Idlib: Das Spiel der Türkei mit den Dschihadisten
Die al-Qaida-Abspaltung HTS kooperiert nun mit FSA-Milizen, die mit der Türkei verbündet sind. Von dort kommen auch Waffen
Die "Mudschahedin" schicken Botschaften aus der Idlib/Hama-Zone: Videoclips zeigen, wie sich die syrischen Oppositionskämpfer über die abgefeuerten Lenkgeschosse aus ihren TOWs freuen, die im leichten Zickzackkurs auf ihre Gegner, mutmaßlich syrische Soldaten, zufliegen und sie dann treffen, es folgt ein "Allahu Akbar"-Jubel.
Übermittelt werden die Videos von Ehsani2, einem syrisch-amerikanischen Beobachter des Geschehens in seinem Herkunftsland, der über gute Beziehungen zu regierungsnahen Kreisen in Damaskus verfügt und sich eindeutig gegen die Dschihadisten positioniert, die für ihn Kriegsgegner der Regierung, aber keineswegs eine politische Alternative sind. Entsprechend deutlich ist seine Einschätzung, was ihm bei denen, die vor allem die repressive Herrschaft Assads im Blick haben, das Label "Assadist" eingetragen hat.
Ungeachtet der den Syrienkrieg begleitenden Metaebene - aus welchem Blickwinkel wird berichtet, wann wird man Mitwirkender propagandistischer Narrative? - gibt es Hintergründe zu den Kämpfen in Idlib und im Norden Hamas, auf die Ehsani2 hinweist, die auch von anderer Seite berichtet werden. Sie erhellen Zusammenhänge, die man schon ahnen konnte, die sich aber jetzt genauer zeigen.
Kriegsrat von al-Nusra bis zur Nationalen Befreiungsfront
So haben sich kürzlich Mitglieder von Milizen zu einem Kriegsrat zusammengesetzt, bei denen Assad-Gegner stets darauf pochten, dass sie doch nicht alle in den "al-Qaida-Sack" gesteckt werden können, weil es doch Unterschiede zwischen Dschihadisten und Salafisten, zwischen al-Qaida und syrischen Revolutionären, gebe.
Bei dem Treffen waren, wie der oppositionsnahe Syrian Observer aktuell berichtet, der Anführer der Miliz Hay'at Tahrir asch-Scham (HTS) - im Kern die Fortführung der al-Nusra-Front -, al-Golani, anwesend sowie der Chef der Miliz Sakur asch-Scham, der gegenwärtige wie auch der frühere Chef der Ahrar asch-Scham (meist Ahrar al-Sham geschrieben) und eine Anzahl von Kommandeuren im Feld.
Interessant ist einmal, dass das Bündnis zwischen al-Nusra (damals unter dem Namen Jaish al-Fatah) und Ahrar al-Sham schon einmal Geschichte schrieb in Idlib, als die beiden damals dominierenden Milizen im Frühjahr 2015 Idlib eroberten - die Türkei hat angeblich bei den Allianzen mitgestaltet. Die Eroberung setzte der syrischen Regierung erheblich zu, sie führte dazu, dass Russland um Hilfe gebeten wurde, das im September 2015 militärisch eingriff.
Zum anderen ist interessant, dass das Treffen nicht nur die ideologischen Grenzen zwischen den Dschihadisten der HTS und den Salafisten von Ahrar al-Sham erneut "überbrückt", sondern auch die zwischen den Extremisten und der sogenannten FSA, deren Milizen in Berichten meist als Rebellen-Opposition dargestellt wird, die relativ moderat sein soll. Anwesend waren auch Vertreter der Nationalen Befreiungsfront (National Front for Liberation), die den FSA zugerechnet wird - und die seit längerer Zeit ganz offen mit der Türkei kooperiert.
Dass sich Vertreter von Milizen aus allen drei "Sparten" getroffen haben, um darüber zu beraten, wie das weitere militärische Vorgehen bei der 15.000-Einwohner-Stadt Kafr Naboudah im Norden der Provinz Hama aussehen soll, stellt erneut Fragen zur Rolle der Türkei beim "syrischen Dschihad", der manchmal auch als "sunnitische Revolte" gelabelt wird, um davon abzulenken, dass das gemeinsame Ziel die Errichtung einer politischen Ordnung ist, die von der Scharia bestimmt wird.
