Horror-Arbeit in der Fleischindustrie: Eine alternative Bilanz

Seite 3: Anspruch auf respektable Behandlung

Die Arbeiter haben jetzt Anspruch auf respektable Behandlung als selbstbestimmte Personen mit unveräußerlichen Rechten, die sich einen herabwürdigenden Umgangston nicht gefallen lassen müssen, ebenso wenig wie Einschüchterungen der Art, ihnen bei Minderleistung mal eben die Bezüge zu kürzen oder sie umstandslos zurück in die Heimat zu schicken.

Das ändert freilich nichts daran, dass ihr selbstbestimmter Wille in ihren neuen Arbeitsverträgen auf die Erledigung der vom Arbeitgeber definierten Leistungsanforderungen innerhalb der festgelegten und nun sogar festgehaltenen Arbeitszeiten verpflichtet wird.

Die zunehmend höflichere Erinnerung an diese Pflicht sowie die arbeitsrechtlich zulässigen Sanktionen im Falle der Nichterfüllung durch die übergeordneten Kollegen fallen eindeutig nicht unter den Tatbestand der Erpressung.

Die intensive Arbeit mit gefährlichem Gerät ist und bleibt eine Quelle von Arbeitsunfällen. Aber auch was das angeht, gibt es mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz Fortschritte zu vermelden:

Heute erfassen wir wirklich jeden Arbeitsunfall und sei er noch so klein. Und wir gehen den Ursachen nach. Wenn die Berufsgenossenschaft kommt, dann sind wir als Betriebsrat mit im Boot. Wir werden grundsätzlich zu allen Arbeitssicherheits­­sitzungen eingeladen. Da sprechen wir die Arbeitsunfälle durch und überlegen gemeinsam, was wir für Maßnahmen ergreifen können, damit so etwas nicht wieder passiert. Auf diese Weise haben wir die Arbeitssicherheit im Betrieb deutlich verbessert und unsere Unfallstatistik weit nach unten gebracht.

DGB-Broschüre "Ein wirksamer Schritt"

Jetzt wird diese systematische Wirkung des Zwecks Rentabilität nicht nur systematisch erfasst, es wird auch den speziellen Arbeitsbedingungen als deren Ursache auf den Grund gegangen. Beim Zerlegen im Akkord werden jetzt konsequent Metallhandschuhe getragen.

Mit den gezahlten Löhnen lässt sich in Deutschland kein auskömmliches Leben führen, die Arbeitsanforderungen sind nicht auszuhalten und diese Arbeit wird mehrheitlich auch nicht ausgehalten – nach drei Monaten sind 50 Prozent der Leute wieder weg.

Genau diese Arbeit wird von den Fleischkonzernen aber für ihre kontinuierliche Produktion beständig eingeplant und nachgefragt. Ein Widerspruch, der in Zeiten der Subunternehmen glücklich dadurch bewältigt wurde, dass dieser kontinuierliche Nachschub an frischen Arbeitskräften aus dem europäischen Osten rekrutiert haben.

Es sind Männer, die mit dem Einkommen wenigstens ein Auskommen für die Familie zu Hause finanzieren können, solange sie es eben aushalten. Mit ausreichend Abstraktionsvermögen lässt sich das als enorme Fluktuation bilanzieren. Und mit der ist es natürlich nicht vorbei, bloß weil die Unternehmen die Leute nach dem neuen Gesetz selbst beschäftigen:

Wo immer Unternehmen der Fleischindustrie auf Subunternehmen setzten, war die Mitarbeiterfluktuation enorm hoch. Die Corona-Ausbrüche haben diese Entwicklung nach unseren Beobachtungen in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 noch verschärft. Da die Mitarbeiterrekrutierung meist über informelle Netzwerke funktioniert und die Konzerne selbst nicht über das notwendige Know-how verfügen, um ihren permanent hohen Arbeitskräftebedarf zu decken, greifen sie auf die Dienste der früheren Subunternehmen zurück, die ihnen nun Arbeitskräfte vermitteln... Die Ver­­mittlerinnen bemühen sich zurzeit, ihre Aktivitäten auf Drittstaaten der Europäischen Union auszuweiten.

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So entsteht aus dem ehemals der Menschenschieberei verdächtigen internen Rekrutierungsprozess der Subunternehmen eine mehr oder minder seriöse marktwirtschaftliche Dienstleistung namens "Vermittlung".

Und die hat sogar Expansionspotential: Wo die Grundlage dieses Geschäftsmodells Vermittlung prekär zu werden droht, weil das Armutsgefälle zu Bulgarien und Rumänien nämlich nicht mehr hinreichend groß ist, nehmen die Dienstleister Moldau und andere schöne Länder in den Blick und erweitern ihr Know-how auf das Arbeitsrecht für Drittstaatler.

Bleibt noch das letzte schlagzeilenträchtige Feld, die Unterbringung, für die nun ebenfalls die Fleischfabrikanten selbst zuständig sind:

Mehrere große Unternehmen haben angekündigt, die Wohnsituation verbessern zu wollen. Im Laufe des Jahres 2021 fanden vielerorts Sanierungen statt, teilweise wurden extrem schlechte Wohneinheiten geräumt, auch wurde die Überbelegung in vielen Wohneinheiten reduziert. Nach wie vor treffen wir jedoch auf Unterkünfte, die stark überbelegt sind, oder erhebliche Mängel bei der Ausstattung, den Hygienebedingungen oder bei der Strom- und Wasserversorgung und beim Brandschutz aufweisen. Zudem sind die Schlafplätze häufig überteuert. Preise von 150 bis 200 Euro pro Bett im Zweibettzimmer sind nach wie vor üblich.

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Schon wieder ein Fall von "Verbesserung, aber ausbaufähig", wenn man auch hier wieder davon absieht, was sich da verbessert hat. Unverändert bleibt es schließlich dabei, dass hier das Arbeitsinventar der Betriebe nicht wohnt, sondern unterkommt, dass das Leben der Leute jenseits der Arbeit vollständig durch die Arbeit in den Schlachtfabriken definiert und deswegen unmittelbar darauf zugerichtet ist, die Zeit bis zum Beginn der nächsten Schicht zu überbrücken. Auch bei der geschäftlichen Ausnutzung dieses furchtbaren Bedarfs geht es nun nach Recht und Gesetz zu.

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe dieser Artikel ebenfalls erschienen ist.

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