"Ich denke, dass Linux noch als Sieger hervorgehen wird"
Jon "Maddog" Hall über Software-Patente, Microsoft und die seltsam geringe Verbreitung von Linux-Desktop-Betriebssystemen
Linux ist neben Wikimedia und Mozilla eines der großen Projekte, die der Amazon-Apple-Facebook-und-Google-Welt ein offenes und freieres Internet entgegensetzen wollen. Während der Firefox-Browser (Mozilla) und Wikipedia längst beim Mainstream-Nutzer angekommen sind, spielt sich die Verbreitung von Linux-Betriebssystemen auf PCs und Laptops bei weit unter 5% ab. Jon "Maddog" Hall von der Organisation Linux International hält weltweit Vorträge über Linux, unter anderem hat er auf der Berliner Konferenz Campus Party über das ökonomische Potenzial von FOSS (Free and Open Source Software) geredet. Telepolis hat mit Hall über das Ökosystem Linux gesprochen, über Software-Patente, Microsoft und über die seltsam geringe Verbreitung von Linux-Desktop-Betriebssystemen.
Auf welche Art verdienen Leute mithilfe von Linux Geld?
Jon Hall: Alle Jobs, die mit proprietärer Software gemacht werden, können auch mit Open-Source-Software erledigt werden. Personen können beispielsweise dafür bezahlt werden, dass sie die Software für einen Kunden installieren, sie können Code schreiben, um die Software in ein System einzupassen, und sie können als Berater arbeiten, der sagt: "Ich denke, wenn Sie diese oder jene Software verwenden, kann Ihr Unternehmen Geld sparen."
Was ist der Unterschied zwischen freier und proprietärer Software?
Jon Hall: Der Vorteil von freier Software ist: Ich kann die Programme selbst verändern. Mit proprietärer Software ist das nicht möglich. Selbst wenn ich den Quellcode habe, habe ich nicht das Recht, ihn zu verändern. Das heißt, dass sich Open-Source-Software besser an individuelle Bedürfnisse anpassen lässt - und damit der Nutzen und der ökonomische Wert größer als bei proprietärer Software ist.
Linux ist ein Teil der großen Open-Source-Welt und gleichzeitig ein eigenes, riesiges Ökosystem. Wie würden Sie die Makrostrukturen beschreiben?
Jon Hall: Linux selbst ist nur der Kern des Betriebssystems. Der Linux-Kernel besteht aus vermutlich drei oder vier Megabytes Code. Dieses Ganze, das die meisten Leute meinen, wenn sie an Linux denken, ergibt aber mindestens acht oder neun DVDs mit Code.
"Ein dezentrales Ökosystem"
Verschiedene Schichten, Organisationen und Firmen machen dieses "Ganze" aus. Wie soll man sich das Ökosystem vorstellen?
Jon Hall: Es ist sehr dezentral. Linus Torvalds hat den Kernel entwickelt. Dann haben sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen begonnen, den Kernel und andere Open-Source-Software zu nehmen und sie zu Distributionen zusammen zu fügen, also zu funktionierenden Betriebssystemen für Desktop, Server oder die mobile Nutzung. Es kann sich dabei um eine Firma handeln wie bei Red Hat, Suse oder Ubuntu, aber auch um eine völlig frei organisierte Gruppe wie Debian. Dann gibt es viele andere kleinere oder größere Distributionen, Initiativen und Projekte. Und natürlich ist die Free Software Foundation mit dem GNU-Projekt ein wichtiger Teil des Linux-Ökosystems. Von dort stammen viele wichtige Tools.
Welche Rolle spielt Linus Torvalds heute?
Jon Hall: Linus ist immer noch der Architekt des Kernels, und er leitet ein Team von Leuten, die sich mit verschiedenen Teilaspekten des Kernels beschäftigen.
Wikimedia und Mozilla sind Organisationen, die für zentrale Aufgaben zuständig sind. Die Linux Foundation scheint eine vergleichbare Organisation zu sein. Was macht Ihre Organisation, Linux International?
Jon Hall: Wir machen Marketing für Linux. Es ist sehr niedrigschwellig, weil wir nur wenig Geld haben. Ich spreche zum Beispiel auf Konferenzen über Linux oder schreibe Artikel für Medien.
Wie viele Leute arbeiten für Linux International?
Jon Hall: Nur ich.
Wovon leben Sie selbst?