Neues Kriegsgerät aus der Türkei
Laut Informationen von Reuters gibt es Erklärungen von "Kommandeuren der Rebellen" im Nordwesten Syriens, wonach neues Kriegsgerät aus der Türkei gekommen sei: Gepanzerte Fahrzeuge, Grad-Raketenwerfer und TOWs. Dies habe dazu beigetragen, Vorstöße der syrischen Armee zu kontern und - kurzzeitig - die Stadt Kafr Naboudah zurückzuerobern.
Ergänzt wird die Information über Waffenlieferungen mit der Aussage einer anonymen westlichen Geheimdienstquelle, wonach die Lieferung der TOWs durch "mainstream rebels" grünes Licht aus Washington bekommen habe.
Als gesichert gilt, dass die TOW-Angriffe und auch andere militärische Aktionen der Milizen der syrischen Armee in der jüngsten Zeit empfindliche Verluste beigebracht haben. Auch die Eroberung von Kafr Naboudah am Wochenende durch die syrische Armee sei trotz russischer Luftunterstützung für die syrischen Truppen verlustreich gewesen, wird berichtet. Das russische Militärkommando in Syrien war zuletzt von Angriffen auf ihre Flugzeugbasis Khmeimim heimgesucht worden, auch zivile Ziele in Syriens "sicherer Zone" waren von Geschossen der Milizen getroffen worden.
Versorgungswege blockiert
Spekuliert wird nun darüber, welche Rolle die Türkei bei diesen Geschehnissen spielt. Aus kurdischer Sicht ist eindeutig, dass der türkische Geheimdienst MIT im Hintergrund wichtige Fäden zieht und die dschihadistischen Gruppen unterstützt - auch bei der Eroberung von Kafr Naboudah, die den Kämpfen am Wochenende vorangegangen war.
Die Stadt ist strategisch von einiger Bedeutung. Sie liegt in der Nähe der M5, der großen Verkehrsader, die Damaskus mit Aleppo verbindet. Für die Regierung in Damaskus ist die Kontrolle darüber sehr wichtig. Das Land leidet schwer unter den Sanktionen. Solange die Straße für Versorgung, Handel und wohl auch auch für militärische Bewegungen nicht offen ist, werden die Bedingungen immer nur härter.
Die Türkei hatte im Sotschi-Abkommen mit Russland im Herbst letzten Jahres vereinbart, dass sie dafür sorgt, dass beide großen Versorgungswege, die M4 und die M5 von oppositionellen Milizen freigemacht werden. Die Regierung in Ankara hat aber weder diese Bedingung aus der Abmachung zwischen Erdogan und Putin erfüllt noch diejenige, die einen Abzug der Dschihadisten aus der "Deeskalationszone" in Idlib fordert.
Ganz im Gegenteil ist es dazu gekommen, dass der al-Qaida-Abkömmling HTS seine Herrschaft in Idlib ausgebaut hat und eine Art Emirat mit einer "Regierung des Heils" errichtet hat mit, wie man sieht, breiter Unterstützung von Milizen, die auch mit der Türkei kooperieren.
Die Türkei zeigt ihren Einfluss
Die Türkei zeige gerade ihre Macht, heißt es in Berichten, die einen "Showdown" zwischen der Türkei, Russland und den USA als Hintergrundbild aufziehen.
Russland wolle die Türkei auf ihre Seite ziehen, um deren Distanz zu den USA und zur Nato auszubauen. Die USA würden dagegen die Türkei mit der Aussicht locken, dass ihr im Nordosten Syriens eine militärische Präsenz gestattet wird. Aus Washington kamen zuletzt ultimatumsähnliche Forderungen, dass sich Ankara bald doch noch gegen den Kauf des russischen Luftabwehrsystems S-400 entscheiden muss, um nicht aus dem Rüstungsgeschäft mit F-35-Kampfjets geworfen zu werden.
Die Türkei hält am S-400-Kauf fest, wie Erdogan mehrmals erklärte. Aber das Schlamassel in Idlib ärgert die USA im Gegensatz zu Russland keineswegs. Es passt gut zur Zermürbungsstrategie, die Washington und seine Nato-Verbündeten gegen die Regierung in Damaskus fahren.
In Ankara wird es wahrscheinlich aber auch Überlegungen dazu geben, ob man mit der Strategie, die Kämpfe gegen die Milizen für die syrische Regierung möglichst teuer zu machen, nicht auch von dieser Seite etwas bekommen kann.