Ich kann drei Doshas

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Wir meditieren mit einem buddhistischen Mönch aus dem benachbarten Kloster. Das Leid kommt in die Welt, so sagt er, weil wir unseren Ideen, Vorstellungen, Wünschen und Gedanken überhaupt anhaften. Kurzzeitig einverstanden. Wir preisen den Atem, dann ein Armband für jeden, Love & Kindness, wir sind dabei.

Im Jahr 2005 schaute sich Jongbae Park von der Harvard Medical School in einer Übersichtsarbeit drei placebokontrollierte Studien genauer an, die ayurvedische Methoden bei rheumatischen Erkrankungen angewendet hatten. Zwei Experimente zeigten danach keine Wirkung, die über Placebo hinaus ging, die dritte Studie wohl.

Das Problem vieler Ayurveda-Studien ist die wissenschaftliche Bewertung der Wirksamkeit. Im Westen treten neue Arzneimittel gegen Scheinmedikamente an, Einläufe oder Massagen sind allerdings nicht scheinbar zu verabreichen, placebokontrollierte Studien schwer möglich. Möglich wären Vergleichsstudien, die ein etabliertes Medikament gegen ein ayurvedisches Behandlungspaket antreten lässt. Einen reproduzierbaren Studienaufbau zu gewährleisten ist allerdings schon bei der Anwendung nur eines Wirkstoffes komplex, dies bei einer ayurvedischen Kur mit ihren individuell abgestimmten Arzneimischungen, Massagen und Nahrungsaufnahmen zu garantieren nahezu unmöglich.

So greifen Forscher immer nur Bestandteile heraus, was wiederum dem ganzheitlichen Ansatz der Kur widerspricht. Die kurze Liste der klinisch kontrollierten Studien zu Ayurveda zeigt daher vor allem eines: Die exotischen Natursubstanzen und Massagen tun sich schwer damit über den Placeboeffekt hinaus zu wachsen. Zur handfesten Empfehlung von Ayurveda will sich kaum ein Forscherteam durchringen.

Für einen ayurvedischen Arzt ist es im Gegenzug kein Problem, dass er wahrscheinlich einen anderen Therapieansatz wählt als seine Kollegen. Der unbedingte Wille zur Standardisierung ist ihm fremd. Dies gibt einerseits die gewünschten Freiheitsräume im Eingehen auf den einzelnen Patienten, andererseits erschwert es den Vergleich und öffnet die Tür für unsauberes Vorgehen.

9. und 10. Tag

Ein magischer Trunk am frühen Morgen, danach Stuhlgänge im Viertelstundentakt. Die Ausleitung soll Giftstoffe aus dem Körper spülen. Innere Reinigung macht schlechte Laune, ich vegetiere auf dem Zimmer, meine Frau schweigt dazu. Muss sie, denn sie ziert ein Turban, gestern Stirnguss, heute Schweigen. Nicht Lesen, kein Sonnenbad, nichts tun. Die eine in Zwangsmeditation, der andere ständig auf Klo, quasi ein Irrenhaus.

Ein Fragebogen mit Zeitpunkt und Beschaffenheit des Stuhlgangs ist auszufüllen. Unter "Smell" notiere ich nach dem zweiten Mal : "Not bad", nach dem fünften Mal "Like teen Spirit". Matter Spaziergang durch die Anlage. Ich treffe eine Frau aus Baden-Würtenberg, die seit Jahren an Diabetes leidet und sich zum dritten Mal hier behandeln lässt. "Auch Wochen nach der Rückkehr sind meine Werte noch besser", sagt sie.

Diabetes ist auch in der ayurvedischen Medizin bekannt. Therapieziel ist hier, wie immer, die Korrektur der aus dem Gleichgewicht geratenen Doshas. Christian Kessler vom Immanuel Krankenhaus in Berlin hat 25 Typ-2-Diabetes Studien untersucht. Er kam einerseits zu dem Ergebnis, dass die mehr als 45 verschiedenen Behandlungsformen es erschweren, qualitativ hochwertige Studien aufzusetzen, die den Ansprüchen der evidenzbasierten Medizin genügen. Andererseits konstatierte er eine "große Effektgröße" für einige der Kräutertherapien.

