Im Land der Brunnenvergifter
Seite 3: Ob Rot oder Schwarz - Alle profitieren von Fremdenhass
- Im Land der Brunnenvergifter
- "Ausländer ’raus" als Devise der offiziellen Politik
- Ob Rot oder Schwarz - Alle profitieren von Fremdenhass
- Die List der Unvernunft: Wahlen gewinnen mit Ausländerhass
- Die Zukunft des Landes ist nur noch eine Nebensache
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Der Erfolg gab ihr Recht. Mit der Unterschriftenaktion konnte Roland Koch die Stimmung im Wahlkampf polarisieren. Ihm gelang der Wahlsieg über die von Hans Eichel geführte SPD in Hessen. Koch wurde Ministerpräsident von Hessen. Im Landtagswahlkampf 1999 setzte Hessens CDU mit ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ein für den Sieg letztlich entscheidendes Zeichen.
Zu diesem Ergebnis kam seinerzeit auch das Wahlforschungs-Institut infratest dimap:
Durch das Ausländerthema wurde die positive Bilanz der damaligen rot-grünen Landesregierung in den Hintergrund gedrängt und der in den letzten Wochen gewachsene Unmut über die neue Bundesregierung kanalisiert.
Und weil das in dem Fall so hervorragend funktioniert hat, versucht man es immer mal wieder. Als die Bundesregierung den Versuch unternahm, mit Hilfe einer Green Card ausländische Computerexperten speziell aus Indien anzuwerben, verfiel der nordrhein-westfälische CDU-Spitzenkandidat für die NRW-Landtagswahl 2000 Jürgen Rüttgers auf die verwegene Idee, im Wahlkampf mit dem Slogan "Kinder statt Inder" zu werben. In Stammtischmanier empörte er sich:
Statt sich um die Integration der hier lebenden Ausländer zu kümmern, sollen jetzt noch Hindus hinzukommen.
Ausgerechnet aus seinen eigenen Versäumnissen - bis Ende 1998 war Rüttgers als Zukunftsminister für Bildung zuständig - entwickelte er einen ausländerfeindlichen Slogan. Ausländerfeindlich, denn allerdings impliziert "Kinder statt Inder" eindeutig, dass Inder den deutschen Kindern Chancen wegnehmen.
Nur über diese Behauptung, dass die "fremden" Menschen statt der "eigenen" bevorzugt werden, erreicht der Slogan seinen Zweck. Am Ende scheiterten beide, Rüttgers verlor die Wahl und die Green Card wurde 2004 abgesetzt, doch eins blieb ungelöst: die Problematik der unzureichenden Zuwanderung.
Die Landtagswahlkämpfe in Hessen 1999 und in Nordrhein-Westfalen 2000 waren keine einsamen Ausreißer. Wie fruchtbar der Boden noch immer ist, auf dem Ausländerfeindlichkeit gedeiht, zeigt sich nicht nur an den hitzigen Debatten über die größtenteils absurden Thesen des sozialdemokratischen Ex-Bundesbankers Thilo Sarrazin über türkische und arabische Einwanderer.
Die dumpfe Ablehnung weiterer Einwanderung erlebte ja in den Jahren 2008 und 2009 einen neuen Höhepunkt, und das ausgerechnet in zwei Jahren, in denen mehr Menschen aus Deutschland auswanderten als einwanderten. Ausgerechnet während Deutschland Auswanderungsland war, diskutierten breite Teile der Öffentlichkeit darüber, wie schädlich doch die Einwanderung von Ausländern aus fremden Kulturen sei.
Das ist schon eine ziemlich absurde Situation; denn die Auswanderung tatendurstiger junger Leute aus Deutschland verschärft noch alle schon bestehenden Probleme des demografischen Wandels: Die Deutschen schaffen sich allmählich ab und klagen über ein Phantom: den Zuzug von Leuten aus fremden Kulturen, die gar nicht mehr kommen.
Natürlich darf im Chor der Zuwanderungsgegner der gerade amtierende bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef nicht fehlen. In einem Interview mit der Zeitschrift "Focus" proklamierte Horst Seehofer, die Integrationsfähigkeit von Zuwanderern hänge auch von ihrer Herkunft ab:
Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen.
Damit löste Seehofer zwar einen Sturm der Entrüstung aus, selbst CDU- und CSU-Politiker waren empört. Aber genau das ist ja das Ziel solcher Stürme im Wasserglas. Es geht nicht darum, in der Öffentlichkeit einen Gedanken zu lancieren, der dann nach Pro und Contra erörtert werden kann. Es geht darum, eine im Land verbreitete ausländerfeindliche Stimmung am Kochen zu halten. Da kann man auch schon mal ordentlich draufhauen. Es ist billige Stimmungsmache und üble Hetze. Hauptsache der Biertisch wird bedient.
Selbst plumpe Hetze wäre ja nur unmoralisch. Aber bei den Fragen, die der demografische Wandel über die Notwendigkeit von Zuwanderung in einer dramatisch schrumpfenden Bevölkerung aufwirft, geht es um die Zukunft Deutschlands und um die Zukunftsfähigkeit dieses Landes.
Es ist höchst einfältig und zutiefst verantwortungslos, die epochalen Probleme mit Latrinenparolen abzubügeln. Nicht weil Multi-Kulti-Begeisterung und Gutherzigkeit gegenüber Ausländern so viel edler wären. Die sind genauso verbohrt wie der dumpfe Fremdenhass.
Wenn man der deutschen Bevölkerung politisch einzureden versucht, sie könne die nächsten Jahrzehnte ohne Einwanderung wirtschaftlich, sozial und politisch überstehen, dann schadet das niemandem mehr als den Deutschen selbst. Ihnen entsteht dadurch der größte Schaden. Sie müssen vor der Verantwortungslosigkeit der Politiker am meisten geschützt werden. Sonst schaffen sich die Deutschen am Ende noch wirklich ab…