Jon Hall: Ich bin Berater für Open-Source-Software. Das Marketing für Linux mache ich in meiner Freizeit. Das ist mein Beitrag für die Open-Source-Bewegung.
Einen Laptop ohne Windows kaufen?
Ein Phänomen würde ich gerne mit Ihnen diskutieren, ich nenne es das "Linux Paradox": Linux-Betriebssysteme für Desktops haben einige klare Vorzüge, sie haben beispielsweise weniger Probleme mit Viren haben oder die Nutzung freier Software "fühlt" sich besser an. Zudem kann man Geld sparen, wenn man einen Laptop kauft, auf dem nicht Windows installiert ist, ein Argument, dass in kapitalistisch organisierten Gesellschaften in der Regel von Bedeutung ist. Trotzdem ist die Verbreitung von Linux-Desktop-Betriebssystemen erstaunlich niedrig. Wie erklären Sie sich das?
Jon Hall: Sie sagen: "ein Laptop ohne vorinstalliertes Window". Das ist nur in Deutschland so einfach möglich.
Wieso kann man nicht neben einem Laptop mit Windows das gleiche Produkt für etwas weniger Geld kaufen, ohne Betriebssystem, aber zum Beispiel mit einer Ubuntu-CD?
Jon Hall: Vor langer Zeit hat Microsoft Verträge ausgehandelt, die in etwa besagen: "Wenn du unser Betriebssystem mit deinem Computer bündelst, das heißt, dass du es auf jedem Produkt jeder Marke verwendest, wirst du es zu einem sehr viel niedrigeren Preis bekommen." Nehmen wir an, dass Windows normalerweise 300 Dollar kostet und dass die Firmen nur 35 Dollar dafür zahlen müssen, wenn sie es auf wirklich allen Produkten installieren. Das ist eine sehr große Ersparnis. Wenn sie es aber statt dessen nur mit, sagen wir, 70% der Geräte bündeln, kann es sein, dass sie doppelt so viel zahlen müssen oder vielleicht sogar die kompletten 300 Dollar. Desktop-Computer kosten insgesamt 400 oder 500 Dollar. Aus dem Grund ist es sehr wahrscheinlich, dass die Firmen Windows tatsächlich auf allen Geräten installieren. Das ist es, was die Verträge verlangen.
Software-Patente: nicht nur schlecht, sondern böse
Welche Rolle spielen Software-Patente im Verhältnis zwischen dem Linux-Ökosystem und Microsoft? Einige Firmen zahlen Lizenzgebühren, weil ihre Software auf Linux basiert und Linux-Funktionen nutzt, für die Microsoft Patente angemeldet hat.
Jon Hall: Ich dachte eine Weile, dass Software-Patente einfach nur schlecht sind, aber mittlerweile halte ich sie für böse. Es gibt einige Firmen, die sich entschieden haben, Geld an Microsoft zu zahlen, weil sie einen Rechtsstreit verhindern wollen. Das heißt allerdings nicht automatisch, dass Linux gültige Microsoft- Patente nutzt. In den Vereinigten Staaten kann jeder jeden verklagen. Und wenn man verklagt wird, kostet das viel Geld, auch wenn man unschuldig ist. Nehmen wir an, Microsoft kommt zu einer Firma wie TomTom und sagt: "Wir glauben, dass Sie einige unserer Patente nutzen. Ja, vielleicht tun Sie das." TomTom kann nur einen Rechtsstreit verhindern, wenn sie sagen: "Okay, wir zahlen X Cent an Microsoft, für jedes TomTom-Produkt, das wir verkaufen."
Sind diese Firmen davon überzeugt, das Microsoft vor Gericht gewinnen würde?
Jon Hall: Nein, aber der Rechtsstreit würde sehr viel mehr Geld kosten, und es gäbe die Möglichkeit, dass sie verlieren. Da zahlen sie lieber die X Cent. Die entscheidende Frage ist: Wieso hat Microsoft noch nicht die Firma hinter der größten Linux-Distribution, das US-Unternehmen Red Hat, verklagt? Ich glaube, weil sie wissen, dass sie verlieren könnten. Red Hat würde ihnen kein Geld zahlen, sie würden die Sache vor Gericht bringen. Und wenn Microsoft unterliegen würde, wäre das auch für TomTom und andere Firmen interessant, die Lizenzgebühren zahlen.