11. und 12. Tag

Knetmassenring auf die Brust, warmes Öl rein und raus, ein unendlich währender Schöpfungsvorgang. "Was soll das?", denke ich. Später fühle ich mich, als ob ein Chirurg eine Brustöffnungsklammer gesetzt hätte. Freies Atmen, breite Brust, frappierend. Konsultation bei Frau Doktor.

Ich teile meine Begeisterung mit und frage nach Studien. Es folgt eine kurze Diskussion über den Sinn von Doppelverblindung und Placebokontrolliertheit, Ansätze, mit denen man hier vor dem Hintergrund von 1.000 Jahren Anwendungshistorie nicht agiert. Westliches Konzept, nicht schlecht, so höre ich raus. Man sammelt mittlerweile die Patientenakten und hat begonnen, sie systematisch auszuwerten.

Später erfahre ich vom indischen Gesundheitsministerium, dass es seit Jahrzehnten klinische Studien finanziert und sich um die Standardisierung der eingesetzten Substanzen bemüht. Unter ayushportal.ap.nic.in sind Tausende von ayurvedischen Studien erhältlich, darunter viele durchaus randomisiert und placebokontrolliert. Bei wem es besonders gut hilft, will ich wissen. Zuckerkranke, Rheumatiker, Schmerzpatienten, sagt Frau Doktor. Die Frau strahlt mit jedem Satz enorme Kompetenz aus, jetzt will ich es wissen und berichte von HLA-B27-Eiweißen auf meinen Körperzellen. Gelenkschmerzen können die Folge sein, weiß sie. Das ist profunde Schulmedizin, die Dame lässt sich nicht ins Bockshorn jagen.

Über die Ausbildungsqualität der ayurvedischen Schulungseinrichtungen auf Sri Lanka existieren keine Daten. Das indische System gilt als heterogen. Rund 240 Colleges bietet auf dem Subkontinent zur Zeit den ayurvedischen Bachelor-Abschluss an, mehr oder minder gut kontrolliert durch das Gesundheitsministerium. Dieses hat diverse Vorschriften und Ausbildungsregularien erlassen, die nicht immer befolgt werden.

Die Hindu-Universität in Varanasi überprüfte 2011 in einer Stichprobe die Ausbildungsqualität von über Tausend Absolventen und Lehrern an 32 Colleges. Studienleiter Kishor Patwardhan spricht von "ernsthaften Mängeln" im System. Ob in den vielen Ayurveda-Ressort in Indien und auf Sri Lanka gut ausgebildete Ärzte zum Einsatz kommen, ist für den Besucher kaum kontrollierbar. So ist man auf anekdotische Berichte angewiesen, informiert sich eher in Urlaubscheckportalen und achtet auf den wie auch immer aufgebauten Ruf einer Einrichtung.

12. und 14. Tag

Stirngusstag, sagenumwoben bei uns Heimbewohnern. Das Öl läuft und läuft über meinen Kopf, ein ewiger Fluss der Wärme. Skalpierungsgefühl. Dann ist es soweit, Turban auf und Redeverbot. Meditieren dürfe ich, sagt die Ärztin. Danke. Eingeschränktes Essen.

Später erwische ich mich dabei, wie ein bis dahin unbekannter Teil meiner selbst ein komplettes Räucherstäbchen beim Abbrennen beobachtet und den wabernden Schwaden folgt. Ich bilde mir dabei ein leises Anklopfen an Kräfte jenseits zur Zeit messbarer Sphären ein. Die westliche Medizin stände vor der Frage, ob es möglich sei, diese Sphären zu inkorporieren, um Gesundheitsprozesse, Achtung: "ganzheitlich", zu begreifen.

Jeden Morgen Yoga, gutes Essen, freundliche Mitmenschen und kein Stress - diesen Faden in Deutschland weiter zu spinnen, darf eine Aufgabe sein. Am übernächsten Tag ist wieder volle Buffetleistung erlaubt. Essen ist hier Medizin, weiß ich nun, hau rein ist Tango. Fröhliche Tage in der Gesundheitsdiktatur, es wird das Ideal des vollständigen Wohlbefindens gepredigt. Ich bin munter in alle Fallen getappt, die das System aufstellt. Flug in die Instant-Selbstoptimierung, um sich daheim doch wieder dem Stress anheim fallen zu lassen, Kreisen um sich selbst, ohne die einheimische Umwelt an sich ran zu lassen.

