"In Deutschland wird auf Repression gesetzt"

Seite 3: "Im Fetischismus spielten Desinfektion und Hygiene schon immer eine wichtige Rolle"

Masken und sterile Schutzkleidung wie Latex gehören doch eh zum Dresscode vieler Fetisch- oder Gay-Parties. In der normalen Techno-Szene der 2000er waren die eh als Gag auch für Stinos beliebt. Eigentlich wärt Ihr doch im Fetisch-Bereich am besten aufgestellt hygienisch für ein Re-Opening? Es gibt doch sogar Klinik-Fetischismus, das passt doch wunderbar.

Calea Toxic: In der Tat wären sicherlich manche Heavy-Rubber-Anzüge von Gummifetischisten der Albtraum eines jeden Virus …

… auch Ganzkörper-Aluhüte für Verschwörungstheoretiker könnte man entwerfen, um die Akzeptanz in diesen Kreisen zu erhöhen.

Calea Toxic: … und auch die von manchen Gästen geliebte Gasmaske bekäme eine ganz neue Sinnhaftigkeit. Aber auch außerhalb dieser Extreme sind Dominastudios besonders prädestiniert für die Einhaltung der Hygienemaßnahmen. Im Klinik-Fetischismus etwa spielte Desinfektion und Hygiene natürlich schon immer eine außerordentlich wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass es in Dominastudios typischerweise keine Laufkundschaft gibt, sondern ausschließlich Termine auf Basis vorheriger Terminbuchungen stattfinden.

Ferner geht es in Dominasessions nicht immer um Berührung. Einige Dominas lassen sich sogar gar nicht anfassen. Es geht in den Sessions vielmehr um das Spiel in Form von Gesten, Taten, Optik und verbale sowie nonverbale Kommunikation. Meiner Meinung nach könnten auch Konzepte zum Beispiel aus Krankenhäusern oder Pflegeheimen in Studios angewendet werden, sprich ohne Test kein Einlass, zusätzlich Fieber messen und Kontaktdaten notieren. Wenn eine Domina im erotischen Klinikoutfit den Test und das Fiebermessen vornehmen würde, hätte dies sicherlich sogar noch einen gewissen Charme.

Auch Impfsessions in erotischem Ambiente könnten doch so manchen Impf-Gegner vielleicht überzeugen … Doktorspiele und Krankenschwester-Imaginationen waren ja schon immer Teil der klassischen Literatur und der Kunst und in Tokyos Trend-Bezirk Shibuya sind Motto-Cafes ja Touri-Hotspots … In Köln und auf der Reeperbahn wurden ja nun auch schon Bordelle in Testzentren umgewandelt … Fehlt Euch denn aber generell eine Lobby?

Calea Toxic: Es gibt zwar den ein oder anderen Berufsverband für Sexworker, aber wir sind weit davon entfernt, eine Erotiklobby zu haben.

Es gab ja drei große Kampagnen im ersten Lockdown: Die coolen Mädels aus dem Hamburg-Hotspot Herbertstraße initiierten zusammen mit Künstlern, Aktivisten, Clubs, Galerien und Leuten vom Kiez den "Sexy Aufstand", der sogar vom Bezirksbürgermeister unterstützt wurde, der dann im Herbst die Straße wieder feierlich eröffnete, in Baden-Württemberg organisierten mehrere bekannte Fetisch-Studios die Kampagne "Schwarze Meile", deren Vertreterinnen aber auch bei den Querdenken-Demonstrationen als Rednerinnen auftraten, die größte Beachtung fand die Petition "Red Lights On" mit bundesweit rund hundert namhaften Erstunterzeichner:innen.

Calea Toxic: Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass Erotik etwas ist, was jeder macht, aber niemand spricht darüber, sei es aus gesellschaftlich anerzogenen falschen Moralvorstellungen oder aufgrund von unangebrachten Schamgefühlen.

"Viele haben in der Krise schlichtweg weniger Lust und Geld"

Oder verlagert sich eigentlich alles im Lockdown online?

