonnen, dessen "oberste Stufe" Balanche im IS sieht.

Für die Minderheiten - Schiiten und Christen - ist die Entwicklung des politischen Islam besorgniserregend. Der Säkularismus des syrischen Regimes, selbst wenn es von Alawiten dominiert ist, war eine Schutzgarantie für Minderheiten und sogar für säkulare Sunniten.

Das erklärt, warum Baschar al-Assad noch immer Unterstützung in der syrischen Bevölkerung hat, Sunniten eingeschlossen. Im Libanon kam die Gefahr vom Islamischen Staat. Dazu kam, dass syrische islamistische Rebellen die meisten Christen, auch wenn sie anti-syrisch waren, auf die Seite der Hizbollah drängten, was dazu beitrug, dass Michel Aoun 2016 zum Präsidenten im Libanon gewählt wurde.

Konfessionelle Minoritäten und säkulare Sunniten kommen Iran näher, weil sie Schutz vor einer sunnitischen Agenda oder vom radikalen Islam brauchen. Unglücklicherweise war der Westen nicht dazu in der Lage, sie zu beschützen. Wir sind noch immer sehr naiv, wenn es um die Politik des sunnitischen Islams geht.

Fabrice Balanche

Iran würde von der Misere und der Unsicherheit und der Furcht vor der sunnitischen Hegemonie profitieren. Dagegen zu arbeiten, sei ein langer Prozess für den Westen. Er müsste damit anfangen, die Vertreter des sunnitischen Islam dazu zu ermutigen, "ihren auf Dominanz ausgerichteten Charakter aufzugeben und muslimische Staaten, dass sie religiöse Referenzen aus ihrer Gesetzgebung streichen.

Konsequenter Säkularismus als langer Lösungsweg

Ebenso müssten Auflagen gestrichen werden, die notwendig machen, dass der Islam Staatsreligion ist und der Staatschef ein Muslim sein muss, zivile Ehen müssen gestattet werden. Der Staat müsse wieder als Schutzgarant verstanden und empfunden werden, so dass nicht-staatliche Akteure ihre Anziehungskraft verlieren, so der weite Lösungsweg, den Balanche sieht.

Seine Geographie der Blöcke und der Entwicklungen Im Nahen Osten hat den Vorzug, dass sie sich nicht mit Hass allein als Erklärung für die Situation begnügt. Balanche ignoriert nicht, dass der Aufruf zum Dschihad von al-Qaida und anderen Extremisten und die "Achse des Widerstands" wesentlich mit anti-israelischer Rhetorik verstrickt ist - Vernichtungsdrohungen gibt es von diesen Seiten auch genug.

Damit allein die Anziehungskraft, der sich die USA und Verbündete auf Seiten Irans und der schiitischen Milizen gegenübersehen, zu erklären, ist zu wenig. Da zählen schon auch die eigenen Fehler gegenüber der Bevölkerung, soziale Ignoranz und die Unterstützung und Instrumentalisierung von Extremisten wie im Fall Syrien dazu.