Im neuen Zeitalter des Superjobs putzt jeder auch die Fenster..

Ein Bericht aus den USA beklagt immer mehr Extraarbeiten für immer weniger Angestellte

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Bin Ladens Ende war eine Ablenkung. Das große Thema, das die Amerikaner sehr viel unmittelbarer berührt, heißt Arbeitslosigkeit und Wirtschaftslage. Das zeigt sich auch in der Nachricht, die vergangene Woche von einer Million Bewerber für 62.000 Jobs als Burger-Brater bei McDonald's berichtete.

Mit Ausbruch der Krise seit 2008 hat sich dazu ein Phänomen verfestigt, das es zwar schon vorher gab, nun aber verschärfter Form - nicht nur in Amerika, aber dort bekommt der ausgewachsene Trend den Namen mit dem schönsten Lack: "Superjob". Ähnlich smart und entzückend wird auch benannt, was mit neuen Arbeitsplatzaufgaben einhergeht und zu deutsch Überforderung genannt wird: "Multitasking".

Gemeint sind mehr Aufgaben, die einer immer kleiner werdenden Anzahl von Angestellten aufgebürdet werden, was nicht nur die unteren Stockwerke der Unternehmenshierarchien betrifft, sondern auch den Mittelbau, die Managerebene. Weshalb der Artikel zum Thema Überbeschäftigung des Einzelnen bei gleichzeitigem Jobbbau für Viele auch im Wall Street Journal erscheint.

Im neuen Zeitalter des Superjobs putzt jeder auch die Fenster und jeder, der klagt und nörgelt, weil er zu viel arbeiten muss, wird eine noch haarigere Geschichte vom Manager auf dem Barhocker nebenan hören. Dazu ermutigt von einer Arbeitsmarktkrise, die nur langsam besser wird, verlangen Arbeitgeber, von Familienunternehmen bis zu den großen drei Autokonzernen, von einer schwindenen Anzahl ihrer Angestellten, dass sie Extraarbeiten übernehmen, die mit ihrem anfänglichen Job und ihrer Fachkenntnis wenig zu tun haben.

Das Phänomen ist nicht auf die USA beschränkt und auch nicht auf Erfahrungen der leitenden Angestellten. Auch die Motive, weshalb die Mitarbeiter sich dem Druck fügen, sind international wirksam. Sie machen mit, um den Erfolg der Firma nicht zu gefährden, damit sie "konkurrenzfähig" bleibt, was der WSJ-Artikel als ersten Grund anführt; doch erwähnt er auch, was hinter dieser Sprachregelung aus Meetings steckt, die nackte Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. So hofft man sich als unentbehrlich zu profilieren, indem man sich als jederzeit abrufbarer Alleskönner beweist.

Eine Million Entmutigte

Die Chancen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, stehen schlecht, das ist für viele - wohl auch in Deutschland zu Zeiten "eines neuen Wirtschaftswunders" - eine entmutigende Aussicht. In den USA sind zur Zeit 13,5 Millionen arbeitslos, fast eine Million werden in der offiziellen Statistik als "discouraged workers" geführt, die nicht daran glauben, dass es Jobs für sie gibt.

Seit zwei Jahren steigen demgegenüber die Anzahl der Arbeitsstunden pro Angestelltem ständig, verraten Zahlen des US-Arbeitsministeriums, die der WSJ-Artikel widergibt. Ebenfalls zitiert wird die Umfrage eines privaten Unternehmens, in der 53 Prozent der Arbeiter sagten, dass sie neue Aufgaben übernommen haben, ohne extra dafür honoriert zu werden. Auch Mittelbau-Manager kommen schlecht weg, für ihre Mehrarbeit bekommen sie oft nur billige und oft nutzlose Werbegeschenke und unpersönliche Floskelmails zum Dank, wo früher wenigstens noch das Foto des Mitarbeiters des Monats ausgehängt wurde.

Freilich finden sich im Bericht auch Experten, die der Sache auch Positives abgewinnen. Solche "Stretch-Erfahrungen" werden als Nährboden für erfolgreiche Leader dargestellt, da selbige oft denselben Weg der harten Arbeit beschritten haben:

They killed themselves for a period of time, but there was an enormous amount of learning.

Nicht immer so toll: die Produktivität

Doch fallen die Indizes für die Produktivität der Unternehmen häufig nicht so rosig aus, wenn zuviel zur gleichen Zeit oder zu schnell gefordert wird. Grenzen des Multitaskings werden von wissenschaftlichen Untersuchungen seit langem bestätigt, aber nicht in die Praxis am Arbeitsplatzaufgaben umgesetzt, die Forderung bleiben hoch. Die Unternehmensführung würde die Unzufriedenheit ihrer Mitarbeiter, ein Grund für mangelnde Produktivität, oft nicht zur Kenntnis und sie sich als "perfectly happy" vorstellen. Was auch daran läge, dass sich die Angestellten - nur 43 Prozent der Amerikaner sind zufrieden mit der Arbeit - scheuen, ihre Unzufriedenheit gegenüber den Chefs zu äußern.

Die Produktivität fände auch in den Anforderungen der technischen Veränderungen und der Globalisierung ihre Grenzen, fügt der Zeitungsbericht hinzu:

Engineering and advertising agencies say clients are demanding shorter delivery times, requiring employees to work more hours, and U.S. executives must be available around-the-clock to take care of issues in Hong Kong and Paris. Then there's the growing consumer demand for convenience that has druggists putting in long shifts at 24-hour pharmacies and retail managers working Christmas day.

Bei einem persönlichen Gespräch am Barhocker mit zwei leitenden Angestellten eines deutschen Konzerns mit internationalen Niederlassungen konstatierten die beiden, dass sich die Arbeitszeiten seit längerem schon immer weiter in den Abend verlängern. Dass es üblich sei, bis acht Uhr abends im Büro zu bleiben. Eingeführt hätten dies unter anderem unverheiratete Pendler, die nur am Wochenende nachhause kommen und statt ins Hotel zu gehen, lieber im Büro bleiben. Auch sei der Weg zum Arbeitsplatz, der früher Möglichkeiten zum Abschweifen bot und dadurch manchmal auch für neue Ideen sorgte, mittlerweile selbstverständlich als Zeitraum für Telefongespräche, Geschäftsmails und kleinere Arbeiten eingeplant.

Wochenendarbeit? Klar. Die beiden klagten nicht, sie sagten, sie hätten einen tollen Job. Doch würde jeder von ihnen sofort wechseln: für einen Arbeitsplatz mit mehr Zeit und weniger Verdienst. Auf die Frage, warum man also die Arbeit nicht auf mehr verteilen könnte, lächelten sie; solche Fragen gehören zu einer anderen Welt.