Ikonos und der Niedergang der Maya-Kultur

Wissenschaftler nutzten kommerziellen Spionage-Satelliten, um ein großes Mysterium der Archäologie zu lösen

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Sie kamen aus dem Dunkel der Geschichte und verschwanden auf obskure Weise ebenso wieder. Warum sich die Maya-Kultur nach einer intensiven Blütezeit so lautlos aus der Geschichte verabschiedete, wird innerhalb der Altertumsforschung immer noch kontrovers diskutiert: mal ist von einem verheerenden Erdbeben, von Raubbau am Regenwald, einem ökologischen Kollaps, einer tödlichen Krankheit, einer plötzlichen Klimaveränderung oder gar einer Invasion fremder Völker die Rede. Ein NASA-Forscher, interessanterweise der einzige angestellte Archäologe der US-Raumfahrtbehörde, glaubt nunmehr, unter Einbeziehung von Bildmaterial des Spähsatelliten Ikonos, des Rätsels Lösung gefunden zu haben.

Manche Kulturen nehmen das Geheimnis ihres Unterganges buchstäblich mit ins Grab. Vielleicht wäre das kulturelle Erbe der Maya-Zivilisation für alle Zeit im Strom der Zeit verloren gegangen, hätten nicht in demselbigen einige historische Quellen beharrlich dem nagenden Zahn der Zeit getrotzt. Hätten die im nördlichen Tiefland der Halbinsel Yucatan (heutiges Mexiko, Guatemala, Belize) inmitten des Urwalds eingebetteten pittoresken Pyramiden, Paläste, öffentlichen Versammlungsplätze, Steinmasken, Wandgemälde, Zisternen, Keramikprodukte und Schrifttafeln als letzte Zeugen einer einst blühenden Hochkultur selbst das Zeitliche gesegnet, wäre die Epoche der Mayas in den Annalen womöglich noch nicht einmal mit einer Randnotiz bedacht worden.

Scheinbar in Nichts aufgelöst

Doch die scheinbar stummen Relikte, die inmitten tropischer Vegetation die Zeiten überdauerten und die schon im 16. Jahrhundert die spanischen Truppen während ihrer Eroberungs- und Ausbeutezügen durch Süd- und Mittelamerika in den Regenwäldern von Yucatan als erste Vertreter der abendländischen "Kultur" zu Gesicht bekamen, waren aufgrund ihrer bewegten Vergangenheit gesprächiger, als es den Anschein hatte. Sie erzählten von einer einstmals kulturell hochstehenden, friedliebenden, mit der Natur im Einklang lebenden Zivilisation, die eine Sensibilität für den Sternenhimmel hatte und wohl deshalb ein effizientes Kalendersystem kreierte. Von einer Gemeinschaft, die das Ballspiel und eine höchst komplizierte Schrift erfand, aber dennoch Ende des 9. Jahrhunderts aus unerklärlichen Gründen - quasi auf dem Höhepunkt ihrer Blütezeit - plötzlich und unauffindbar aus der Geschichte verschwand. Praktisch von einer Generation zur nächsten löste sich das Maya-Volk scheinbar in nichts auf. Wuchs die Bevölkerungszahl im 8. Jahrhundert noch bis auf 15 Millionen Menschen an, kam es ein Jahrhundert später - zumindest aus der Sicht der Demographen - zum Kollaps. Was zurück blieb von den einstmals blühenden Städten im Tiefland Yucatans waren neben versprenkelten kleineren Menschengruppen verlassene Ruinen und zahlreiche auf Monumenten und Keramiken verewigte Maya-Inschriften, mit denen jedoch die Archäologen, Historiker und Anthropologen lange Zeit nichts anzufangen wussten.

Maya-Ruinen in Guatemala (Bild: NASA/Tom Sever)

Erst als Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts der komplizierte Code der Mayaschrift "geknackt" wurde - bis Ende 1994 konnten die Maya-Forscher ungefähr 80 Prozent der kryptischen Schriftsymbole lesen und verstehen - löste sich der Mythos von den sanftmütigen und friedliebenden Mayas flugs in Luft auf. Nach dem mühseligen Studium der Hieroglyphen-Inschriften sah es nicht mehr danach aus, als hätten verheerende Erdbeben, ein durch Intensivlandwirtschaft und Raubbau am Regenwald bedingter ökologischer Kollaps, eine tödliche Krankheit, plötzliche Klimaveränderungen oder gar eine Invasion von Fremden den Anfang vom Ende der Mayas eingeleitet. Vielmehr waren es die Mayas selbst.