Und es gibt einen weiteren Grund: Red Hat hat selbst Software-Patente, die sie sowohl selbst eingereicht als auch aufgekauft haben. Wenn Microsoft juristisch gegen Red Hat vorgeht, könnte Red Hat im Gegenzug Microsoft verklagen. Und es wäre möglich, dass Microsoft am Ende mehr Geld zahlen muss als umgekehrt, da Red Hat Patente gekauft hat, die Microsoft betreffen.
Bei der Nutzung von Software-Patenten wie auch beim Umgang mit Geräte-Herstellern betreibt Microsoft eine sehr, sagen wir, aktive und schlaue Geschäftspolitik. Die Position von Linux-Distributionen ähnelt somit einer David-gegen-Goliath-Konstellation. Die Geschichte der Menschheit und vor allem die des Internet hat aber gezeigt, dass David trotzdem oft gewinnt, so mächtig der "Gegner" auch ist.
Jon Hall: Ich denke auch, dass Linux noch als Sieger hervorgehen wird.
Alternative Gründe: kein Business-Background, zu viele Gesichter und kein Geld für Marketing
Lassen Sie uns andere Faktoren betrachten, die die geringe Verbreitung von Linux-Desktop-Betriebssystemen erklären könnten. Der erste lautet: Das Linux-Ökosystem mit all seinen verschiedenen Elementen geht auf einen Techie zurück. Wikimedia und Mozilla hingegen haben beide einen Business-Hintergrund. Mozilla geht aus einem kommerziellen Unternehmen hervor, und der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales ist von Hause aus Internet-Unternehmer. Vielleicht braucht auch ein nicht-kommerzielles Projekt wie Linux ein bisschen Business-Kultur und Geschäftsleute im Hintergrund, um groß zu werden. Was halten Sie von der Erklärung?
Jon Hall: Das ist ein interessanter Gedanke, aber: Der Red-Hat-Gründer Bob Young hat eine lange Business-Karriere hinter sich. Red Hat hatte einen sehr erfolgreichen Börsengang, und im letzten Jahr haben sie mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz gemacht. Und es gibt noch einige andere erfolgreiche Beispiele wie die aus Deutschland stammende Distribution Suse oder Android, das auf dem Linux Kernel aufbaut und im Markt der mobilen Betriebssysteme extrem erfolgreich ist. Android ist freie Software und wird federführend von Google entwickelt. Es gibt einige Leute, die meinen, dass Google etwas von Geschäften versteht.
Eine andere Erklärung könnte sein: Linux-basierte Desktop-Betriebssysteme haben zu viele "Gesichter": mit Red Hat, Ubuntu, Debian und Suse gibt es vier große Distributionen und zusätzlich viele kleinere. Diese Vielfalt ist auf der einen Seite für Nutzer positiv, auf der anderen Seite bedeutet sie aber auch, dass es kein einheitliches Gesicht gibt. Es gibt keine globale "Marke", um in Marketing-Begriffen zu sprechen."
Jon Hall: Das könnte teilweise zutreffen, obwohl zumindest Leute im Unternehmensbereich mittlerweile wissen, was alles zu Linux gehört. Die Linux Foundation und Linux International können Linux als Desktop-Betriebssystem nur allgemein vermarkten. Wenn wir zum Beispiel Red Hat vermarkten würden, würde Suse protestieren und anders herum.
Wie sehen Sie die Rolle der Anwendungsprogramme? Ein bekanntes Problem ist, dass einige Spiele und Programme nicht auf den Betriebssystemen laufen und somit Spiele-Fans und Nutzer spezieller Software Nachteile haben. Für die gängigsten Funktionen gibt es Linux-kompatible Programme, wie OpenOffice oder Gimp. Doch Leute, die viel mit Texten arbeiten, schrecken oft vor Linux zurück, da sie Open Office für nicht gleichwertig mit dem Microsoft-Programm Word halten …
Jon Hall: Es gibt verschiedene alternative, freie Textverarbeitungsprogramme, zum Beispiel KOffice. Zudem ist Open Office sehr viel besser geworden. Das eigentliche Problem ist: bei proprietärer Software wird ein großer Teil des Geldes für Marketing ausgegeben. Jedesmal wenn Microsoft eine Windows-Kopie verkauft, geht ein beträchtlicher Teil davon in Marketing-Maßnahmen. Linux und andere Open-Source-Projekte nehmen offen gesagt nicht genug Geld ein, um da auch nur annähernd mitzuhalten.