Im Ukraine-Krieg müssen Friedensverhandlungen oberstes Ziel sein

Interview mit Gerhard Trabert über politische Schlussfolgerungen aus seinen Erfahrungen bei Hilfseinsätzen in der Ukraine

Kurz nach Ausbruch des Ukraine-Krieges berichtete Gerhard Trabert im Telepolis-Interview über seinen ersten Hilfseinsatz im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet.

Nun fuhr er zusammen mit den Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi und Michael Schlick erneut in die Region und besuchte unter anderem Butscha. Neben der Übergabe von medizinischer Ausrüstung und Spendengeldern standen Gespräche mit Hilfsorganisationen und Kriegsopfern auf dem sechstägigen Reiseprogramm.

Prof. Trabert ist als Arzt seit über zwanzig Jahren in Krisen- und Kriegsgebieten tätig. Daneben kümmert er sich mit seinem Verein Armut und Gesundheit um die medizinische Versorgung obdachloser Menschen.

Im Bundestagswahlkampf 2021 sowie bei der Bundespräsidentenwahl 2022 trat er als parteiloser Kandidat für Die Linke an. Telepolis sprach mit ihm über die Ukraine-Reise und seine politischen Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen vor Ort.

Herr Trabert, Ihre Reise hatte mit den Ukraine-Visiten prominenter Politiker wenig gemein. Worum ging es bei Ihrem Besuch?

Gerhard Trabert. Bild: Die Linke / CC-BY-2.0

Gerhard Trabert: Es ging natürlich nicht um Waffenhilfe, sondern um humanitäre Hilfe. Außerdem kam für uns ein Halbtagsbesuch mit Kurzgespräch und Fototermin nicht in Frage. Unsere Ansprechpartner waren kriegsgeschädigte Menschen sowie Ärzte und Mitarbeiter von Hilfseinrichtungen.

Zunächst besuchten wir die Armenküche in Lwiw, die unser Verein Armut und Gesundheit schon seit zehn Jahren unterstützt. Von dort lag eine Bestellliste vor: Medikamente, Tourniquets zum Abbinden von Blutgefäßen bei schweren Verletzungen und anderes mehr.

Was leider kaum thematisiert wird: Die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung bricht in Kriegsregionen sukzessive zusammen.

Dann besuchten wir den Basilianer-Orden, der seine Ausbildungsräumlichkeiten zu einer Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert hat. Wir konnten mit vielen Geflüchteten reden, insbesondere Frauen und Kindern, die teils nicht wussten, ob ihre an der ukrainisch-russischen Front kämpfenden Ehemänner, Brüder oder Väter überhaupt noch leben.

Überall herrscht Fassungslosigkeit, wie Russland die Ukraine so brutal angreifen kann. Die Invasion hat einen absoluten Bruch verursacht, eine Wunde, die wohl Jahrzehnte brauchen wird, um wieder irgendwie zu heilen. Den Rückhalt, den Putin in Teilen der ukrainischen Bevölkerung hatte, gibt es nicht mehr; stattdessen aber ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl, sich gemeinsam zu wehren.

Die Absurdität dieses Krieges liegt auch darin, dass die russischen Bombardements insbesondere in Regionen mit hohem russischstämmigen Bevölkerungsanteil stattfinden. Aber führt dieses Sich-Wehren-Wollen tatsächlich flächendeckend zu der von Klitschko und anderen beschworenen "Bis-zum-letzten-Blutstropfen-Mentalität"? Oder gibt es den noch größeren Wunsch, dass das alles endlich aufhören soll?

Gerhard Trabert: Ich kann nur von unseren subjektiven Erlebnissen berichten. Nach meinem Eindruck war nicht die Haltung vorherrschend, wir müssen Russland um jeden Preis besiegen. In Butscha und Irpin sind viele Menschen traumatisiert und wollen vor allem so schnell wie möglich Frieden. Aber sie akzeptieren auch nicht, dass Putin das gesamte Land überrollt. Mein Eindruck ist, wenn es jetzt einen Kompromissfrieden gäbe, könnte man das dem Volk auch vermitteln.

Ein Priester und "Hüter" des Massengrabs in Butscha, dessen Haus von der russischen Armee zerstört ist, hat mich besonders beeindruckt. Er betonte, dass nach dem dortigen Massaker auch russische Soldaten anständig beerdigt wurden, was für ihn symbolisiert, dass nicht Rache und Hass das Ziel sein dürfen, sondern dass man wieder zu irgendeiner Art von Miteinander finden muss. Eine solche Haltung empfinde ich als unglaubliche Größe, gerade dort, wo schlimmste Gräueltaten stattgefunden haben.

Das Festschreiben von Maximal-Kriegszielen steht Frau Baerbock nicht zu

Solche Stimmen finden wenig Eingang in die Kriegsberichterstattung. Wie die ukrainische Bevölkerung tickt, ist weniger von Interesse als die Linie der ukrainischen Politiker, die in den vergangenen Wochen zwischen Verhandlungsbereitschaft und dem Willen zu einem militärischen Siegfrieden pendelte. Angeheizt wird die Sieg-Strategie in Deutschland etwa von Außenministerin Baerbock.

Gerhard Trabert: Woher nimmt sich Frau Baerbock das Recht, darauf zu bestehen, dass es Frieden erst dann geben kann, wenn alle russischen Truppen ukrainisches Territorium, also auch die Krim, verlassen haben? Ich denke, das Festschreiben von Maximal-Kriegszielen steht einer deutschen Politikerin nicht zu.

Weitere Protagonisten der Baerbock-Linie sind Anton Hofreiter (Grüne), Michael Roth (SPD) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), deren medienwirksamer Ukraine-Aufenthalt sich auf einen zweistündigen Termin im grenznahen Lwiw beschränkte.

In diesem Zusammenhang bezeichnend ist die Atmosphäre, mit der man uns im Zentralkrankenhaus Wyschgorod empfing: Da kommen wieder welche für einen Fototermin! Sobald klar war, dass wir hier waren, um konkret zu unterstützen, änderte sich die Stimmung sofort. Unsere Ansprechpartner waren regelrecht überrascht, dass wir etwas mitbrachten, dass wir über Nacht blieben und – ganz wichtig – dass wir danach fragten, was vor Ort dringend benötigt wird.

Ich musste erfahren, dass solche Nachfragen nur selten erfolgen. Und es mangelt bereits jetzt an vielem, was die Behandlungsmöglichkeit von Kriegsopfern betrifft.

Aus früheren Einsätzen in Kriegsgebieten weiß ich, dass es durch Explosionen, Verbrennungen und Geschoßverletzungen häufig zu großflächigen Wunden kommt, die sehr schlecht heilen, und deshalb der Einsatz eines Dermatoms (chirurgisches Instrument für Eigen-Hauttransplantationen) wichtig und hilfreich ist. Weil diese Geräte teuer sind und vor Ort oft fehlen, hatten wir eines mitgebracht. Vor drei Tagen bekam ich Fotos von der ersten damit durchgeführten Transplantation.

Als wir erfuhren, dass es in Butscha an finanziellen Mitteln für zusätzliche OP-Plätze fehlt, konnten wir unbürokratisch 13.000 € übergeben.