Entzauberter Mythos

Die Entzifferung der in Stein eingravierten und auch auf Papier niedergeschriebenen Bilderschrift der Dschungel-Bewohner entzauberte den Mythos vom harmonischen Bauernvolk und dies auf radikalste Weise. Denn aus der friedfertigen Gesellschaft wurde eine höchst kriegerische, deren Alltag anno dazumal von blutigen Ritualen und grausamen Kriegen bestimmt war. Überlagert wurden die vereinzelten Konflikte von einem tödlichen Dualismus, der zwischen den beiden Supermächten Tikal und Calakmul tobte. Zwischen den Fronten der beiden Großmächte, diesen letzten Endes aber untergeordnet, existierten 50 unabhängige Kleinstaaten, die ständig miteinander im Krieg lagen, sich dabei aber gegenseitig neutralisierten. Die beiden großen Brüder hingegen etablierten durch geschickte Allianzbildungen, Heiratspolitik und militärische Eroberungen ein Gleichgewicht des Schreckens und vermieden so lange Zeit eine direkte Konfrontation.

Ikonos-Satellitenbild der observierten Maya-Region. Die hier zu sehenden dünnen schwarzen Linien interpretieren die NASA-Forscher als Kanäle, die das Maya-Volk zur Bewässerung angelegt hat. (Bild: NASA/MSFC)

"Alle Kriege, die wir finden, brachen zwischen zwei Kleinstaaten dieser beiden Machtblöcke aus. Das waren Stellvertreterkriege", erklärt Nikolai Grube von der University of Texas/Austin, einer der weltweit führenden Maya-Experten, der an der Entzifferung der Maya-Schrift maßgeblichen Anteil hatte. Solange sich die beiden Supermächte die Waage hielten, funktionierte das Ausbalancieren der Kräfte. Doch als Tikal Anfang des siebten Jahrhundert die Konfrontation suchte und über Calakmul siegte, geriet nicht nur das politisch-ökonomische Gleichgewicht aus den Fugen. Vielmehr hatte sich Tikal schlichtweg übernommen, da seine wirtschaftlichen und politischen Strukturen nicht ausreichten, um das entstandene Riesenreich zentralistisch zu regieren und auch zusammenzuhalten. Das Maya-Reich zerfiel - nach dem neuesten Stand der Forschung allerdings nur allmählich. "Es war kein plötzliches Verschwinden, sondern ein langsamer Untergang", verdeutlicht die amerikanische Anthropologin Diane Chase.

Chronischer Nahrungs- und Wassermangel als Ursache

Auf die Suche nach der historischen Wahrheit hat sich auch Tom Sever begeben, der einzige offizielle Archäologe der US-Raumfahrtbehörde NASA. Mithilfe des kommerziellen Satelliten Ikonos untersuchte Sever die im Regenwald von Guatemala eingebetteten Ruinen der Mayas und kombinierte die eingehenden Daten mit den Ergebnissen älterer archäologischer Studien. "Archäologen haben in der Vergangenheit immer wieder darüber diskutiert, ob der Untergang der Mayas durch Trockenheit, Kriege, Krankheit oder einer Reihe von anderen Möglichkeiten ausgelöst wurde", erklärt Sever vom Marshall Space Flight Center (MSFC).

Nun denken wir, dass all diese Faktoren eine Rolle spielten. Aber sie waren nur die Symptome. Die eigentliche Ursache war ein chronischer Nahrungs- und Wassermangel, aufgrund von natürlicher Austrocknung und Entwaldung durch den Menschen.

Für diese These spricht vor allem, dass in der untersuchten Region die Pollen von Bäumen fast komplett verschwunden waren. Demgegenüber waren in den jeweiligen analysierten Bodenschichten nur Pollen von Unkraut vorhanden, was für die Forscher ein deutlicher Hinweis darauf war, dass hier irgendwann einmal eine totale Entwaldung stattgefunden hatte. Es war aber ein Raubbau an der Natur mit fatalen Folgen. Denn ohne Bäume verschlimmerte sich die Erosion und trug fruchtbaren Boden davon. Infolge der Veränderung in der damaligen Bodenbedeckung kam es zu einer Temperaturerhöhung von bis zu sechs Grad. Der Boden trocknete aus und wurde für die Landwirtschaft so gut wie unbrauchbar. Diesen Prozess konnte Bob Oglesby, ein Klimaforscher der NASA und Kollege von Sever im Computerexperiment simulieren. "Die Erhöhung der Temperatur hat auch das Regenverhalten verändert", so Oglesby.

