Im Namen der Demokratie: Hamburg rüstet auf

Das G20-Protestcamp für den Dauerprotest soll verboten werden, die Veranstalter sind aber zuversichtlich, ab dem 28. Juni die Zelte aufbauen zu können.

Beim "Festival der Demokratie" (G-20-Gipfel) "feiern" 15.000 Polizeibeamte und die GSG-9 mit - flankiert von Eurofightern und voraussichtlich einem Kriegsschiff

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Das wird ein Spaß: Am 7. und 8. Juli 2017 findet in Hamburg der G-20-Gipfel statt. Das bedeutet aber nicht, dass 20 Gäste anreisen, sondern 19 Staatschefinnen und Staatschefs der Mitgliedsstaaten mit ihrem Stab, eine Delegation der EU, fünf weitere aus verschiedenen Gast-Staaten, drei aus Gast-Institutionen, plus eine Delegation der Weltbank.

Insgesamt 70 Sondermaschinen werden am Hamburger Flughafen zu dem "Festival der Demokratie" erwartet, wie der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) das Gipfeltreffen nennt. Zudem werden Tausende Fans und Gegner der Angereisten erwartet. Und als ob das alles nicht reichen würde, auch noch einige tausend Planespotter. Das sind Flugzeugfans, die angelockt werden von den 70 Sondermaschinen, die es selten, eigentlich nie in dieser Ansammlung auf einem Fleck zu sehen gibt.

Hamburg rüstet auf

Um die Sicherheit der Gäste zu gewährleisten, wird allerhand aufgeboten: 15.000 Polizeibeamte, 3.000 Einsatzwagen, Wasserwerfer, Panzer, Eurofighter in der Luft in Alarmbereitschaft und - so wird gemunkelt - womöglich ein Kriegsschiff im Hafen. Das Hafenbecken soll nach Sprengsätzen abgesucht werden.

Der Nah- und Fernverkehr per Schiene wird teilweise umgeleitet, Bahnhöfe werden gesperrt oder nur eingeschränkt zugänglich gemacht. Beeinträchtigungen im Flugverkehr werden erwartet, so dass Airlines Flüge streichen oder umleiten.

Per Polizei-Eskorte werden die Gäste vom Flughafen zu den Veranstaltungsorten Messehallen und Elbphilharmonie sowie den Hotels und anschließend wieder zurück geleitet. Gullydeckel auf den Strecken werden verplombt. Betriebe, die entweder in unmittelbarer Umgebung der Tagungsorte liegen oder direkt mit der An- und Abreise zu tun haben, verordnen den Beschäftigten während der Zeit wahlweise Zwangsurlaub (Handelskammer) oder Urlaubssperre (Flughafen). Das ist ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.

Hochsicherheitstrakt für renitente Gipfelgegner

Für die laut Senat erwarteten bis zu 8.000 gewaltbereiten G-20-Gegner wurde ein Hochsicherheitsgefängnis mit angeschlossenem Schnellgericht errichtet. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass diese aus aller Welt anreisen dürften, wurden sogar vorsorglich Container für Dolmetscher und Botschaftsangehörige aufgestellt. Weitere Container bieten 9 Haftrichtern und ihrem Stab Platz für ihre Arbeit.

Das Gefängnis ist weiträumig mit Nato-Stacheldraht umgeben und der Eingang mit einer Sicherheitsschleuse versehen. Kostenpunkt summa summarum etwa 3 Mio. €. Das ehemalige Frauengefängnis Hanöfersand wurde zum Untersuchungsgefängnis mit 100 Plätzen umgebaut.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ordnete verstärkte Kontrollen an den EU-Binnengrenzen an, um potentielle Gewalttäter an der Einreise zu hindern. Seit Wochen gibt es ein großes juristisches Hickhack um geplante Protest-Aktionen. Weite Teile der Innenstadt wurden zum Gefahrengebiet erklärt, Demonstrationen und ein Protestcamp unterliegen starken Auflagen oder sollen gleich ganz verboten werden.

Auseinandersetzungen zwischen Erdogan-Fans und Kurdinnen und Kurden befürchtet

Die erwarteten Regierungschefinnen und -chefs bringen allerdings nicht nur jene auf die Straße, die gegen sie sind, sondern auch ihre Getreuen. Damit ist zumindest im Falle des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu rechnen. Bekanntlich nutzt er jede Gelegenheit, zu seiner Gefolgschaft zu sprechen und sich von ihnen bejubeln zu lassen.

Dieses Bad in der Menge liebt der Sultan vom Bosporus. Prompt wartete er mit dem Begehren auf, im Rahmen seines Besuches zum G-20-Gipfel die Möglichkeit zu erhalten, zu seinen Landsleuten sprechen zu können. Das Problem ist nur: Ihn will niemand haben. Laut Tagesspiegel haben mehrere Kundgebungsorte im Ruhrgebiet bereits abgelehnt.

Also werden seine Fans nach Hamburg pilgern, um ihren "Büyük Lider" sehen zu können. Das, so fürchten die Behörden, könnte zu Zusammenstößen zwischen ihnen und der Anhängerschaft der kurdischen Arbeiterpartei PKK führen.

