Hörsturz der SPD

Platzeck war schon vor seinen gesundheitlichen Problemen innerparteilich angeschlagen

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Als Hoffnungsträger aus dem Osten wurde er bezeichnet. Manche wollten aus seiner Nominierung als Gegenpart von Merkel gar interpretieren, dass jetzt die Ostler endlich auch zum Zuge kommen und die Republik verändert könnten. Doch diese Interpretationen hatten eine kurze Halbwertzeit. Am Montagvormittag trat Matthias Platzeck vom Posten des SPD-Vorsitzenden zurück. Nur fünf Monate war er im Amt.

Mathias Platzeck. Foto: SPD

Offiziell werden für den Rücktritt gesundheitliche Gründe angegeben. Nach einem stressbedingten Hörsturz war er in der Öffentlichkeit nicht mehr aufgetreten. Doch schon vor seinen gesundheitlichen Problemen war er innerparteilich angeschlagen. Seit Wochen wollte die Kritik an den anfangs hochgelobtem Mann aus dem Osten nicht verstummen. Ihm wurde vorgeworfen, dass er zu wenig sozialdemokratische Akzente setze und so der Union unter Merkel zuwenig Paroli biete. Manche bemängelten auch, dass er in der Partei zu wenig wahrgenommen werde.

Auch sein Verhältnis zu seinen Vorgänger Franz Müntefering galt nicht als konfliktfrei. Reibungspunkte zwischen beiden gab es reichlich. Da war der Mann aus dem Ruhrgebiet, der die sozialdemokratische Gesinnung quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat, ohne den in der Partei niemand Karriere machen konnte. Einmal versagte der Instinkt des alten Strippenziehers und er reagierte darauf mit seinen Rücktritt, weil die Partei seinen Kandidaten für den Posten des Generalsekretärs nicht abnickte. In diesen turbulenten Tagen schien ein Mann wie Platzeck gerade der richtige. Da er aus dem Osten kam, war er in die alten Parteiintrigen und Fehden nicht involviert und schien so der Garant für einen unbelasteten Neuanfang.

Doch diese Pluspunkte wurden ihm bald negativ angelastet. Ohne eigene Hausmacht war er den weiter bestehenden Seilschaften hilflos ausgeliefert. Ein weiterer vermeintlicher Vorteil erwies sich für Platzeck ebenfalls bald als Nachteil. Er blieb außerhalb der Regierung und sollte so sozialdemokratische Politik ohne die Zwänge einer großen Koalition vertreten können. Doch sein Vorgänger etablierte im Kabinett ein eigenes sozialdemokratisches Machtzentrum und ignorierte seinen Nachfolger. Platzeck war beispielsweise über viele Entscheidungen Münteferings, wie die Rente mit 67, vorab nicht informiert. Besser kann man einen Hoffnungsträger nicht desavouieren und ihm deutlich machen, wer in der Partei das Sagen hat. Zumal Platzeck dann Münteferings an der Basis unbeliebte Entscheidungen dann auch noch vertreten musste.

Da wurde parteiintern schon öfter spekuliert, wie lange der Mann aus dem Osten das mitmacht. Zumal sich die SPD-Gremien schon die ersten Gedanken machen, wen sie bei den nächsten Bundestagswahlen gegen Merkel ins Rennen schicken wollen und können. Schon seit längerem gab es in der Partei Hinweise, dass man Platzeck diese Rolle nicht zutraute. So brauchte man nur den Ausgang der Landtagswahlen von Ende März abwarten (Wahl ohne Signale), eine Anstandsfrist verstreichen lassen, um dann den Personalwechsel zu bewerkstelligen. Deshalb ist es nur logisch, dass in der Nachfolgedebatte alles auf den Mann zuläuft, der verhinderte, dass die Wahlen für die SPD zu einem Desaster wurden. Schließlich holte der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz Kurt Beck die absolute Mehrheit für die Partei und gilt als bürgernah. Vor allem hat er langjährige Koalitionserfahrungen mit der FDP. Diese Option wird von jenen Sozialdemokraten vor der nächsten Wahl auch bundespolitisch wieder stärker in die Debatte kommen, die sich eine Zukunft jenseits der großen Koalition vorstellen können.

Das vorerst neue Gesicht der SPD

Ein Richtungswechsel ist mit dem Rücktritt von Platzeck nicht verbunden. Beck und Platzeck stehen für eine scharfe Frontstellung zur´Linkspartei und für eine Hinwendung zur politischen Mitte. Das Scheitern der WASG an der Fünf-Prozenthürde in Rheinland-Pfalz und Baden Württemberg wird innerparteilich als Bestätigung dieses Kurses verstanden werden. Kurt Beck symbolisiert allerdings keinen Generationswechsel und wird ebenfalls das Stigma eines Übergangskandidaten nicht los. Ob er sich als möglicher Kanzlerkandidat profiliert, ist noch offen. Da hat Müntefering schließlich noch ein Wörtchen mitzureden und würde sich einen solchen Posten trotz seines Schwächeanfalls während des letzten Wahlkampfs wohl auch selber noch zutrauen. Gesundheitliche Probleme sind eben bei Berufspolitikern immer auch ein Politikum.