Horror-Arbeit in der Fleischindustrie: Eine alternative Bilanz

Seite 2: Fleischindustrie: Arbeitgeber sind nun in der Pflicht

Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz ist diese Bequemlichkeit hinfällig, sie sind als Arbeitgeber selbst gefordert. Und kaum ist es in Kraft getreten, schreiten sie zur Tat und demonstrieren, wie austauschbar die Methoden der rentablen Anwendung von Arbeit sind:

Viele Arbeitnehmerinnen in der Schlachtung und Zerlegung berichten von einer Arbeitsverdichtung. Die gesetzlich erlaubten Arbeitszeiten würden zwar eingehalten, die Arbeitsmenge sei jedoch gleich hoch geblieben. So erzählten Schlachter aus einem Großbetrieb im Ruhrgebiet, dass sie vor ihrer Übernahme zehn Stunden täglich ge­­arbeitet hätten. Mit der Übernahme wurde die Arbeitszeit auf acht Stunden reduziert. Dieselbe Belegschaft müsse nun jedoch dieselbe Anzahl Schweine in acht anstelle in zehn Stunden verarbeiten. Da das Arbeitstempo ohnehin sehr hoch war, sei die Arbeit kaum mehr zu schaffen, so die Schlachter; die Verdichtung sei für sie belastender als die überlangen Arbeitstage zuvor.

Alle Stunden werden erfasst und bezahlt, die Maximalarbeitszeiten eingehalten – und die entscheidende Leistung der Arbeit für ihre Anwender bleibt gewahrt: Mit einem Dreh am Geschwindigkeitsregler des Fließbands sorgen die Fleischfabrikanten dafür, dass in jeder einzelnen Stunde mehr Arbeit steckt, umgekehrt im resultierenden Warenhaufen weniger bezahlte Arbeitsstunden, dass also die angewandte Arbeit weiterhin im gewünschten Maß einen Überschuss ihres geldwerten Produkts über ihre Kosten erbringt. Derselbe Effekt lässt sich auch anders erzielen:

"Es ist viel härter geworden, sie haben viel weniger Leute, aber genau so viel Arbeit. Die gleiche Menge Schweine", sagt Mihai. "Das Schlachtband läuft fast genauso schnell wie immer, 73 Schweine pro Stunde müssen wir zerlegen. Mit viel weniger Leuten."

Deutschlandfunk, 14.1.21

Die Vorgabe eines rentablen Verhältnisses von Lohnkosten und Arbeitsleistung durch die Anpassung von Fließbandgeschwindigkeit und -besetzung ist eine Sache. Um die tatsächliche Erledigung der dadurch vorgegebenen Arbeitsmenge pro Zeit sicherzustellen, hatten die einstigen Subunternehmen Vorarbeiter eigener Art angestellt:

Seine Aufgabe: das Zertrennen von Schweineköpfen mit einer großen elektrischen Säge. Das diktierte Tempo ist nicht zu schaffen. Kaum hat er das eine Tier zerteilt, ist schon das nächste an der Reihe. Hinter ihm steht ein Vorarbeiter, der ihn anbrüllt: Schneller, schneller! So geht das stundenlang.

jacobin.de, 25.6.21

Antreiben der Arbeitsmannschaft, spätestens sobald an einer Stelle die permanent nötige Anspannung ein Stück nachlässt: so haben diese Aufseher den Beweis erbracht, wie dehnbar der Widerspruch ist von Arbeitsanforderungen, die nicht zu schaffen sind, aber geschafft werden müssen.

Und weil diese Aufgabe unter den neuen Bedingungen keineswegs entfällt, aber auch nicht mehr outgesourct werden darf, entstehen neue Jobs bei den Fleischfabrikanten, für die die bewährten Kräfte die besten Einstellungsvoraussetzungen mitbringen:

Die Konzerne hätten zum Teil die vorherigen Subunternehmer "ganz aufgesogen", berichtete Kossen. "Die Vorarbeiter, die vorher schon das Sagen hatten, die die Leute anschreien, demütigen, erpressen, sind mit angestellt worden."

kirche-und-leben.de, 24.11.21

Wobei es nicht so ist, dass es keinen Fortschritt gäbe, wenn Ober und Unter sich allesamt als ordnungsgemäß unterschiedlich eingruppierte reguläre Beschäftigte verschiedener Hierarchiestufen am Band wiedersehen.

Dort, wo Subunternehmen durch einen Betriebsübergang nach § 613a BGB durch die Auftraggeber übernommen wurden, wurden in der Regel auch die ehemaligen Vorarbeiter mit übernommen. Diese haben offensichtlich Schwierigkeiten, ihren bislang gewohnten Umgangston mit den ihnen unterstellten Beschäftigten abzulegen. Ich kann viele solcher schlechter Beispiele nennen.

Aber es gibt auch Positives zu berichten: In einem großen Schlachtbetrieb in Niedersachsen wurde ein externes Integrationsteam beauftragt, an das sich die neuen Beschäftigten bei Problemen in ihrer Muttersprache wenden können. Und tatsächlich haben sich mehrere Beschäftigte dort wegen Einschüchterungen durch einen Vorarbeiter beschwert, bei dem es sich um einen früheren Chef handelte. Die Vorwürfe wurden untersucht, und der Mann wurde entlassen. Solche Fälle gibt es und das lässt hoffen, das sich der Umgang in den Betrieben langsam verändert.

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