Im und am Wall of Shame

FTAA-Gipfel: Alternative Onlinemedien dokumentieren die Proteste der Globalisierungsgegner und deren Gründe für die Ablehnung des Abkommens

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Gewaltfreie Aufmärsche begleiteten den Freihandelsgipfel in Quebec ebenso wie Straßenschlachten und brutale Polizeiübergriffe. Der kanadische Premier lobte die Sicherheitskräfte, Brasiliens Präsident Cardoso zeigte Verständnis für die Demonstranten. In der Abschlusserklärung am Sonntag verpflichteten sich die 34 Staaten, die Verhandlungen über die gesamtamerikanische Freihandelszone bis 2005 abzuschließen. Außerdem wurde eine Demokratieklausel beschlossen. Alternative Berichterstattung über die Ereignisse in Quebec gibt es im Internet.

Der kanadische Premierminister Jean Chrétien sprach bereits am Samstagabend bei einer Pressekonferenz von einem Erfolg des Freihandelsgipfels in Kanada. Nur wenige hundert Meter von den Veranstaltungsräumlichkeiten entfernt tobten allerdings Straßenkämpfe. Weder die Wall of Shame, ein 4 km langer Absperrzaun, der zum Schutz der FTAA-Gipfelteilnehmer errichtet wurde, noch 6.700 Sicherheitskräfte konnten die rund 25.000 Globalisierungsgegner davon abhalten, gegen das geplante Abkommen zu demonstrieren.

Laut Polizeiberichten gelang es einer Gruppe von 2000 Demonstranten am Samstag gegen 3 Uhr einen Teil des Stahlzauns, der "Wall of Shame", zu demontieren. Die Polizei ging daraufhin mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Globalisierungsgegner vor. Das scharfe Vorgehen der Sicherheitskräfte, darunter 3000 Militärangehörige, löste in Kanada Kontroversen aus. So startete der kanadische Fernsehsender CTV eine Online-Umfrage, in der eine knappe Mehrheit der Teilnehmer die Auffassung vertrat, dass die Polizei mit dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas zu weit gegangen sei. Es gab Dutzende Verletzte auf beiden Seiten. Insgesamt wurden an die 200 Personen festgenommen, darunter auch Jaggi Singh - ein Antiglobalisierungsaktivist der Gruppe Anti-Capialist Convergene (ACC), wie die kanadische Polizei stolz berichtet.

Während sich in den quotenstarken Medienberichten die Bilder der gewalttätigen Auseinandersetzung durchsetzten, geben verschiedene alternative Online-Medien einen differenzierteren Einblick in das Geschehen. So finden sich auf Indymedia.org Berichte aus der Demonstrantenszene und zwar in Print, Audio und Video. Schriftlich beklagte sich unter anderen Michael Lessar, ein Mitglied der "Operation Quebec Spring 2001" (OQP), über mediales Desinteresse an zwei großen, friedlich verlaufenen Anti-FTAA-Demonstrationen. OQP 2001 setzt sich aus 34 Organisationen, die verschiedene Anti-FTAA-Aktionen, darunter auch den Alternativ-Gipfel von NGO's, Kirche und Gewerkschaften im Vorfeld des offiziellen FTAA-Treffens, organisierten. An Protestmarsch "People's March" nahmen zwischen 40.000 und 60.000 Personen teil, berichtet Lessar.

Polizeiübergriffe sind in den alternativen Onlinemedien selbstredend ebenfalls penibel aufgelistet. Beispielsweise lieferte Jonathan Guido einen Report vom Geschehen inside. Er war in die Sperrzone vorgedrungen, noch bevor der Zaun endgültig dicht gemacht worden war. Von einem Internetcafe aus schickte er seine Reportage über den Einsatz von Tränengas an Indymedia. "Die Unschuldigen und die Schuldigen zahlten denselben Preis", so Guido. "Nur die Polizei hatte Gasmasken. Alle anderen, die Journalisten eingeschlossen, hatten mit brennenden Augen und Haut zu kämpfen."

Während Indymedia.org die aktuelle Berichterstattung aus der Protestszene liefert, sind im Internet inzwischen zahlreiche andere Seiten entstanden, die Material zum Hintergrund des Konflikts liefern. Auf A20.org finden sich Links zum Thema, beispielsweise eine Auflistung der Zehn wichtigsten Gründe gegen das FTAA und ein Factsheet zu FTAA. Die Gegner des Abkommens verweisen auf die negativen Effekte im sozialen und ökologischen Bereich, die bereits NAFTA verursacht hätte und mit dem FTAA noch verstärkt würden. Keine Förderungen für Landwirtschaft, Lohndumping, Gefährdung von Umweltstandards etc. befürchten die Kritiker.

Kritische Stimmen kommen aber auch aus den Reihen der 34 Verhandlungspartner. Treibende Kraft des Freihandelsabkommen ist schließlich die USA. Dahingegen stieg Brasilien bereits auf die Bremse. Hätte sich George W. Bush ein Inkrafttreten des Abkommens bereits für das Jahr 2003 gewünscht, will Brasilien frühestens 2005 grünes Licht geben. Der brasilianische Präsident Fernando Henrique Cardoso fand in Quebec auch verständnisvolle Worte für die Demonstranten, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass man von einer Einigung weit entfernt ist.

Eine Abschlusserklärung gab es dennoch. Darin verpflichteten sich die 34 teilnehmenden Länder, die FTAA-Verhandlungen bis 2005 zu beenden und die Verträge anschließend den nationalen Parlamenten zur Ratifizierung vorzulegen. Außerdem wurde eine Demokratie-Klausel beschlossen. An der geplanten größten Freihandelszone der Welt sollen nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs von Nord- und Südamerika nur demokratischen Staaten teilnehmen dürfen. Wer sich nicht an demokratische Spielregeln hält könne ausgeschlossen werden, befanden die Delegationen aus 34 Staaten. Kuba wurde bereits im Vorfeld aus diesem Grund nicht zu den Verhandlungen eingeladen.