In dem Zusammenhang taucht noch ein weiteres Problem auf: Nicht nur der türkische Staatschef, sondern auch andere Staaten wollen selbst für ihren Schutz sorgen und deshalb eigene, bewaffnete, Sicherheitsleute mitbringen. Das veranlasste Innensenator Grote schon vor Wochen, die Protestierenden davor zu warnen, die Polizei-Eskorten zu stören, da ansonsten nicht für deren Sicherheit garantiert werden könne.

Laut Stern übermittelte die "türkische Botschaft Medienberichten zufolge dem Auswärtigen Amt eine Liste mit 50 Personen, die Erdogan nach Hamburg begleiten sollen. Darauf standen auch die Namen einiger Leibwächter, gegen die in den USA Haftbefehle erlassen wurden. Das Amt habe klar gemacht, dass diese Personen nicht nach Deutschland kommen sollen. Außerdem hätten sechs weitere Länder Genehmigungen für die Einfuhr und das Tragen von Waffen während des Gipfels beantragt: "die USA, Großbritannien, Mexiko, Südafrika, Vietnam und die Niederlande".

Heimlicher Einsatz der Bundeswehr?

Das größte Fragezeichen in dem Sicherheitskonzept aber ist der Einsatz eines Kriegsschiffs im Hamburger Hafen. Zumindest ließ der Focus am vergangenen Freitag verlautbaren, von "hochrangigen Sicherheitskreisen erfahren" zu haben, dass derzeit "geplant wird, ein Kriegsschiff der deutschen Marine in den Hamburger Hafen zu verlegen. Es soll im Fall eines Anschlags die Regierungschefs und weitere Gipfelteilnehmer aufnehmen und vor weiteren Attacken schützen. Ein hochrangiger Regierungsbeamter zu Focus: "Wir müssen das Unmögliche denken." Angeblich soll "das Schiff von Spezialkräften der Marine gesichert werden, die in zivil auftreten sollen, und über Operationsräume für Verletzte verfügen. Notfalls könnte es in Richtung Nordsee auslaufen, hieß es."

Dem Bericht nach "soll das Schiff offiziell wegen fehlender Ersatzteile im Hafen liegen. Focus stellt die Frage, "ob die Geheimhaltung der Verlegung des Marineschiffs der Sicherheit dient oder ob die Regierung damit eine erneute Debatte um die umstrittenen Bundeswehr-Einsätze im Inneren" unterbunden werden soll. Schließlich dürfe im Inland "die Bundeswehr, laut Grundgesetz, nur zur Katastrophenhilfe (Art. 35, Abs. 2 und 3) und im Fall eines sogenannten 'Inneren Notstands' (Art. 87a, Abs. 4), zum Beispiel im Fall eines Terroranschlags eingesetzt werden".

Laut Focus werde eine "Welle linker Gewalt befürchtet": "So warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz in einem vertraulichen Bericht, der FOCUS vorliegt, auch vor schweren Gewalttaten 'gegen Unbeteiligte'. Hinzu kommt, dass die Linksextremisten besonders gut organisiert sind. So heißt es in dem Bericht, dass im Gegensatz zum G7-Gipfel im bayerischen Elmau 2015 dieses Mal erfahrene Akteure in den Hotspots des autonomen Spektrums an der Planung der Proteste beteiligt seien."

Nun glaubt aber ja niemand ernsthaft, dass der Hamburger Senat Kriegsschiffe gegen die im Schanzenviertel, dem Stadtteil, in dem der Gipfel tagt, ansässige autonome Szene einsetzen will. Auch nicht gegen die erwarteten Erdogan-Gegner. Sondern die Maßnahme belegt, sollte sie tatsächlich geplant werden, dass das gebetsmühlenartig nach jedem Anschlag fundamental-islamischer Terroristen wiederholte "Wir lassen uns von dem Terror nicht beeindrucken und leben weiter wie bisher" eine hohle Phrase ist.

Natürlich bietet diese Ansammlung von politischen Entscheidungsträgern an einem Ort Angriffsfläche für Gotteskrieger - extra zu diesem Behufe geschickte oder selbst ernannte. In Zeiten, in denen quasi jeder fundamentalistische Gläubige aufgefordert ist, das nächste Auto, das nächste Messer zu schnappen und damit "den Ungläubigen" nach dem Leben zu trachten, sind Sicherheitsrisiken nicht berechenbar. Wer sollte das besser wissen als die Herrscherinnen und Herrscher dieser Welt?

Wenn aber die Gefährdungslage so akut ist, dass schwimmende Operationssäle bereit gehalten werden müssen, mit denen die illustre Versammlung aufs Meer hinaus verschwinden kann, dann stellt sich die Frage: Was wird eigentlich getan, um die normale Bevölkerung in diesen Tagen erhöhter Gefährdung vor Terroranschlägen zu schützen? Bis dato ist nicht zu erkennen, dass derartige Überlegungen in dem Sicherheitskonzept eine Rolle spielen.