Calea Toxic: Wer ein reales Sextreffen gegen Bezahlung haben möchte, der möchte Nähe, Berührungen, Gerüche und Geschmack erfahren. Das kann durch eine Online-Session nicht ersetzt werden. Hier geht es lediglich um die Optik und Kommunikation. Es ist natürlich schön, mit meinen Gästen online in Kontakt zu bleiben, aber es ist ein Irrglaube, der Mangel an Möglichkeiten für reale Sextreffen ließe das Online Business explodieren. Viele haben in der Krise schlichtweg weniger Lust und Geld. Summa Summarum ist mein Online Business weder größer noch kleiner als vor dem Lockdown.

Es gab ja jetzt in merkwürdiger Koinzidenz ein massives Vorgehen der Landesmedienanstalten gegen Sexworker und Fetisch auf Twitter und vor allem gegen Fetisch-Content auf www.OnlyFans.com ... Was ist Deine Meinung dazu? Hast Du selber ähnliche Erfahrungen gemacht?

Calea Toxic: Ich finde Jugendschutz sehr wichtig, aber in Deutschland wird von den Landesmedienanstalten mehr auf Repression als Prävention gesetzt. Während die Medien über OnlyFans z.B. nahezu euphorisch von einem neuen "Porno Instagram" und sexueller Revolution berichten und dadurch der breiten Masse das Gefühl vermitteln, dort seien pornographische Inhalte erlaubt, so sehen das die Landesmedienbehörden anders und erkennen die dortigen Registrierungs- und Bezahlschranken als nicht ausreichend für den deutschen Jugendschutz an.

Dies wird allerdings nicht klar und deutlich in der Öffentlichkeit kommuniziert. Erst wenn der Bescheid über die Einleitung eines Strafverfahrens eingeht, weiß man, dass man wohl der falschen Annahme war. Aus meiner Sicht sollte es nicht darum gehen, möglichst viele Menschen zu bestrafen, sondern vielmehr durch medienpädagogische Konzepte zu einem vernünftigen Umgang mit dem Internet zu verhelfen.

Alleine während des Lockdowns haben die Landesmedienbehörden versucht, sieben Strafverfahren gegen mich einzuleiten. Dies betraf unter anderem meine Webseite sowie sämtliche meiner Social Media Auftritte wie Facebook, Twitter und Instagram. Bemängelt wurden in allen Fällen nicht die Inhalte selbst, sondern, dass dort Links zu meinem OnlyFans-Profil waren www.onlyfans.com/caleatoxic. Auch wenn glücklicherweise alle Verfahren eingestellt wurden, so setze ich seither bei Erwachseneninhalten auf strenge Jugendschutzsyteme. Wer schauen will, wie es bei meinen Sessions zugeht, der kann dies bei www.bestfans.com/caleatoxic und www.caleatoxic.shop tun, aber hier gilt ganz klar, ohne Altersverifikation kein Einlass.

Wird sich auch die Fetisch-Szene nun verändern? Auch für sexuelle Minderheiten und für Gays hatte sie ja eine enorme Bedeutung nicht nur für die politische Emanzipation der Sichtbarkeit diverser Lebensstile ...

Calea Toxic: Ich befürchte, dass viele Studios und Partyveranstalter den langen Lockdown nicht überleben werden. Die Themen Fetisch und BDSM werden zwar immer gesellschaftsfähiger, aber es wird vermutlich aufgrund von Corona auf lange Sicht keine größeren Veranstaltungen und Erotikevents geben. Selbst wenn Veranstaltungen zukünftig wieder erlaubt werden, so kann ich mir vorstellen, dass der Lockdown erst einmal nachwirkt und die Menschen ihren Fetisch nicht wieder so unbeschwert ausleben wie vor dem Lockdown. Sei es aus Angst vor Ansteckungen, weil das sich das sexuelle Verlangen verringert hat oder die damit verbundenen Kosten für Outfits, Einritt, Hotels etc. gescheut werden. Wenn die Phase der ersten Nachwehen vorüber ist, würde ich mich persönlich sehr freuen, wenn dann eine neue Aufbruchstimmung entsteht, ähnlich wie eine Renaissance der hedonistischen Goldenen Zwanziger Jahre mit Glanz und Verführung, hedonistisch, stilvoll und exzessiv.

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