Impfen oder infizieren?

Ist die Booster-Impfung das nächste Problem? Kommentar

Eine große Zahl nicht Geimpfter bietet dem Virus zahlreiche Gelegenheiten zur Mutation. Mutationen können dann auch solche Menschen bedrohen, die gegen die bei ihrer Impfung bekannten Varianten geschützt sind, jedoch nur im eingeschränkten Umfang gegen die seither aufgetauchten Varianten. Das ist ein Risiko, das von der jährlichen Grippewelle bekannt ist. Wer dieses Risiko nicht eingehen will, dem bleibt letztlich nur die Möglichkeit einer Booster-Impfung.

Wenn es möglich ist, dass jeder sich impfen lassen kann, stehen alle Noch-nicht-Geimpften vor der Entscheidung, die der Virologe Christian Drosten kurz und prägnant zusammenfasst: "Entscheidung gegen Impfung ist Entscheidung für Infektion."

Drosten erwartet, dass Covid-19 mit zahlreichen Varianten hierzulande endemisch wird. Damit muss man jederzeit mit einem erneuten Aufflackern von Infektionen rechnen, wie es bei anderen Infektionen auch gängig ist.

Das Risiko

Für solch einschneidende Maßnahmen wie einen Lockdown, Ausgangssperren oder Kontaktbeschränkungen wird es, wenn alle geimpft sein könnten, keine politischen Mehrheiten mehr geben. Das Infektionsrisiko im Fall Corona gehört dann zum allgemeinen Lebensrisiko jedes Einzelnen.

Wenn jeder geimpft werden kann, ist es wenig sinnvoll, die aktuellen Vorsichtsmaßnahmen weiter beizubehalten, es ist letztlich auch nicht vertretbar, Isolierstationen und Intensivbetten in dem Umfang für Corona-Patienten bereitzuhalten wie bisher.

Wobei es im Falle der Intensivbetten, weniger um die Betten selbst und die benötigte Ausrüstung geht, sondern um das qualifizierte Personal. Das bleibt auf absehbare Zeit eine Engstelle, denn die Ausbildung eines Intensivpflegers dauert fünf Jahre und man muss das benötigte Personal auch finden. Wer jetzt fordert, dass man einfach höhere Löhne bezahlen soll, übersieht, dass Pflegelöhne seit zehn Jahren gestiegen sind und den Mangel dennoch nicht beseitigen konnten.

Mehr Geld für die Pflegekräfte ist offensichtlich nicht gleichbedeutend mit mehr Pflegepersonal. Was zudem berücksichtigt werden muss, ist, dass höhere Pflegelöhne die Kosten für die Krankenhausaufenthalte erhöhen, was höhere Kassenbeiträge im Zuge hat oder die mögliche Folge, dass die Kassen ihre Leistungen weiter beschränken.

Häufen sich an Covid-19 Erkrankte in der Notaufnahme der Kliniken und geht dies an die Grenze der Kapazitäten, so werden andere Patienten auf einen späteren Termin vertröstet - ein eindeutiger Nachteil derjenigen, die an anderen Erkrankungen als Corona leiden.

"Triage" und klinisch-ethische Empfehlungen

Der Begriff "Triage" kommt aus dem Französischen und bedeutet Auswahl oder Sichtung. Er stammt aus der Militärmedizin und kam in Feldlazaretten zur Anwendung, um schnell entscheiden zu können, welcher Verletzte zuerst behandelt wird. Die Entscheidung wurde damals nicht aufgrund der Schwere einer Verletzung getroffen, sondern man hat denen zuerst geholfen, die die besten Chancen auf eine rasche Genesung hatten, um schnell wieder in den Krieg ziehen zu können.

In Friedenszeiten soll allen geholfen werden, es sei denn, es mangelt an Zeit, Personal und Materialien, sodass eine angemessene Versorgung aller nicht möglich ist. In solchen Situationen dient die Triage dazu, Behandlungsentscheidungen so zu treffen, dass möglichst viele Menschen überleben. Das kann eine positive Auswahl der Patienten sein, bei denen man eine schnelle Genesung erwartet, sodass sie die Klinik möglichst zügig wieder verlassen können und Betten wieder verfügbar ist.

Gesetzlich geregelt hat man die Triage in Deutschland bewusst nicht, weil man befürchtet hatte, dass eine solche Regelung gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Die Last der Entscheidung liegt somit bei den Medizinern. Eine Chancengleichheit für Erkrankte ist nicht gesetzlich abgesichert. Es gibt allerdings Empfehlungen, die den vor der Entscheidung stehenden Medizinern helfen sollen.

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hat Ende März 2020 eine erste Version klinisch-ethischer Empfehlungen veröffentlicht, wie im Ernstfall in Deutschland zu verfahren sei. Die Empfehlungen wurden Anfang April noch einmal aktualisiert und als sogenannte S1-Leitlinie herausgegeben, die vorläufig bis 31. Oktober 2021 gilt. Diese Leitlinien sind nicht juristisch bindend. Das medizinische Personal ist jedoch angehalten, ihnen zu folgen.

Die Zukunft des Umgangs mit Covid-19

Im Umgang mit Corona hat die Politik nicht nur in Deutschland keine besonders gute Figur gemacht und man ist immer wieder verwundert, wie absehbare Entwicklungen nicht vorausschauend berücksichtigt wurden. Seit Wochen wird diskutiert, dass der Corona-Impfschutz voraussichtlich im kommenden Jahr wieder aufgefrischt werden muss.

Im Gesundheitsministerium starrt man offensichtlich wie das Kaninchen auf die Schlange und hofft, dass der Kelch an den Verantwortlichen vorüberziehe. Es ist nicht bekannt, dass es im BMG Vorbereitungen gäbe, wie man mit der Frage der Booster-Impfungen umgehen will.

Unklar ist in diesem Zusammenhang, ob die bestehenden Impfzentren dauerhaft aufrechterhalten werden sollen oder ob die Auffrischungsimpfung vollständig auf Arztpraxen abwälzen will. Es gibt auch noch keine Aussage, wie die Terminvergabe künftig ablaufen soll. Zukunftsfähigkeit sieht anders aus.