Dürre und Durst setzten Mayas zu

Welche Anstrengungen die Mayas damals unternahmen, das wertvolle Nass ökonomisch zu verteilen und effektiv zu speichern, konnten Sever und sein Kollege Dan Irwin aus den Daten des Ikonos-Satelliten entnehmen. Auf den Bildern sind antike Abfluss- und Bewässerungsgräben in sumpfartigen Gebieten nahe der Maya-Ruinen zu sehen. Lange Zeit gingen Archäologen, die solcherlei Strukturen bis dahin noch nicht via Satellit gesehen hatten, davon aus, dass die Mayas dieses Gebiet einst nicht bewirtschafteten, da auch die heutigen Bewohner die niedrig liegenden Sümpfe (die so genannten "Bajos", das spanische Wort für "Flachland") kaum nutzen. Schließlich sind die Bajos während der Regenzeit von Juni bis Dezember sehr matschig und in der Trockenzeit stark ausgedörrt.

Gleichwohl deuten nach Ansicht der Forscher die Satellitenbilder darauf hin, dass die ausgemachten Kanäle seinerzeit Teil eines Systems waren, das die Mayas entwickelten, um das Wasser in den Bajos zu regulieren. Auf diese Weise konnten sie das Hochland während der feuchten Jahreszeit und die Bajos während der trockenen Saison bewirtschaften und zugleich jedes Jahr aufs Neue bestellen, anstatt neue Gebiete des Regenwaldes abzuholzen und zu verbrennen. Untermauert wird diese Interpretation auch durch ältere und aktuelle Ausgrabungsfunde. Anhand der Analyse menschlicher Knochenreste, die aus dem letzten Jahrhundert vor dem Kollaps stammten, fanden die Anthropologen deutliche Hinweise auf Unterernährung.

IKONOS ist der erste kommerziell betriebene Erdbeobachtungs-Satellit, der Aufnahmen mit einer Detailerkennbarkeit von einem Meter liefert. Seit Ende 1999 kreist er im Orbit. (Bild: Spaceimaging)

Wie dem auch immer gewesen war - irgendwann im ausgehenden 9. Jahrhundert n. Chr. leerten sich die künstlich angelegten Wasserreservoirs der Mayas aufgrund der erhöhten Temperaturen und der damit einhergehenden Trockenzeit. Da das Grundwasser in einer Tiefe von mehr als 150 Meter unerreichbar fern war, wurde der Tod durch Verdursten für die Maya-Kultur immer mehr zur realen Bedrohung. Die Katastrophe, über deren Ursachen wir heute nachdenken und forschen, könnte auf diese Weise nach Meinung der NASA-Forscher so ihren Anfang genommen haben.

Spionagesatellit Ikonos

Ikonos, dem diese hochwertigen Digital-Fotos zu verdanken sind, ist der erste kommerzielle Spähsatellit. 1999 wurde er von der amerikanischen Trägerrakete Athena ins All gehievt. Zweimal am Tag umkreist er die Erde. Mittlerweile kann jeder die von ihm gemachten digitalen Aufnahmen, die früher nur Regierungen, Forschern und dem Militär zugänglich waren, käuflich erwerben. Gibt der zahlungsbereite Kunde ein Zielgebiet in Auftrag, tritt Ikonos sogar für Kleinstaufträge in Aktion.

Der von der nicht ganz unumstrittenen amerikanischen Firma Spaceimaging produzierte Raumflugkörper ist in der Lage, jeden x-beliebigen Ort zu überfliegen und von jedem Quadratmeter der Erde Fotos zu machen. Konnten bisherige "zivile" Himmelsspäher nur Objekte ablichten, die größer als fünf Meter waren, so vermag Ikonos Gegenstände in der Größe von nur einem Meter auf der Erde zu erkennen. Selbst einzelne Menschen würde der Satellit orten können. Einen Teil der Bilder, den der private Spionage-Satellit bislang produzierte, hat Spaceimaging ins Internet gestellt.