Im Land der Brunnenvergifter

Seite 2: "Ausländer ’raus" als Devise der offiziellen Politik

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Nach dem Wechsel zur CDU/CSU/FDP-Koalition nahm die Ausländerpolitik in den Koalitionsvereinbarungen 1982 einen breiten Raum ein. In seiner Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 nannte Bundeskanzler Helmut Kohl die Ausländerpolitik sogar einen der vier Schwerpunkte seines "Dringlichkeitprogramms", gleichberechtigt mit der Wirtschafts- und Außenpolitik.

Die Bundesregierung setzte eine Kommission "Ausländerpolitik" ein. Nach zahlreichen Ankündigungen beschloss die Bundesregierung am 22. Juni 1983 einen "Gesetzentwurf zur befristeten Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern".

Und so kommt eine tragische Verkettung von Politikerignoranz und dumpfer Fremdenfeindlichkeit von Teilen der Bevölkerung ins Spiel. Die Politiker verstanden instinktiv schon früh, dass die breite Bevölkerung alles Fremde und Fremdartige dumpf ablehnt und begriffen das als einmalige Chance. Es bildete sich eine unheilige Allianz zwischen breiten Schichten der Bevölkerung und Politikern, die vor allem in Demokratien als Herrschaftsinstrument taugt.

So mobilisierten sie in den 1970er, 1980er, 1990er und auch noch 2000er Jahren eine tumbe Ablehnung gegen Ausländer und insbesondere gegen Türken und gegen Moslems. Das wäre bloß primitiv, wenn dadurch nur niederträchtige Emotionen und latenter Rassismus mobilisiert worden wäre. Aber auf dem Spiel steht diese Zukunft dieses Landes, und die hat ohne eine stärkere und intelligent organisierte Zuwanderung als heute überhaupt keine Chance.

Regierungsamtliches Sprücheklopfen gegen Ausländer

Bundeskanzler Ludwig Erhard 1965 bei nur 1,2 Millionen Ausländern:

"Der deutsche Arbeitsmarkt ist erschöpft. Die Heranziehung von noch mehr ausländischen Arbeitskräften stößt auf Grenzen. Nicht zuletzt führt sie zu Kostensteigerungen und zusätzlichen Belastungen unserer Zahlungsbilanz."

Bundeskanzler Willi Brandt in seiner Regierungserklärung 1973:

"In unserer Mitte arbeiten fast 2,5 Millionen Menschen anderer Nationen. Es ist aber notwendig geworden, dass wir sehr sorgsam überlegen, wo die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft erschöpft ist und wo soziale Vernunft und Verantwortung Halt gebieten. Wir dürfen das Problem nicht dem Gesetz des augenblicklichen Vorteils überlassen!"

Bundeskanzler Helmut Schmidt gegenüber Zeitungsverlegern:

"Mit weit über 4 Millionen Ausländern ist die Aufnahme der deutschen Gesellschaft erschöpft, wenn nicht ganz große Probleme entstehen sollen....Mehr als 4,5 Millionen Ausländer können wir mit Anstand nicht verdauen..."

Und 1975:

"Beim Zuzug von Gastarbeiter-Angehörigen ist die zulässige Grenze inzwischen erreicht und in manchen Fällen bereits überschritten. Ich warne vor einem Nationalitäten-Problem in der Bundesrepublik Deutschland!"

1980: "Die Bundesrepublik soll und will kein Einwanderungsland werden!"

Und: "Wir haben 4 Millionen Ausländer, wir wollen keine 6 Millionen!"

In der "Zeit" vom 5. Februar 1982: "Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze!"

In einer DGB-Veranstaltung seines Hamburger Wahlkreises vom November 1981:

"Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag!"

Auf dem SPD-Wahlparteitag in Hessen:

"Es ist ein Fehler gewesen, so viele Ausländer ins Land zu holen!"

SPD-Fraktionschef Herbert Wehner:

"Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Prügelknaben der Nation werden, im Hinblick darauf, dass die SPD für die zunehmenden Ausländerprobleme verantwortlich gemacht werden könnte."

CSU-Vorsitzender Franz-Josef Strauß in einem Brief an die Bundesbeauftragte für Ausländerfragen, Lieselotte Funke, im Sommer 1982:

"Die Bevölkerung eines Landes, das kein Einwanderungsland ist, muss erwarten dürfen, dass alle nach der Verfassung zulässigen Maßnahmen ergriffen werden, damit der Zuzug von Ausländern in engsten Grenzen gehalten wird."

Bundeskanzler Helmut Kohl in einem ZDF-Interview vom 3. Oktober 1982, dem ersten Tag seiner Kanzlerschaft:

"Aber es ist auch wahr, dass wir die jetzige vorhandene Zahl der Türken in der Bundesrepublik nicht halten können, dass das unser Sozialsystem, die allgemeine Arbeitsmarktlage, nicht hergibt. Wir müssen jetzt sehr rasch vernünftige, menschlich sozial gerechte Schritte einleiten, um hier eine Rückführung zu ermöglichen."

Und an anderer Stelle:

"Das Problem ist, dass wir offen aussprechen müssen, dass wir mit der Zahl der türkischen Gastarbeiter bei uns, wie wir sie jetzt haben, die Zukunft nicht erreichen können. Die Zahl kann so nicht bleiben. Sie muss verringert werden."

Indem sie dumpfe Stimmungen organisiert, unterstützt und selbst mobilisiert, trägt die Politik aktiv dazu bei, die Zukunft dieses Landes zu verspielen und dem ganzen Land zu schaden. Ohne eine stärkere Zuwanderung hat Deutschland überhaupt keine Chance. Das bedeutet allerdings auch: Mit stärkerer Zuwanderung ist die Zukunft noch längst nicht gesichert.

1990 und in den folgenden Jahren wiederholte sich die Diskussion um die Zuwanderung nach Deutschland, wenn auch mit veränderten Rollen. Die Debatte konzentrierte sich nun auf die Asylbewerber, deren Zahl 1992 mit rund 440.000 im Bundesgebiet ihren Höhepunkt erreichte.

Wiederum schien es der CDU/CSU und den unionsregierten Bundesländern zu gelingen, das "Ausländerthema" gegenüber der SPD zu dominieren. Schließlich stimmte auch die SPD - mit dem Rücken offensichtlich zur Wand - der Grundgesetzänderung im "Asylkompromiss" zu. Das "Superwahljahr 1994" und die Befürchtung, die Legitimationsbasis in der Bevölkerung zu verlieren, spielten eine entscheidende Rolle.

Im Landtagswahlkampf von 1996 in Baden-Württemberg wiederholte sich die Einwanderungsdebatte, die früher um Türken und Asylbewerber geführt wurde. Angesichts hoher Arbeitslosigkeit, so argumentierten diesmal die Sozialdemokraten, sei es unverantwortlich, über 200.000 Aussiedler ins Land hereinzulassen.

Im schlimmsten Extrem haben Politiker latente oder auch ganz manifeste Fremdenfeindlichkeit mobilisiert, weil sie - wohl zu Recht - meinten, dass sie damit Wahlen gewinnen können. Im hessischen Landtagswahlkampf 1999 funktionierte das auf jeden Fall. Die CDU führte wegen der Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts eine ausländerfeindliche Unterschriftenaktion gegen die damalige rot-grüne Bundesregierung durch und erklärte die Landtagswahl zur Volksabstimmung gegen die doppelte Staatsangehörigkeit. Bis zum Wahltag sammelte die Union nach eigenen Angaben in Hessen rund 300.000 Unterschriften unter den sechs Millionen Hessen und gewann die Wahl.