IbizaGate: Wie dumm sind unsere Politiker?
Verdeckte Parteienfinanzierung, illegale Staatsaufträge, Übernahme der "Kronen Zeitung" - und nun auch noch Sex- und Drogenorgien?
Da gibt es jetzt sehr viel aufzuarbeiten in Österreich. Die Wähler und Wählerinnen des Landes haben ein Recht, wahre Antworten auf die folgenden Fragen zu bekommen:
• Wer hat die Strache-Falle inszeniert?
• Warum wurde das Material erst jetzt den Medien zugespielt, wer hortete es fast zwei Jahre lang?
• Wer von den Betroffenen und Journalisten und Journalistinnen wusste schon vorab von dem Video und warum wurde es nicht veröffentlicht?
• Wie viele - mutmaßlich hauptsächlich männliche - Politiker ticken unter Einfluss von Alkohol, möglicherweise Drogen und "erotisch stimulierender" Atmosphäre noch so wie Strache und Gudenus?
• Wie oft kommen die angesprochenen Machenschaften - verdeckte Parteienfinanzierung, illegale Absprachen bei Staatsaufträgen, Einflussnahmen bis hin zu explizit politischen Stellenbesetzungen bei "unabhängigen" Medien (wir reden also nicht vom ORF!) - tatsächlich in Österreich und anderswo vor?
Die Veröffentlichung alleine ist noch kein investigativer Journalismus
Denn klar ist: Dass es all diese Phänomene - wie von Strache und Gudenus prahlerisch kundgetan - tatsächlich gibt, ist noch nicht zweifelsfrei bewiesen. Das müssen jetzt investigative Journalisten zeigen, die hoffentlich nicht damit aufhören, das Material publiziert zu haben. Denn "aufgedeckt" haben SZ und Spiegel nichts, sie haben sich nur in einer konzertierten Aktion (zu der es übrigens auch noch offene Fragen gibt!) getraut. Nun gilt es, zumindest Antworten auf die oben gestellten Fragen zu geben. Und der Fragenkatalog wird sicher noch wachsen.
Einmalige Selbst-Demontage eines Ex-Vizekanzlers
Was viele Österreicher und Österreicherinnen heute sprachlos macht: Das Video unterbietet alle negativen Annahmen über die FPÖ-Führungsriege noch einmal um Längen. Die Frage lautet: Wie dumm sind unsere Politiker? Strache sagte in seiner Erklärung, der Kontakt zur Lettin sei über Gudenus zustande gekommen und es sei ein privater Termin im Urlaub gewesen.
Strache scheint sich dessen nicht bewusst zu sein, dass er das als Person des öffentlichen Lebens so nicht trennen kann - zumal, wenn er im Suff Länge mal Breite ankündigt, seine politische Macht weidlich auszunutzen. Das Mindeste wäre doch gewesen, vorab schnell den Namen jener Dame zu googeln, der er Stunden später offenbar im Zustand schwerer Alkoholisierung die Übernahme der "Kronen Zeitung" und die Gründung eines neuen Bauunternehmens wie der STRABAG ans Herz legt.
Dann hätte er gemerkt, dass die Dame Fake ist. Genauso schlimm, wenn nicht schlimmer als das unerträgliche Proll- und Macho-Gehabe Straches ist also die demonstrierte Inkompetenz und Dummheit vor dem Besäufnis. Nebenbei bemerkt: Das im Video demonstrierte Mitläufertum von Gudenus ist auch nicht zu ertragen.
Was sagte Strache über Bundeskanzler Kurz, sexuelle Vorlieben und Drogenkonsum?
Noch interessanter dürften die von "Spiegel" und "Süddeutscher Zeitung" noch zurückgehaltenen Video-Sequenzen sein: Ein Journalist, der das ganze Material gesichtet hat, sagte ja gestern bereits, dass Strache auch über die Homosexualität seiner politischen Kollegen, über deren Drogenkonsum und sogar darüber, wo diese ihre Drogen einkaufen, offen gesprochen hat. Heute entschuldigte sich Strache in seiner Rücktrittsrede mit folgenden Worten:
Ich stehe nicht an, all jene um Entschuldigung zu bitten, die ich damit in Misskredit gebracht habe und mit meinen unbedachten Äußerungen auch gekränkt und beleidigt habe. Und auch den jetzigen Bundeskanzler, über den ich damals auch unüberprüfte schmutzige Gerüchte auch besprochen und gestreut habe. (Heinz-Christian Strache)
Das Thema macht seit einer Stunde nun auch in österreichischen Medien die Runde.
Die Geschichte hat womöglich noch viel mehr Sprengstoff.
Stefan Weber ist Medienwissenschaftler und Publizist aus Salzburg. Er hat als "Plagiatsjäger" Plagiate mehrerer österreichischer Politiker aufgedeckt, u.a. von Ex-Wissenschaftsminister Johannes Hahn und Ex-Landesrat Christian Buchmann. Jüngstes Buch von ihm aus der Reihe Telepolis: "Roboterjournalismus, Chatbots & Co. Wie Algorithmen Inhalte produzieren und unser Denken beeinflussen", 2018.