Ayurveda-Medikamente dürfen daheim nur als Nahrungsergänzungsmittel importiert und verkauft werden. Vor einigen Jahren sorgten mit Schwermetallen verseuchte Chargen für Schlagzeilen. Von der Zulassung als Arzneimittel sind die Substanzen und Substanzmischungen weit entfernt, Patente sind nicht zu vergeben, die nötigen Studien will keine Universität finanzieren. Die Medikamente wären eh nur ein Bestandteil eines Systems, das in einer falschen Ernährungs- und Lebensweise die Hauptursache für Krankheiten und Missstimmungen sieht.

Um hier auf den grünen Zweig zu kommen, müssen nicht nur Qualität und die Art der Zubereitung der Nahrungsmittel stimmen, eine ebenso wichtige Rolle spielt die Kombination und zu welcher Tageszeit die Nahrung aufgenommen wird. So sollten beispielsweise in jeder Mahlzeit die sechs Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, scharf, bitter, zusammenziehend enthalten sein. Insgesamt ergibt sich ein alltagserfüllendes Konstrukt, dessen Befolgung enorme Disziplin und Zeitaufwand beinhaltet. Sicherlich ist dies eine Chance für das erschöpfte Selbst in den westliche-urbanen Strukturen.

Warum aber nun diese Diskrepanz? Auf der einen Seite steht eine Lehre, die ihre Wirksamkeit haben muss, ansonsten wäre sie nicht seit Jahrhunderten in Sri Lanka und Indien verbreitet. Dazu gesellen sich die vielen europäischen Ayurvedaurlauber, die Positives erleben und berichten. Auf der anderen Seite stehen die Standards der westlichen Medizin und Pharmazie.

Diese hat nach wie vor enorme Probleme, die Wirksamkeit der Behandlung zu bestätigen und subjektive Erlebnisse in objektive Verallgemeinerungsfähigkeit zu überführen. Die Ursachen für diesen Widerspruch sind nicht offensichtlich. Eine Erklärung liegt sicherlich in der erfahrenden Zuwendung. Mittlerweile wird allgemein eingestanden, dass die Qualität einer Therapie nicht nur auf dem, was getan wird, beruht, sondern auch darin, aus welcher Motivation und mit welchem Anspruch sie vollzogen wird. So gesehen ist der gemeinhin gescholtene Placeboeffekt unabdingbarer Bestandteil einer Behandlung. Damit sind Faktoren wie Beziehung und Ambiente angesprochen.

Es ist nicht allein die Technik, die Methode, sondern auch das Beziehungsgeschehen zwischen Arzt und Patient, das den therapeutischen Erfolg beeinflusst. Viele Menschen empfinden die Schulmedizin als entpersonalisiert, ein Eindruck, der angesichts des ökonomischen Drucks auf Praxen und Krankenhäusern durchaus real ist. Die sogenannte "Alternative Medizin" setzt an genau dieser Stelle an. Der Therapeut wendet sich einer einzigartigen Person zu und wählt einen Behandlungsansatz, der genau für diese Person geeignet scheint. Der Patient wiederum fühlt sich ernst genommen und ist zur Mitarbeit im Heilungsprozess bereit. Die Arzt-Patient Beziehung wird dann nicht mehr als tote Funktion empfunden, sondern etwas Lebendiges, hier verstanden als System, das offen für Eigensinn und Überraschungen ist.

Nachhaltig erfolgreich ist Ayurveda abseits von Urlaubstherapien vor allem da, wo die inneren und äußeren Kräuter- und Ölanwendungen mit einer Änderung des gesamten Ernährungs- und Lebensstils einher gehen, die über einen längeren Zeitraum von einem Arzt begleitet werden.

Drei Wochen später

Die Voodoo-Kur wirkt immer noch nach. Bis auf die hartnäckigen Gesichtspickel fühle ich mich ausgesprochen gut. Koriandertee und dunkle Pillen wurden mitgegeben. Wundersam, wie sehr ich mich als ansonsten pharmakritischer Mensch auf den ständigen Pilleneinwurf einlasse.

Freunde schütteln den Kopf ob meiner Begeisterung, ich kann sie beruhigen. Gebt mir nur etwas Zeit und ich bin wieder einer von euch: rauchend, wurstfressend, muffelig.