In Afghanistan ist weiterhin nichts gut

Der Bundestag entscheidet über die neue Afghanistan-Mission und die Regierung legt einen "Fortschrittsbericht" vor, die Lage ist düster

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Heute wird der Bundestag über den auf ein Jahr angelegten Bundeswehreinsatz im Rahmen der Nato-Mission "Resolute Support Mission" für die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte in Afghanistan entscheiden. Von einer Zustimmung für die weitere Entsendung von bis zu 850 deutschen Soldaten, die den afghanischen Sicherheitskräften helfen sollen, ihrer "Sicherheitsverantwortung" nachzukommen, kann man ausgehen. Der Einsatz, dessen Zusatzkosten auf 282 Millionen Euro geschätzt wird, ist nicht beschränkt auf Ausbildung und Beratung, sondern schließt auch militärische Sicherung ein.

Die Nato scheint derzeit Gefallen an Worten gefunden zu haben, die Entschlossenheit signalisieren sollen. Der "Resolute Support" schließt sich insofern der Operation Inherent Resolve der Anti-IS-Koalition an. Betont wird, dass es sich um keinen Kampfeinsatz handle: "Dennoch kann es zu Gefechtshandlungen in Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes, zum Schutz der eigenen Truppe oder designierter ziviler Kräfte kommen." Das ist angesichts der sich weiter verschlechternden Lage in Afghanistan auch abzusehen. Genau das ist auch der Grund, warum Nato-Soldaten auch nach 13 Jahren weiterhin im Land bleiben sollen. Afghanistan benötige weiter "die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft", um, wie es heißt, "die Erfolge der letzten Dekade bei der Schaffung effektiver Sicherheitsstrukturen zu verstetigen".

Bild: ISAF

Zu den Erfolgen des jahrzehntelangen Kriegseinsatzes hat die Bundesregierung auch den "Fortschrittsbericht" veröffentlicht. In diesem heißt es: Heute gebe es "ein in den Anfängen funktionierendes demokratisches Gemeinwesen, an dessen Zukunft seine Bürger mehrheitlich glauben und das von seinen Sicherheitskräften wirksam verteidigt wird". Danach wird ein eher düsteres Bild gezeichnet, das zum Teil auch mit dem Abzug der Nato-Truppen zu tun hat, durch die die sowieso katastrophale Wirtschaftslage noch einmal schlechter wird, während die Staatsschulden explodieren. Die Folgen werden die Sicherheitslage weiter verschärfen und womöglich Irak-ähnliche Zustände schaffen:

Die wirtschaftliche Lage Afghanistans stellt für die neue Regierung eine besonders drängende Herausforderung dar. Das jährliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt bei nur noch etwa drei Prozent und hat sich damit stark verlangsamt. Eng mit der Wirtschaftskrise verbunden ist die sich ausweitende Budgetkrise. Die Staateinnahmen sind in den letzten Monaten stark eingebrochen. Die neue Regierung wird in den nächsten Monaten schmerzliche Einschnitte vornehmen müssen. Die lange politische Fokussierung allein auf die Wahlen und deren Folgen hat den ohnehin bestehenden Reformstau zusätzlich verschärft.

Es muss weiter viel Geld gezahlt werden, um das mühsam aufrechterhaltene, durch Korruption geprägte Regierungssystem nicht zerbrechen zu lassen. Allein Deutschland wird jährlich 430 Millionen Euro in das Land pumpen, was zu den 280 Millionen für die Militärunterstützung dazu kommt.

Mit den anderen militärischen Einsätzen etwa in den Kurdengebieten, der Flüchtlingskrise vor allem in und um Syrien, aber auch den Geldern, die in das Pleiteland Ukraine fließen müssen, ist die Frage, wie resolut bzw. wie lange Afghanistan noch gestützt, also wie lange Deutschland noch am Hindukusch verteidigt werden wird, wenn zudem die Sicherheitslage dort noch schlechter wird. Das muss selbst im "Fortschrittsbericht" so beschrieben werden: "Die Sicherheitslage hat sich im Vergleich zum letzten Fortschrittsbericht nicht entscheidend verändert. Den regierungsfeindlichen Kräfte (RFK) gelang es jedoch, ihre Handlungsfähigkeit insbesondere in den ländlichen, vornehmlich paschtunisch geprägten traditionellen Kernräumen zu erhöhen."

Das Bild eines verfahrenen militärischen Einsatzes, der bestenfalls das Land durch künstliche Beatmung vor dem gänzlichen Übergang in den Zustand eines failed state schützt, während sonst die Wiederkehr eines ähnlichen Regimes wie vor dem Krieg droht, bestätigt eine Gallup-Umfrage. Schon 2013 war in der Gallup World Poll Afghanistan weltweit auf den letzten Platz gerutscht. Gefragt wird dabei, wie die Menschen ihr Leben sowie ihre Aussichten auf die nächsten vier Jahre auf einer Skala von 0 bis 10 einstufen. Wer sich auf der Skala mit 4 oder weniger eingestuft hat, gilt als leidend, dann kommt "kämpfend" (mittel), also ein ungesichertes Wohlergehen, und schließlich kommen diejenigen, denen es gut geht (thriving).

Interessant ist die Umfrage, weil die Werte seit 2008 ermittelt werden. In dem Jahr haben noch 5 Prozent ihre Lebenszufriedenheit als gut eingestuft. Offenbar waren die Aussichten gut, bis 2010 stieg der Anteil der Menschen guter Lebenszufriedenheit und guter weiterer Aussicht auf 12 Prozent an, während diejenigen, denen es schlecht geht, auf einen Anteil von 23 Prozent schrumpfte. Seit 2011 hat sich aber eine Trendwende eingestellt und beurteilten die Afghanen ihr Leben als immer schlechter. 2013 gab es wie 2014 niemand mehr, der seine Lage als gut betrachtete, während die Zahl derjenigen, denen es schlecht geht, 2013 bei 55 Prozent und 2014 gar bei 61 Prozent lag. Dabei gibt es kaum Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Menschen. Normalerweise ist die Hoffnung bei jungen Menschen höher, in Afghanistan scheinen auch die meisten jungen Menschen keine Zukunft zu sehen.

Das lässt die Lage alles andere als gut erscheinen, anstatt von einem Erfolg müsste man von einem wachsenden Misserfolg sprechen. Besonders drastisch geht es den Menschen auf dem Land, das sind Dreiviertel der Bevölkerung. Hier stufen ihre Lebenszufriedenheit 64 Prozent auf der Skala mit 4 und weniger ein, in den Städten "nur" 49 Prozent. Auf dem Land sagen 44 Prozent der Afghanen, dass es Zeiten im letzten Jahr gab, in denen sie nicht genug zum Essen hatten, in den Städten 32 Prozent. Im Osten Afghanistans scheint es den Menschen besser als im Westen zu gehen. Gallup vermutet, dass dies auch daran liegen könnte, dass im Westen und Süden der Opiumanbau und auch der Konsum vorherrschen. Hier könnte auch die Angst größer davor sein, was nach dem Abzug der Nato-Truppen eintreten könnte.

67 Prozent sagen, dass die wirtschaftlichen Bedingungen in ihrer Region sich verschlechtert haben. Und 86 Prozent meinen, sie seien enttäuscht vom Umgang mit den Armen, 2008 waren dies erst 32 Prozent. Alles in allem eine Warnung, dass schon seit längerem Vieles schief läuft und die Nato-Staaten, die sich zurückziehen wollen, ein geschöntes Bild malen, um ihr Scheitern nicht eingestehen zu müssen.